Geppone.

[18] Es war in vergangenen Zeiten ein Bauer mit Namen Giuseppe, und sein Herr, der Priester und Prior war, hieß Pier Leone. Dieser Bauer hatte sein Gut auf einem Hügel, wo die Tramontana ihm immer seine Ernte zerstörte, so daß der arme Giuseppe wegen dieses Windes mit seiner ganzen Familie Hunger leiden mußte.

Eines Tages faßte er einen Entschluß und sagte: »Ich will gehen und den Wind suchen, der mich verfolgt.« – Er sagt es seinem Weibe und seinen Kindern und macht sich auf den Weg durch die Alpen. Als er bei Castel Ginevino angekommen ist, pocht er an das Tor der Festung. Eine Frau erscheint und fragt: »Wer pocht?« – Es war in der Tat die Frau des Windes. – »Ich bin Geppone,« antwortet der Bauer. »Ist euer Gatte nicht zu Hause?« – »In diesem Augenblick ist er nicht zu Hause, er wird aber bald kommen. Er wollte nur ein bischen zwischen den Buchen wehen. Kommt ins Haus, gleich wird er da sein.« – Geppone trat ins Haus, und nach einer Stunde kehrte der[19] Wind zurück. Kaum hatte er ihn gesehen, sagte Geppone: »Guten Morgen, Wind!« – Und der Wind: »Wer bist du?« – »Ich bin Geppone.« – »Und was suchst du?« – »Du weißt wohl, daß du mich jedes Jahr um die Ernte bringst und ich deinetwegen ins Elend gekommen bin und mit meiner ganzen Familie verhungern muß. Nun bin ich zu dir gekommen, um zu sehen, ob du's irgendwie einrichten könntest, mich vor dem Hungertode zu bewahren.« – »Und wie soll ich das anfangen?« – »Such nur um Gotteswillen mir zu helfen.« – Da wurde dem Winde das Herz von Mitleid bewegt, und er sagte zu dem armen Bauern: »Nimm diese Schachtel, und wenn du Hunger hast, öffne sie, befiehl, was du haben willst, und du wirst bedient werden. Aber hüte dich, sie einem Andern zu geben. Wenn du diese Schachtel von dir gibst, komm nicht wieder zu mir.«

Geppone geht, um nach Hause zurückzukehren, und kommt durch einen Wald. Als er den durchschritten hat, bekommt er Hunger und Durst. Er öffnet die Schachtel und spricht: »Bringe mir Brod, Wein und Zukost!« – und es wurde ihm gehorcht. Er aß und trank und setzte die Reise fort, ihr könnt denken, wie vergnügt! Noch fern von seinem Hause kommen ihm Weib und Kinder entgegen, begrüßen ihn freudig und sagen: »Nun, wie ist es gegangen?« – »Gut!« antwortet er. Dann führt er sie alle nach Hause und sagt: »Setzt euch alle an den Tisch.« Und als sie alle am Tisch saßen, sagt er zu der Schachtel: »Versorge diese alle mit Brod, Wein und Zukost!« und richtig, alles wird gebracht.

Nachdem sie gegessen und getrunken hatten, sagte Geppone zu seiner Frau: »Sag's nicht dem Prior, daß ich diese Schachtel gebracht habe. Sonst könnte er Lust bekommen, es dahin zu bringen, daß ich darum käme.« – »Ich werde nichts sagen, Gott bewahre!« – »Schön!«

Da läßt der Prior Geppones Frau kommen und fragt sie, ob ihr Mann zurückgekehrt ist. – »Ja,« sagt sie, »er ist zurückgekehrt.«[20] – »Und wie ist es gegangen?« – »Gut; er hat eine Schachtel mitgebracht, mit der kann man nicht mehr verhungern.« – »Und was ist in dieser Schachtel?« – »Nämlich, wenn man sie aufmacht und befiehlt, sie soll zu essen und zu trinken herbeischaffen, so bringt sie alles.« – Der Priester ruft sofort Geppone und sagt ihm: »O, Geppone, ich weiß, daß du eine sehr kostbare Schachtel hast; die will ich sehen.« – Geppone wollte leugnen, konnte aber nicht, weil seine Frau alles verraten hatte. Also zog er sie hervor und machte die Probe.

Den Priester verlangte sofort danach, sie zu besitzen. »Geppone,« sagte er, »du mußt mir die Schachtel geben.« – »Das kann ich nicht,« antwortete Geppone, »denn Sie wissen wohl, daß ich immer all meine Ernten verloren habe, und wenn ich die Schachtel weggebe, habe ich nichts mehr zu essen.« – Darauf sagte der Priester: »Wenn du mir die Schachtel gibst, werde ich dir Korn, Wein und alles, was du wünschest, geben.« – Geppone, der arme Teufel, gab sie ihm, aber der Priester hielt das Versprechen nicht, ihm Korn und Wein zu geben, vielmehr gab er ihm nur schlechtes Saatkorn. Da war Geppone nun wiederum übel dran, und das nur, muß man gestehen, durch die Schuld seiner Frau. So ertrug er eine Zeitlang seine bittere Not, und dann sprach er bei sich selbst: »Ich möchte wieder zu der Burg gehen und sehen, ob der Wind vielleicht ein anderes Mittel hat, diesem Unheil abzuhelfen. Ich habe aber nicht den Mut, mich zum zweitenmal vor ihm sehen zu lassen,« sagte er zu der Frau, »denn er hatte mir gesagt, ich solle sie niemand geben, und wenn ich's täte, von ihm hätte ich nichts mehr zu hoffen. Ich aber habe sie verloren und durch deine Schuld.«

Endlich faßte er sich ein Herz und machte sich auf den Weg. Als er bei der Burg angekommen war, klopfte er ans Tor. Dieselbe Frau fragte wieder: »Wer ist da?« – »Geppone,« antwortete er. Da erschien der Wind und sagte: »Was willst du, Geppone?« – »Du weißt wohl,« sagte Geppone, »daß du[21] mir jene Schachtel gegeben hast. Mein Herr hat sie mir genommen und will sie mir nicht zurückgeben, und darum muß ich Hunger und Not leiden. Ich bin daher zu dir gekommen, um zu sehen, ob du dem abhelfen kannst.« – »Ich hatte dir gesagt, du solltest diese Schachtel niemand geben, und du hast es doch getan. Geh in Frieden, denn ich gebe dir nichts.« – »Um Gotteswillen, hilf mir in meiner Not!« – Der Wind fühlte zum zweitenmal sein Herz gerührt, nahm eine goldene Schachtel und gab sie ihm. »Diese,« sagte er, »öffne nur, wenn du großen Hunger hast, sonst wird sie dir nicht gehorchen.« Geppone nahm die Schachtel und lief durch die bekannten Täler wie toll. Der Hunger aber ließ ihn stillstehn. Er öffnete die Schachtel und rief: »Tisch auf!« – Da erscheint ein Mann, groß und dick mit einem Stock in der Hand und fängt an, ihm Schläge zu geben, daß dem armen Geppone alle Knochen im Leibe zerbrechen. Er schließt die Schachtel geschwinde zu und geht weiter. Zu Hause erwartet ihn sein Weib und die Kinder und fragen gleich: »Wie ist es gegangen?« – »Gut,« antwortet er. »Ich habe eine viel schönere Schachtel bekommen, als das erste Mal. Setzt euch alle zu Tisch.« – Sie tun es, und Geppone öffnet die Schachtel. Zwei Männer kommen heraus mit Stöcken und fangen an, sie zu prügeln. Die Kinder und die Frau schreien und bitten um Erbarmen. Da schließt Geppone die Schachtel, und die mit den Stöcken verschwinden. Dann sagt er zu seinem Weibe: »Geh zum Herrn und sag ihm, ich sei zurückgekehrt und hätte eine Schachtel mitgebracht viel schöner als die andere.« – Die Frau geht zum Prior, der, kaum sieht er sie, so fragt er: »Ist Geppone zurückgekehrt?« – »Ja, Herr, und er hat eine Schachtel mitgebracht, viel schöner als die erste. Sie ist von Gold und schafft uns Mahlzeiten, daß es ein Wunder ist. Diese aber will er niemand geben.« – Der Priester sagte: »Ruf mir Geppone!« – und die Frau tat es, und er kam. Der Priester aber sagte ihm: »O, Geppone, ich freue mich, daß du wieder da bist und[22] eine Schachtel mitgebracht hast, schöner als die andere.« – »Gott sei dafür gedankt, ich habe sie wirklich mitgebracht.« – »Laß sie mich sehen.« – »Jawohl, damit Sie tun, wie das erste Mal und sie mir nehmen!« – »Ich werde sie dir gewiß nicht nehmen.« – Und Geppone zieht die Schachtel hervor, die glänzte wie ein Sonnenstrahl. Den Priester gelüstete nach ihr, und er sagte: »Geppone, gib sie mir, ich gebe dir dann die andere zurück, und noch etwas dazu.« – »Nun, meinetwegen. Geben Sie mir die andere, und ich gebe Ihnen diese.« – Der Priester tut es, und Geppone gibt ihm die goldene und sagt: »Geben Sie wohl Acht, Herr Prior! Diese darf nicht geöffnet werden, außer wenn man großen Hunger hat.« – »Es ist gut,« sagte der Prior. »Gerade morgen ist das Fest unseres Titelheiligen, da kommen viele Priester.[23] Die werde ich alle bis Mittag hungern lassen, dann öffne ich die Schachtel und gebe ihnen ein großes Mahl.«

Der Morgen kommt, alle Priester lesen Messe, dann scherzen einige wegen der Küche. – »Heut will uns der Prior nichts zu essen geben. Das Feuer auf dem Herd ist erloschen, und man sieht keine Vorräte.« – Die andern aber erwiderten: »Ihr werdet sie später sehen. Wenn Essenszeit ist, öffnet er eine Schachtel und mit ihr läßt er jedes beliebige Gericht kommen.« – Diese anderen hatten schon die andere Schachtel gesehen.

Als nun die Essensstunde schlug, ruft der Prior alle Priester und sagt: »Setzt euch nur alle auf eure Plätze!« – Alle gehorchten sofort, denn sie konnten es kaum erwarten, das Wunder der Schachtel zu sehen. Als aber der Prior die Schachtel öffnet, kommen sechs mit Stöcken Bewaffnete heraus, die auf die Priester losprügeln. Der eine fällt hierhin, der andere dorthin. Der Prior hält die Schachtel, sie fällt ihm aber aus der Hand, immer geöffnet, und die Sechs hören nicht auf mit Prügeln. Geppone, der draußen stand und den Lärm mit anhörte, ging durch einen Korridor hinein, nahm die Schachtel und machte sie zu, sonst wären die Priester alle unter den Schlägen gestorben. Ich glaube, an jenem Tage nach jenem Mittagessen hat keiner von ihnen in der Kirche mehr funktioniert. Geppone aber behielt nun beide Schachteln und lieh sie niemand mehr und führte stets ein Herrenleben.


(Mugello)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 18-24.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Cardenio und Celinde

Cardenio und Celinde

Die keusche Olympia wendet sich ab von dem allzu ungestümen jungen Spanier Cardenio, der wiederum tröstet sich mit der leichter zu habenden Celinde, nachdem er ihren Liebhaber aus dem Wege räumt. Doch erträgt er nicht, dass Olympia auf Lysanders Werben eingeht und beschließt, sich an ihm zu rächen. Verhängnisvoll und leidenschaftlich kommt alles ganz anders. Ungewöhnlich für die Zeit läßt Gryphius Figuren niederen Standes auftreten und bedient sich einer eher volkstümlichen Sprache. »Cardenio und Celinde« sind in diesem Sinne Vorläufer des »bürgerlichen Trauerspiels«.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon