Die zwölf Ochsen.

[83] Es war einmal ein Vater, der zwölf Söhne hatte, schon erwachsen, so daß sie nicht mehr im Hause waren, sondern auf Arbeit gingen und für sich wohnten. Nun bekam der Vater noch eine Tochter, was sie so verdroß, daß sie nicht mehr zum Vater zurückkehren wollten und in einen Wald gingen, um als Tischler zu leben. Jenes Mädchen war schon vierzehn oder fünfzehn Jahre alt und kannte die Brüder, war aber nie mit ihnen gegangen.

Einmal ging sie, sich in einer Quelle zu waschen, und nahm erst ihr Korallenhalsband ab, damit es ihr nicht ins Wasser fiel. Ein Rabe, der vorüberflog, nahm es und trug es davon, sie hinter ihm her und kam in den Wald, wo ihre Brüder waren. Der Rabe flog, um sich zu verbergen, in eine Hütte, wo sie wohnten, und sie trat ein, da niemand drinnen war, aber aus Furcht, daß sie sie dann mißhandeln möchten, kroch sie unter das Bett.

Als die Brüder nach Hause kamen, frühstückten sie und gingen wieder fort, ohne sie zu sehen. Abends bereitete sie die Nudeln und versteckte sich dann wieder. Die Brüder aßen, schöpften aber Verdacht, es möchte eine Hexe gewesen sein, die diesen Scherz verübt hätte. Einer von ihnen blieb daher zu Hause und sah die Schwester unter dem Bett hervorkommen. Er erkannte sie, verzieh ihr, daß sie sich so versteckt hatte, und sagte ihr, er werde es der Mutter sagen lassen, daß sie bei den Brüdern sei. Dann warnte er sie, nicht in ein benachbartes Haus zu gehen, um Feuer zu holen, denn da wohnten die Hexen.

Vierzehn Tage vergingen, ohne daß sie hinging. Einmal aber ließ sie den Abend herankommen und hatte das Abendbrod noch nicht gerüstet. Um es rasch noch fertig zu bringen, wollte[84] sie Feuer in dem Hexenhause holen und fand dort eine Alte, die es ihr gab. Die Alte aber sagte ihr, daß auch sie einen Gefallen von ihr erbitte, nämlich sich am andern Tage ein bischen an ihrem kleinen Finger von ihr saugen lassen. Und um ihr zu zeigen, wie sie es machen solle, schloß sie die Tür, ließ sie den Finger durchs Schlüsselloch stecken und saugte soviel Blut heraus, daß das arme Mädchen fast in Ohnmacht fiel. Dann sagte ihr die Hexe, morgen wolle sie dasselbe tun.

Ihre Brüder aßen zu Nacht wie gewöhnlich, als sie aber das Mädchen ansahen, fanden sie, daß sie etwas haben müsse, und fragten sie so lange, bis sie alles erzählte und sagte, morgen werde die Hexe kommen und ihr den Finger aussaugen. Ihr ältester Bruder aber erwartete den Morgen, und als die Hexe kam, öffnete ihr die Schwester nicht, da steckte die Hexe den Kopf durch ein Fensterchen, der Bruder aber schnitt ihn mit einer Säge ab und warf dann Kopf und Leib der Hexe in eine Schlucht.

Nun geschah es einmal, daß das Mädchen nach Wasser ging zu einer Quelle, und fand dort eine Alte, die wollte ihr weiße Schüsseln verkaufen, sie aber wollte nichts davon hören, da sie kein Geld hatte. Die Alte aber ließ ihr keine Ruhe, bis sie eine davon als Geschenk annahm und nach Hause trug.

Die Brüder kamen heim, müde von ihrer Arbeit, und hatten Durst. Kaum aber tranken sie aus jener Schüssel, so wurden sie in Ochsen verwandelt, bis auf einen, der ein Lamm wurde, da er nur wenig getrunken hatte. Stellt euch den Schmerz der Schwester vor und auch die Furcht, in jener Wüste allein zu bleiben und für die zwölf Tiere sorgen zu müssen! Zum Glück verirrte sich ein Sohn des Fürsten auf der Jagd in diesem Walde, und da er zu der Hütte kam, bat er um Unterkunft. Das junge Mädchen wollte ihn nicht aufnehmen, er bat aber so lange, bis sie es doch tat, und da er ihre Schönheit sah, wollte er sie heiraten, sie antwortete aber, sie könne ihre Brüder nicht verlassen und müsse für sie sorgen. Er erwiderte, er nehme alles auf sich,[85] und heiratete wirklich das Mädchen und machte sie zur Prinzessin, die Brüder aber brachte er in einen Stall von Marmor mit schönen Krippen, und sie wurden wie Menschen behandelt.

Jene Hexe aber, die von dem ältesten Bruder der Prinzessin getötet worden war, war wieder aufgewacht und hatte geschworen, sich zu rächen, und fing an zu versuchen, ob sie sich nicht an die Stelle der Prinzessin setzen könnte. In Gestalt eines alten Weibchens ging sie in den Garten, wo jene unter einer Laube saß mit dem Lämmchen, das ihr Bruder war. Sie bittet die Prinzessin um eine Weintraube und das gute Wesen geht, sie ihr zu holen, war aber an den Rand einer Zisterne gekommen, und die Hexe machte, daß sie hineinfiel. Die Ärmste weinte drunten, aber niemand hörte sie, außer dem Lämmchen, das immer meckernd herumlief. Die Hexe aber nahm die Gestalt der Prinzessin an und legte sich in ihr Bett.

Als der Prinz nach Hause kam, fragte er sie: »Was hast du?« – »Ich bin auf den Tod krank und muß ein Stück vom Fleisch dieses Lammes essen, das ich meckern höre, sonst sterbe ich!« – Er antwortet: »Dann lügst du. Du sagtest mir, das Lämmchen sei dein Bruder und dann ist's nicht wahr.« – Die Hexe hatte einen Bock geschossen und nun gab's keinen Ausweg. Sie wußte also nichts zu sagen. Der Prinz aber merkte Unrat. Er geht in den Garten und hinter dem Lamm her, es zu fangen. Indessen nähert er sich der Zisterne und hört seine Frau. – »Warst du denn nicht im Bett eben jetzt?« – »Nein. Seit dem Abend bin ich hier, und niemand hat mich gehört.« – Da läßt er sie sofort aus der Zisterne herausheben, und die Hexe, die ihre Gestalt angenommen hatte, wurde gleich ergriffen und verbrannt. Und so wie das Feuer Hand oder Bein der Hexe verbrannte, wurden die Ochsen wieder Menschen und alle heil und stark und es schien im Palast eine Kompagnie von Riesen eingezogen zu sein. Alle wurden Fürsten, Herren von ebensoviel Staaten. Ich aber bin ein armer Teufel geblieben!


(Monferrato)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 83-86.
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