[29] Die drei Märchen des Papagaien.

[29] Es war einmal ein reicher Kaufmann, dem kam die Lust sich zu verheirathen, und er fand denn eine Frau, die war so schön wie der junge Tag, so gütig wie die Sonne, und liebte ihren Mann über alle maßen. Eines Tages kam der Kaufmann verdrießlich nach Hause, die Frau wollte wissen, was er habe. Er seufzte und sprach: »Ich muß eine weite Reise in Geschäften machen und soll dich hier allein zurücklassen, das verstimmt mich.« – »Wenn's weiter nichts ist«, sagte die Frau, »das ist nicht schlimm. Ihr schafft mir an, was ich zu essen und zu trinken brauche, laßt alle Thüren und Fenster, bis auf eines hoch in der Mauer, vernageln, richtet an der Thür eine Drehscheibe ein und reist unbesorgt ab: es kann mir nichts geschehen.« Der Rath gefiel dem Gemahl, er ließ Brot, Oel, Wein, Mehl und alles Nöthige ins Haus schaffen, vernagelte Thüren und Fenster bis auf eins, um Luft zu schöpfen, und richtete eine Drehscheibe ein, wie man sie in den Klöstern sieht. Dann hat er Abschied genommen und ist abgereist. Die Frau aber blieb allein mit der Magd zurück.

Es war eine Woche verstrichen, die Frau hatte nichts gethan als geweint, und das Herze that ihr weh. Die[30] Magd suchte sie zu trösten und sprach: »Was wollt Ihr weiter weinen? Ich weiß Euch eine Zerstreuung. Rücken wir den Tisch unters Fenster und blicken wir ein wenig auf die Straße hinab.« Die Frau war es zufrieden, sie zogen den Tisch heran und sie lehnte sich weit zum Fenster hinaus. Das that ihr wohl und ein lautes »Ah« kam aus ihrem Munde. Gegenüber dem Fenster aber war die Schreibstube eines Notars, der gerade mit einem Edelmann vor der Thür stand. Wie sie das »Ah« hörten, wenden sie sich, schauen zur Höhe und erblicken die junge Frau. »Oh, welch schönes junges Blut«, rief der Edelmann, »die muß ich sprechen.« – »Hoho!« rief der Notar dagegen, »zuerst werde ich sie sprechen.« Zuerst ich, zuerst du, so ging es herüber und hinüber, und das Ende war, daß sie vierhundert Goldstücke wetteten, wer der erste sein werde. Die Frau am Fenster merkte, um was es sich handelte, und zog sich alsbald zurück, und ihr Gesicht zeigte sich nicht mehr.

Der Edelmann und der Notar hatten keine Ruhe, jeder dachte die Wette zu gewinnen, und jeder sann auf Mittel, die Frau zuerst sprechen zu können. Der Notar lief hinaus aufs Feld, seinen Vetter, den Teufel, zu rufen. Der läßt sich nicht lange bitten, und wie ihm der Notar voller Hast seine Geschichte erzählt hat, fragt er ihn: »Was gibst du mir, wenn ich dir helfe?« – »Meine Seele!« rief der Notar. – »Die Seele? Gut, das ist deine Sache, jetzt verwandle ich dich in einen Papagaien. Da fliegst du und fliegst auf das Fenster jener Frau. Die Magd wird dich fangen und ihrer Herrin bringen, und die wird dich in einen schönen Käfig stecken. Was den Edelmann betrifft, so gib wohl Acht, der wird eine Alte zur Frau schicken, die muß locken und suchen die[31] junge Frau aus dem Hause zu bringen. Das darfst du nimmermehr geschehen lassen, du mußt ihr schmeicheln und fein bitten: ›Liebe Mutter mein, bleib hier, setz' dich hier, daß ich dir ein Märchen erzähle.‹ Dreimal wird die Alte kommen und jedesmal mußt du dich ganz ungeberdig stellen, mußt zappeln und schreien, dir die Federn ausraufen und rufen: ›Bleib, bleib! Die Alte will dich betrügen, bleib, ich will dir ein Märchen erzählen!‹ Dann erzählst du ihr, was dir gerade einfällt.« Darauf verwandelte er den Notar in einen Papagaien, der hob sich auf und flog geradeswegs in das Fenster der Kaufmannsfrau. Es geschah, wie der Teufel gesagt hatte: die Magd fing den Vogel, übergab ihn der Herrin und diese liebkoste ihn und sprach: »Welch schöner Vogel bist du, nun werde ich nicht mehr traurig sein!« Der Papagai antwortete: »Oh du Schöne, auch ich liebe dich!«

Inzwischen zersann sich der Edelmann, wie er es anfange, die Frau zu sehen. Begegnet ihm eine Alte, die fragt ihn: »Was habt Ihr, schöner Herr?« Unwirsch antwortete der Edelmann: »Ach, was geht das dich an. Laß mich in Frieden.« Da er aber weiter gehen wollte, hielt ihn die Alte fest und ließ ihn nicht, bis er, um nur loszukommen, ihr die ganze Geschichte erzählte. Da lacht die Alte und sagt: »Die Frau wollt Ihr sprechen? Dazu kann ich Euch schon verhelfen. Laßt einmal fürs erste zwei Körbe mit schönen Früchten füllen.« Das that der Edelmann, und nun ging die Alte mit den Früchten an die Thür der Frau, rief und gab sich für die Großmutter aus. Die junge Frau glaubte ihr, ein Wort gab das andere, und so sagte sie als Großmutter zur Enkelin: »Wie schade, du bist immer eingeschlossen, aber[32] des Sonntags hörst du doch wol die Messe?« Die Junge seufzte: »Wie kann ich die Messe hören, da ich hier eingesperrt bin?« – »Höre, meine Tochter«, gegenredete die Alte, »die Sache geht nicht gut, du versündigst dich, Sonntags mußt du ohne Zweifel die Messe hören, und da heute Festtag ist, laß uns sogleich gehen.« Die Frau war noch unschlüssig, da fing der Papagai zu schreien an, und wie sie die Kleiderlade öffnete, um die Festkleider herauszunehmen, rief er mit bittender Stimme: »Schöne Frau, bleib, bleib! Die Alte will dich betrügen, bleib, ich erzähle dir ein Märchen.« Die Sache kam der Frau jetzt selbst verdächtig vor, sie senkte den Kopf und sagte: »Geht, Großmutter, ich kann unmöglich mit Euch kommen.« Und die Alte ging fort. Wie sie fort war, setzte sich die Schöne zu dem Vogel; der strich seine Federn zurecht und fing an zu erzählen.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 29-33.
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