Die Bärtige.

[13] Es war einmal eine Frau, die hatte drei Töchter. Sie waren arm, ernährten sich mit spinnen, und jeden Tag ging eine andere der Töchter um Zichorienpflanzen zum Salat zu pflücken. Die sammelten sie in ein Körbchen, verkauften sie, und so lebten sie.

Eines Tages war die Kleinste ganz verzweifelt, denn sie fand keine Zichorie. Aber da sieht sie eine schöne Wiese, wo eine Menge wuchs und von den schönsten, und geht hin und pflückt davon. Da kommt ein Ungeheuer: »Ha! wie kommst du dazu, mir diese Zichorien zu stehlen?« – »Ich tu' es, um nicht zu verhungern.« – »Schön! sieh diese Börse mit Geld, die bringe deinen Leuten, und komme dann wieder her.« – Das Mädchen nimmt das Geld, geht nach Hause und erzählt alles der Mutter. Die Mutter, wie sie das Geld sieht, freut sich und sagt der Tochter, sie solle nur zu dem Ungeheuer zurückkehren. Das Ungeheuer bringt sie ans Ende einer breiten Straße, wo ein[14] sehr schöner Garten war und ein prächtiger Palast. Der Palast aber war unterirdisch, und von außen sah man ihn nicht.

Es läßt sie zu dem Palast hinuntersteigen und ein Bad nehmen, und kleidet sie wie eine Königin.

In dem Garten war ein Zaun und ringsherum einige schöne Sessel. »Geh«, sagte das Ungeheuer, »setz dich auf einen dieser Sessel, und wenn Jemand dir etwas sagt, komm zu mir und sage mir alles wieder.«

Das Mädchen gehorchte. Der Zufall wollte, daß der König des Landes auf die Jagd ging. Er kommt an dem Zaun vorbei, sieht das schöne Fräulein dort sitzen, gekleidet wie eine Königin, und kaum sieht er sie, so verliebt er sich in sie. Er tritt näher, grüßt sie und sagt ihr in wenig Worten, daß er sich in sie verliebt habe und ihr Gemahl werden wolle. Das Fräulein sagte weder Ja noch Nein. Sie antwortete, er möge wiederkommen, dann werde sie ihm eine Antwort geben.

Der König entfernte sich, das Mädchen aber ging zu dem Ungeheuer und erzählte ihm, was vorgegangen war. – »Ich bin's zufrieden, daß du ihn heiratest, sagte das Ungeheuer, nur ehe du die Hochzeit hältst, sollst du mir Lebewohl sagen. Doch hüte dich wohl, es zu vergessen!«

Am andern Morgen kommt der König mit dem Wagen. Das Mädchen hatte sich wieder auf den Sessel gesetzt in den Kleidern einer Königin. – »Nun?« fragte der König. – »Ich will es tun«, sagte das Mädchen. Der König, sehr vergnügt, dankte ihr und sagte, wenn sie in den Wagen einsteigen wollte, würde es gleich zur Hochzeit gehen.

Das Mädchen steigt in den Wagen, und in der Unruhe des Aufbruchs vergißt sie, dem Ungeheuer Lebewohl zu sagen. Als sie schon eine Strecke gefahren waren, fällt es ihr wieder ein. »O weh!« sagt sie, »ich habe vergessen, eine gewisse Sache mitzunehmen!« – Der König befiehlt, umzukehren, das Mädchen steigt aus und geht zu dem Ungeheuer. – »Liebes Ungeheuerchen,[15] sei nicht böse, ich hatt' es vergessen.« – »Gut!« sagt das Ungeheuer, »also gehen wir! Gib mir einen Kuß und dann sprechen wir nicht weiter davon!« – Und es gibt ihr einen Kuß, und auf einmal wächst ihr ein langer Bart, daß es ganz schrecklich aussah. Die Ärmste fängt an zu weinen und ist ganz verzweifelt: »Wie soll ich jetzt zum Könige gehen?« – Das Ungeheuer gab ihr einen langen, langen Schleier, in den wickelte sie sich ganz und kehrte zu ihrem Gemahl zurück. »O warum hast du dich so vermummt?« fragte der König als er sie sah. Sie antwortete, es sei ihr eine starke Entzündung an den Augen gekommen, darum hätte sie sich so einhüllen müssen.

Die Mutter des Königs und alle Damen im Palast standen und warteten. Sie aber kam mit dem Schleier, und unter dem Vorwande der Augenentzündung behielt sie ihn auch während der Trauung und ließ sich von niemand sehen. Als aber der Abend kam und sie allein in ihrem Zimmer war, nahm sie den Schleier ab. Da kommt unangemeldet der König und sieht ihren großen Bart. Stellt euch vor, wie ihm zumute war! Er wollte nichts mehr von ihr wissen, er ließ sie ergreifen und in ein Landhaus bringen.

Nun waren der Vater und die Mutter des Königs alt und wollten, ihr Sohn sollte um jeden Preis eine Frau nehmen. Da er diese nicht mehr wolle, möge er eine andere wählen. Nun hatte der König seine Augen auf zwei schöne Bauernmädchen geworfen, die ihm alle beide sehr gefielen, so daß er nicht wußte, welche er wählen sollte. Er sinnt und sinnt; endlich entschloß er sich, es so zu machen. Im Schloß war eine Hündin, die drei Junge geworfen hatte. Man ruft die beiden Bauernmädchen und die Bärtige und gibt jeder eins der jungen Hündchen. Diejenige, die das ihre am besten aufziehen würde, sollte des Königs Gemahlin werden.

Die arme Bärtige wußte nicht, was sie anfangen sollte. Sie weinte, mit ihrem Hündchen im Arm. – O, wie soll ich[16] es machen, das Tierchen aufzuziehen! – Am Abend, als sie ganz betrübt dasaß, sieht sie auf und erblickt das Ungeheuer vor sich. – »Warum weinst du?« – »O, ein schönes Geschenk hast du mir gemacht! Es wäre besser gewesen, du hättest mich Zichorien pflücken lassen!« und sie erzählt ihm von dem Hündchen. Das Ungeheuer sagte ihr, sie solle es in den Fluß werfen, sie wollte aber nicht. Da nimmt es ihr das Hündchen, wirft es in den Fluß und geht davon. – Jetzt ist es um mich geschehen! sagt das Mädchen und ist noch verzweifelter als zuvor.

Indessen verging die Zeit, und die beiden Bauernmädchen zogen die Hündchen auf und sagten schon, es sei Zeit, sie zurückzugeben, und es wurde ein Tag bestimmt, wo das geschehen sollte. Die Bärtige seufzte, denn sie wußte nicht, was sie zurückzubringen hätte. Am Abend vor der Rückgabe, während sie weinte, erscheint ihr das Ungeheuer. – »Nun also, was soll ich dem König zurückbringen?« sagte sie zu ihm. – »Sieh dieses Schächtelchen,« sagte das Ungeheuer. »Wenn die beiden Andern ihm den Hund bringen, gib du ihm dies.« – Am andern Morgen gehen alle drei zum König, die beiden Bauernmädchen gaben ihre beiden Hündchen ganz sauber gewaschen und hübsch gekämmt; die Bärtige gibt die Schachtel. Wie der König sie öffnet, springt ein allerliebstes Hündchen heraus, mit einer Menge goldener Glöckchen am Halse und überhaupt hundertmal schöner als die Hündchen der Bauernmädchen. Aber die Bärtige wollte der König nicht. Er denkt ein bischen nach, dann schickt er sie alle drei fort mit hundert Scudi und einem Pfund Flachs für jede: »Wer mir diesen Flachs am besten spinnt, soll meine Frau werden.« – Sie kehren nach Hause zurück, und die arme Bärtige, die nicht gut zu spinnen verstand, außer grobes Zeug, war ganz betrübt. Als der Tag der Ablieferung kam, und sie am Abend vorher ganz verzweifelt war, ist das Ungeheuer wieder da und gibt ihr eine Schachtel wie das vorige Mal. Die beiden Bauernmädchen liefern ihren Flachs[17] ab, der sehr gut gesponnen war, die Bärtige gibt die Schachtel. Der König öffnet sie, und heraus kommt eine Menge Garn, so fein und schön, daß es ein Wunder war. Und die Braut war nun die Bärtige. Aber der König wollte sie nicht. Er gab jeder hundert Scudi und lud alle drei zu einem Ballfest. – »Kommt«, sagte er, »dann will ich meine Wahl treffen.«

Die Bärtige wußte nicht, wo sie den Mut hernehmen sollte, sich auf dem Balle zu zeigen, mit diesem Bart. Am Abend vorher kam aber wieder das Ungeheuer und fand sie in Tränen. – »Geh nur auf den Ball,« sagte das Ungeheuer. »Aber geh in einen Winkel, nimm den Schleier ab und dann, ohne dich um wen zu kümmern, tritt in den Saal und stelle dich an den Platz der Braut, und du wirst sehen, der Bart fällt dir ab.« – Da ging die Bärtige auf den Ball, ganz vermummt mit ihrem Schleier, und als man sie so sah, lachten alle und verspotteten sie. Sie sieht, daß der König einer der beiden Bauernmädchen die Hand gibt und also die Braut gewählt hatte. Da geht sie in einen Winkel, nimmt den Schleier ab, springt in den Ballsaal neben den König und nimmt den Platz der Braut ein, und gleich fällt der Bart zu Boden, und sie wird wieder schön wie zuvor. Als der König sie so schön sieht, kommt ihm wieder die Liebe wie früher, er denkt nicht mehr an die Bauernmädchen und nimmt sie zur Frau.

Und so lebten sie in Freuden und gaben mir nichts als ein kleines Konfekt, das habe ich in ein Büchlein gesteckt.


(Pisa)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 13-18.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon