Die drei Orangen.

[111] Es war einmal ein König, der einen Sohn hatte, der immer ernsthaft war. Niemals war es gelungen, ihn zum Lachen zu bringen.

Nachdem man alles versucht hatte, ihn zu erheitern, beschloß man, drei große Ölfässer aufzustellen, wo das Volk hingehen und das Öl aus den Quellen schöpfen könnte. Als der dritte Tag gekommen war und das Öl nur noch in kleinen Tropfen herausfloß, kam eine Alte mit einem Fläschchen, das zu füllen ihr nur mit großer Mühe gelang. Als sie sich dann anschickte zu gehen, warf ihr der Prinz vom Fenster aus einen Ball gegen das Fläschchen, das zersprang. Der Prinz lachte, als das Glas zerbrach und das Öl hinauslief. Da blickte die Alte zu ihm hinauf und rief: »Du wirst keine Ruhe finden, bis du die Schöne der drei Orangen gefunden hast!« – Von diesem Augenblick an wurde der Prinz von neuem ernst. Als der Vater eines Morgens aufstand und den Sohn suchte, fand er einen Brief, in dem stand, daß er abgereist sei, um die Schöne der drei Orangen zu suchen.

Der Prinz geht und geht, und nachdem er viele Länder durchwandert hatte, kam er endlich zu einem Häuschen und fragt, wo er die Schöne der drei Orangen finden könnte, und hört, es sei nicht mehr weit, sie sei aber bewacht von einem Menschenfresser, der, wenn er die Augen geschlossen habe, wache, wenn er sie offen haben, schlafe.

Als er zu dem Ort gelangt war, hielt er sich an die Weisung und nahm die drei Orangen, ohne daß der Menschenfresser sich rührte und es merkte. Er öffnete eine, und herauskam ein wunderschönes Fräulein und bat, Kleider zu erhalten. Der Prinz hatte dafür nicht gesorgt, und die Schöne verschwand. Er kaufte ein[112] sehr reiches Kleid und öffnete die zweite Frucht. Aus der kam eine andere Dame, die schöner noch war als die erste, und bat um Kleider. Als sie aber ganz angezogen war, fehlte ihr der Kamm. An den hatte der Prinz nicht gedacht, und die Schöne verschwand. Endlich öffnete er die dritte, aus der kam wieder eine Dame, die schöner war als die beiden anderen, und wünschte gekleidet zu werden. Das geschah, und sie bat um den Kamm. Auch den gab ihr der Prinz, und da nun nichts mehr fehlte, beschloß er, sie an den Hof zu führen, doch scheint es ihm nicht anständig, zu Fuß mit ihr zu gehen, und so sagt er: »Ich will gehn und schöne Wagen holen. Wo soll ich dich indes lassen?« – Sie erhebt die Augen und sieht einen dichtbelaubten Baum. »Gut!« sagt sie; »ich werde dort hinaufsteigen und indessen mich kämmen.«

So tat sie und fing an, sich zu kämmen. Der Prinz aber nahm sein ganzes Gefolge mit sich.

Nun war unter dem Baum ein Brunnen und ganz nah dabei ein Häuschen, wo drei sehr häßliche Schwestern wohnten. Die Älteste nahm den Eimer und ging zum Brunnen, Wasser zu schöpfen, in dem sich das Bild der Prinzessin spiegelte. Als sie den Eimer hinaufzog, sah sie dies schöne Bild, glaubte, es sei ihr eigenes, ließ den Eimer fallen und ging weg. Als sie nach Hause kam, sagte sie: »Alle sagen mir, ich sei häßlich, und bin doch so schön. Das Wasser hab' ich nicht schöpfen wollen.« – Die zweite machte es ebenso wie die Älteste. Die Jüngste, schlauer als beide, hob den Kopf, sah die schöne Prinzessin auf dem Baum, und sagte rasch: »Signora, ich werde kommen, Sie zu kämmen,« – und stieg hinauf. Dann begann sie mit dem Kämmen und als sie fertig war, stieß sie ihr eine Nadel in den Kopf, worauf die Prinzessin eine schöne Taube wurde und davonflog. Die Häßliche aber zog ihre Kleider an.

Als der Prinz mit seinem ganzen Gefolge kam und sie sah, konnte er nicht glauben, daß er die, die er so schön gesehen, nun so häßlich fand. Alle Minister sahen sich an und lächelten, da sie[113] sich nicht vorstellen konnten, wie die Beschreibungen des Prinzen von dieser großen Schönheit in einem Augenblick sich so verändert haben sollten. Sie fragten die Prinzessin, wie das gekommen sei, und sie sagte, da sie auf dem Baum in der Sonne gesessen habe, sei sie von ihr verbrannt und ganz verändert worden.

Als sie nach dem Palast gekommen waren, wurde ein prachtvolles Mahl veranstaltet. Sie mußten aber, da sie bis zum Braten gelangt waren, vergebens warten. Der Koch wurde gerufen und erklärte, der Braten sei verbrannt. Ans Fenster sei eine Taube geflogen, die habe gesagt: Guten Tag, Herr Koch! – Er habe geantwortet: Guten Tag, Frau Taube! – Und sie darauf: Der Braten soll euch verbrennen, damit Serafine nicht davon essen kann. – »Dreimal,« sagte der Koch zum Prinzen, »habe ich den Braten wieder ans Feuer gestellt, aber jedesmal ist er verbrannt.«

Darauf sagte der Prinz zu der Braut: »Geht hinunter und fangt die Taube und bringt sie hieher!« – Die Braut aber wollte nicht, und da ging der Koch, und es glückte ihm, die Taube zu fangen und sie auf die Tafel zu bringen. Sofort ging sie nach dem Teller der Prinzessin und schüttete ihr von dem, was darauflag, aufs Kleid, so daß sie wütend schrie und die Taube wegjagen wollte. Der Prinz aber nahm sie und streichelte sie und fühlte dabei, daß ihr Köpfchen ein wenig geschwollen war. Als er die Geschwulst berührte, sah er, daß es eine Nadel war, zog sie heraus, und sogleich wurde die Taube wieder die Schöne von den drei Orangen, die seine Braut war. Die Häßliche aber wurde auf dem Stadtplatz in einem Hemd von Pech verbrannt, die Schöne aber wurde glücklich mit ihrem Prinzen.


Sie führten ein fröhliches Leben,

Mir aber haben sie nichts gegeben.

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 111-114.
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