Granadoro.

[35] Es war einmal ein König, der hatte einen Bruder in Portugal und hatte auch einen Sohn, der ziemlich erwachsen war. Eines Tages, als er bei Tisch mit seinem Sohne sprach, sagte er ihm, wie froh der Onkel in Portugal sein würde, wenn er ihn sehen könnte. Der Sohn bekam Lust, nach Portugal zu gehen und den Onkel kennen zu lernen. Er bat den Vater, ihn reisen zu lassen, und der Vater erlaubte es ihm. Da versah er sich mit Geld und reiste ab.

Unterwegs begegnet er einem jungen Menschen und sie kommen ins Gespräch. Der Andere fragt ihn, wohin er geht, und er sagt es ihm und spricht ihm von jenem Oheim, den er noch nicht gesehen hatte. Der Jüngling versetzt darauf: »Schön! Auch ich gehe nach Portugal, so können wir mitsammen wandern.« So gingen sie und plauderten. Als sie aber an einen einsamen Ort gekommen waren, bleibt der Jüngling stehen, zieht eine Pistole heraus und sagt: »Gib wohl Acht; wenn wir bei deinem Oheim sein werden, werde ich mich als seinen Neffen vorstellen, du aber wirst mein Page sein. Wenn du nicht einwilligst, so töte ich dich.« Der Königssohn mußte wohl oder übel einwilligen.

Wirklich, als sie zu dem Oheim gekommen waren, stellte sich jener als seinen Neffen vor und wurde festlich empfangen. Der Page wurde in den Stall geschickt.

Eines Tages ging der falsche Neffe mit dem König durch den Palast, und sie stiegen in die Ställe hinunter, und der König zeigte ihm eine Stute und sagte ihm, sie gehöre seiner Frau, die könne sie aber nicht reiten, da es unmöglich sei, sie zu zähmen. Jener, der schon immer darüber grübelte, wie er den wahren Neffen zum Tode bringen könne, sagt zum König: »Da ist meinPage, der ist dafür berühmt, Pferde zu zähmen. Sicher wird er auch dieses zähmen.« – Damit rief er den Pagen und befahl ihm, die Stute zu zähmen, und weh ihm, wenn er's nicht täte. Der arme Page zog sich in den Stall zurück, um zu weinen, und wußte nicht, wie er's anstellen sollte, denn als ein Königssohn war er nicht gewöhnt, Pferde zu zähmen. Auf einmal fängt die Stute an zu sprechen und fragt ihn: »Warum weinst du?« – »Ich weine, weil ich dich zähmen soll und nicht weiß, wie ich das zustande bringe.« – »Sei guten Muts, ich werde mich zähmen lassen, halte dich nur an meiner Mähne fest und habe keine Angst.«

Als nun der Tag kam, wo er die Stute vor dem König zähmen sollte, steigt er auf, und die Stute macht ein paar Sprünge bis zum zweiten Stockwerk hinauf, er aber hielt sich an der Mähne fest und blieb sitzen. Endlich gab sich die Stute bezwungen. Der König bestieg sie, und sie ließ sich in der Tat ruhig lenken. Als aber auch der falsche Neffe sie besteigen wollte, gab sie ihm zwei Schläge mit den Hufen, so daß er eine Woche das Bett hüten mußte.

Eines Tages sprach der König mit dem falschen Neffen von einem Pferde, das sich in einem Nachbarlande befand und Belverde genannt wurde. Es war so bösartig, daß es alle Menschen fraß und niemand in jenem Lande wohnen konnte. Kaum hatte der falsche Neffe das gehört, ruft er seinen Pagen und befielt ihm, in jenes Land zu gehn und das Pferd Belverde zu töten. Der König sagte: »Aber wie soll der Knabe es fertig bringen, jenes Pferd zu töten?« – »Euer Majestät wird sehen, daß es ihm gelingt; er scheint bestürzt zu sein, aber beachten Sie es nicht.« – Der Page, in den Stall zurückgekehrt, fing an zu weinen. Die Stute redet ihn an und fragt, warum er weint, und er sagt es ihr. – »Verzweifle nicht,« sagt das Pferd. »Ich werde dir schon helfen. Sage dem König, er soll dir ein Kleid ganz aus Spiegeln machen lassen und dir einen sehr scharfen Säbel geben.[38] Das Kleid zieh an, nimm den Säbel und besteige mich, und dann werden wir hingehn, wo das Pferd Belverde sich befindet, du wirst sehen, es wird kommen, um dich zu fressen, es wird sich aber in den Spiegeln sehen und ruhig bleiben, um sich zu betrachten und sagen: Wie schön bin ich! Du aber wirst es indessen überfallen und mit dem Säbel ihm den Kopf abhauen.«

Er tat, wie die Stute ihm geraten hatte, und alles ging trefflich. Während das Pferd Belverde sich in den Spiegeln beschaute, hieb er ihm mit einem einzigen Säbelhieb den Kopf ab und trug ihn davon. Als er an das Tor der Stadt gekommen war, strömte das Volk ihm entgegen und holte ihn im Triumph herein, weil er eine so gute Tat vollbracht hatte. Der falsche Neffe biß sich auf die Lippen.

Als er aber mit dem Könige auf einen etwas vertrauteren Fuß gekommen war, faßte er sich eines Tages ein Herz, ihn zu fragen, was es mit der Tante auf sich habe, daß er sie nie zu sehen bekomme. – »Mein Lieber,« sagte der König, »deine Tante (Granadoro ist ihr Name) ist entwichen, und ich weiß nicht, wo sie sich aufhält. So viele haben sie gesucht, und keiner hat sie finden können.« – »Mein kleiner Page ist sehr mutig,« sagte der falsche Neffe. »Schicken wir ihn, sie zu suchen. Sicher wird er sie finden.« – Auf die Art dachte er ihn sich vom Halse zu schaffen, und befahl ihm auszuziehen und die Königin Granadoro zu suchen und nicht zurückzukehren, bis er sie gefunden hätte.

Die Stute sah den Pagen ganz betrübt und fragte ihn nach dem Grunde. Als sie ihn erfahren hatte, sagte sie: »Die Sache ist gefährlich, aber verliere nicht den Mut, ich werde schon sorgen. Laß dir ein neues Schiff geben und Mundvorrat auf ein Jahr für dich und mich und dann fort!«

Er bekam das Schiff und den Mundvorrat und sie schifften sich ein, er und das Pferd, ganz, ganz allein. Nachdem sie eine Strecke weit gesegelt waren, hören sie an die Schiffswand pochen. »Sieh, wer es ist!« sagte das Pferd. – Es war ein Fisch. –[39] »Nimm ihn und bring ihn in eine Kajüte.« Er tat es. Nach kurzer Zeit klopfte es wieder. Er sieht, wer es ist. Es war eine Schwalbe und auch die ließ er herein und tat sie in eine Kajüte. Ein bischen später hörte er wieder pochen. Es war ein Schmetterling. Er fing auch den und brachte ihn in eine Kajüte. Und weiter, weiter, endlich stoßen sie ans Land und steigen aus am Fuß eines Hügels, und auf dem Hügel stand ein schöner Palast. »Siehst du diesen Palast?« sagte das Pferd. »In dem wohnt Granadoro. Geh und klopfe an und sage, du willst zu Granadoro.«

Er geht also und klopft an, und ihm zu öffnen kommt Granadoro in eigner Person. – »Was wollt Ihr?« – »Granadoro.« – »Die bin ich selbst. Was wollt Ihr?« – »Euer Gemahl schickt mich, Euch zu holen.« – »Als ich von meinem Manne fortkam, warf ich meinen Ring mitten ins Meer. Wenn ich zu ihm zurückkehren soll, muß man ihn mir wiederbringen.« – »Ich verstehe!« antwortete er und ging. Er kam zu dem Pferde und sagte ihm das von dem Ringe. Das Pferd ruft den Fisch und sagt ihm, binnen drei Tagen müsse er Granadoros Ring finden. Der Fisch taucht ins Meer hinab und richtig, nach drei Tagen klopft er an die Schiffswand und hat den Ring im Maule. Der kleine Page nimmt ihn und bringt ihn Granadoro. »Schön!« sagte Granadoro. »Aber es ist noch nicht genug. Jetzt ist noch etwas anderes nötig. Seht Ihr den Berg dort?« (Es war ein[40] so steiler Berg, daß nicht einmal eine Ameise hinaufklettern konnte.) »Da oben ist eine Quelle, die alle zwei Stunden ein Tröpfchen auswirft. Hier habt Ihr ein Fläschchen, das füllt mit jenem Wasser und bringt es mir.«

Der kleine Page geht mit dem Fläschchen zu dem Pferde und zeigt es ihm. Das Pferd ruft die Schwalbe, die in der Kajüte ist, läßt ihr das Fläschchen auf den Rücken binden und sagt ihr, sie solle dort auf den Berg fliegen und es mit dem Wasser aus jener Quelle anfüllen. Und die Schwalbe fliegt, fliegt und kommt zu der Quelle und kehrt zurück mit dem gefüllten Fläschchen. Als der Page es Granadoro gebracht hatte, sagte sie zu ihm: »Es ist gut. Aber nun ist noch etwas anderes. Wir sind drei Schwestern, alle drei sich ähnlich und gleich gekleidet. Kommt morgen und seht uns, und wenn Ihr erkennt, welche Granadoro ist, dann komme ich wirklich mit Euch.«

Als das Pferd von dem Pagen hörte, was Granadoro gesagt hatte, nimmt es eine Schachtel, setzt den Schmetterling hinein, der in der Kajüte war, und gibt sie ihm: »Morgen gehst du und öffnest die Schachtel und achtest darauf, wer die ist, auf die der Schmetterling sich setzt. Die ist Granadoro.«

Damit ging er, und als er sah, daß der Schmetterling sich auf eine von den dreien setzte, nahm er sie bei der Hand und sagte gerade heraus: »Diese ist Granadoro.« – »Ja, ich bin es!« sagte Granadoro, »und jetzt bin ich bereit, dir zu folgen. Also gehen wir!«

Sie verließen den Palast und stiegen in das Schiff, und Granadoro war sehr erfreut, als sie ihr Pferd wiedersah, denn sie liebte es sehr. So stachen sie in die See und gelangten zum Könige. Der war sehr froh über die Rückkehr seiner Frau und machte dem kleinen Pagen, der sie ihm zurückgebracht hatte, tausend Liebkosungen. Der falsche Neffe war wütend und faßte den Verdacht, der Page hätte unterwegs Granadoro alles erzählt.[41]

Als die Essenszeit kam, spricht Granadoro zu dem falschen Neffen: »Sagt auch Eurem Pagen, daß er mit zu Tisch gehen soll.« – »Oh!« erwidert jener, »er wird zu schüchtern dazu sein. Er ist nicht gewöhnt mit hohen Herren zu Tisch zu sitzen.« – Aber Granadoro bat so dringend, daß es nicht möglich war, es ihr abzuschlagen. Da geht der falsche Neffe in den Stall, ergreift den Pagen, tötet ihn und versteckt die Leiche, dann kehrt er zu der Tafel zurück und sagt: »Unmöglich! Ich habe ihn sehr gebeten, aber er will nicht kommen. Er schämt sich.« – »Ich selbst will gehn, ihn zu bitten,« sagt Granadoro.

Gesagt getan, sie geht in den Stall, zieht den Körper unter dem Misthaufen hervor, wo jener ihn versteckt hatte, und mit dem Wasser, das die Schwalbe gebracht hatte, benetzt sie ihn und bringt ihn wieder zum Leben. Sofort trägt sie ihn zur Tafel, und dem falschen Neffen stand der Atem still. Dem Pagen schmeichelte sie, den falschen Neffen sah sie nicht einmal an, so daß der König fragte, warum sie den Neffen so behandle. Granadoro, die Feenkünste verstand und alles wußte, sagte: »Der rechte Neffe ist dieser hier« (und blickte den kleinen Pagen an); »der andere da ist ein Betrüger!« und erzählte alles Punkt für Punkt. Da wurde der Betrüger an den Galgen geschickt, der echte Neffe blieb einige Zeit vergnügt beim Oheim und kehrte dann zu seinem Vater zurück.


(Pisa)

Quelle:
Heyse, Paul: Italienische Volksmärchen. München: I.F. Lehmann, 1914, S. 35-42.
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