[186] O das Veilchen!

[186] Es waren einmal vier Schwestern, die saßen zusammen auf der Terrasse des Hauses und arbeiteten. Die jüngste war die schönste und die war eine Spinnerin. Wenn sie spann, hatte sie neben sich einen Topf mit Veilchen, und am Abend, wenn sie mit Spinnen aufhörte, begoß sie ihre Veilchen und sang dazu mit süßer Stimme ein Lied mit dem Ritornell: »O das Veilchen! das Veilchen!«

Eines Tages nun ging der Königssohn vorüber, sieht die vier Schwestern auf der Terrasse, und wie er die Stimme der jüngsten hört, entbrennt sein Herz in Liebe für sie und er sagt: »Schön ist die, welche liest, schön auch die, welche strickt, und die, welche näht, aber die, welche spinnt, hat mir mein Herz verwundet! O das Veilchen! das Veilchen!«

Da erfüllten sich die Seelen der drei ältern Schwestern mit Neid; daß die jüngste das Glück haben sollte, von jenem geliebt zu werden, ertrugen sie nicht, und so warfen sie das Schwesterlein eines Tages in eine tiefe Grube.

Im Grunde der Grube war eine Höhle, wo sich die Feen zu versammeln pflegten; auch an diesem Tage[187] fanden sie sich dort, und als sie das Mädchen, durch die Hände der Schwestern geworfen, herabfallen sahen, wo sie sich sicher den Hals gebrochen hätte, trugen sie sie auf Händen herab, und ganz sanft kam sie auf dem Grunde an. Und da war auch schon der Königssohn, der war verzaubert, und die Feen verschwanden. Das arme Mädchen hatte ein Herz voll Unschuld und wußte nichts vom Lauf der Welt. Sie liebte den Königssohn von ganzem Herzen, und wie sie denn so gar allein mit ihm war, geschah es, daß sie, ohne zu glauben eine Sünde zu thun, ihm zu Willen war.

Acht Tage hatte sie mit dem Geliebten in der Höhle verbracht, da hörte sie einst von oben her Stimmen, und wie sie hinaustrat, zu sehen, was es wäre, sah sie ihre drei Schwestern. Die verwunderten sich sehr, sie noch am Leben zu finden, merkten aber bald, daß dies nur durch Hülfe der Feen geschehen sein konnte. Sie sahen auch den Geliebten der Schwester, wie er aus der Grotte trat, in der Rechten ein Krüglein Wein, in der Linken eins mit Wasser. Er gab ihr von dem Wasser zu trinken und trank selbst vom Wein. Die drei Schwestern, die sich auf Zauberwerk verstanden, erkannten das Geheimniß des Weines und erriethen, daß der Schwester, sobald sie davon getrunken, die Augen aufgehen und sie erkennen müsse, welche Sünde sie begangen habe. Sie hofften, daß sie alsdann vor Scham am gebrochenen Herzen sterben werde, und sagten: »Schwester, wir bereuen so sehr, daß wir dich umbringen wollten; willst du dich aber retten, so ist es noch an der Zeit: trinke von jenem Wein im Krüglein, und du wirst gerettet sein.« Der Königssohn erschrak und erzürnte sich dermaßen über die Bosheit der Schwestern, daß er sie mit einer Verwünschung[188] vor einen Spiegel bannte, in welchem sie sich so häßlich erschienen, daß sie gingen und sich aufhängten.

Die arme Kleine aber hatte bereits vom Wein im Krüglein getrunken und ihre Schmach erkannt. Da fing sie bitterlich zu weinen an und vermochte dem Geliebten nicht mehr in die Augen zu sehen. Der ließ das Wasser der Höhle wachsen, daß es zum Fluß wurde, dahinein stellte er sich, und es ging ihm bis zu den Knöcheln, dann bis an die Knie, zuletzt bis an den Hals, und jedesmal hatte er zu dem Mädchen gesagt: »Gibst du mir keinen Kuß, ertränke ich mich.« Und sie hatte jedesmal wieder geantwortet: »Ertränke dich nur!« Denn sie zürnte ihm ob ihrer Schande. Da wurde er von den Wellen bedeckt.

Das Mädchen aber fand sich mutterseelenallein in einem Walde, nur eine Stimme aus der Luft rief ihr zu: »Deinen Bräutigam haben die Feen gerettet, sie trugen ihn in ihr Schloß!« Ganz betäubt von allem, was sie betroffen, machte sie sich auf die Wanderung, ohne zu wissen wohin. Acht Monde und neun Tage wanderte sie so über Berge, durch Wälder und Felder, ohne je einer lebenden Seele zu begegnen. Sie aß die Kräuter des Feldes und schlief zur Nacht in hohlen Bäumen oder in den Grotten des Gebirgs. Da sah sie einmal von weitem ein Licht, und wie sie darauf losgeht, kommt sie an einen Palast, das war der Palast der Familie ihres Bräutigams. Sie tritt hinein, gibt sich für eine arme Waise aus und bittet aus Barmherzigkeit um ein Nachtquartier. Die Königin läßt sie in einer Kammer des Palastes unterbringen, und in der Nacht kommt ein wunderschönes Knäblein zur Welt. Die Aermste, wie sie sich so allein findet mit dem Knäblein auf dem Arme,[189] wollte vor Schmerz und Scham sterben. Das Kind begann zu weinen, da hörte man in der Kammer eine süße Stimme, die sang ein Wiegenlied:


Schlaf', o schlafe, Söhnchen mein!

Wüßt' es dein Großmütterlein,

Würd' in goldnem Korb dich wiegen,

Dich in goldne Windeln schmiegen.

Schlaf', o schlafe, Söhnchen mein!


Das hörte die Kammerfrau und rief ihre Herrin. Die Königin kam zu sehen und fand das schöne Fräulein mit dem wunderschönen Neugeborenen. Da wollte sie wissen, wie das gekommen; das Mädchen erzählte ihr alles und verschwieg ihr gar nichts. Das Kind begann wieder zu weinen, und augenblicks fing auch das Wiegenlied wieder an. Jetzt merkte die Königin, daß da die Stimme ihres Sohnes war. Sie küßte die junge Mutter und das Kind und rief: »O, ihr Feen, wer wird mir meinen Sohn wiederbringen, den ich seit neun Monden verloren?« Da rieth ihr die Kammerfrau, alle Feen zu einem Mahle einzuladen, und sagte: »Euer Sohn wird mit ihnen unter der Gestalt eines schönen Vogels erscheinen und sich auf den Tisch setzen und anfangen zu singen. Dann ergreift ihn schnell und ruft: ›Ich will meinen Sohn, ich will, ich will ihn!‹ Und Euer Sohn wird vor Euch stehen, und die Feen werden ihn Euch mit Freuden überlassen.« Die Königin that genau so, wie ihr die Kammerfrau gerathen hatte. Der Vogel kam und wurde alsbald zum schönen Jünglinge, der er als Prinz gewesen war. Die Königin und die Feen umarmten mit tausend Freuden seine Braut, und mit Sang und Klang und großer Pracht wurde die Hochzeit gefeiert.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 186-190.
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