[182] Die böse Gräfin.

[182] Es waren einmal zwei Schwestern, davon war die eine elend und arm, die andere reich und glücklich, denn sie war eine Gräfin. Die Arme hatte drei Töchter, die Reiche eine einzige, die war aber häßlich wie die Nacht. Eines Tages wurde die Arme, da sie kein Geld hatte, die Miethe zu zahlen, auf die Straße gesetzt. Die Zofe der Gräfin sah sie stehen, ging zu ihrer Herrin, erzählte und bat sie so lange, bis diese erlaubte, die Obdachlosen in einer Rumpelkammer unter der Treppe zu beherbergen. Am Abend setzten sich die drei Mädchen unter die Laterne der Hausthür und arbeiteten da, denn sie konnten kein Oel ins Lämpchen kaufen. Wie das die böse Gräfin hörte, befahl sie, die Laterne zu löschen. Nun spannen und webten die Mädchen nur noch im Mondlichte.

Eines Abends wollte die Mittlere arbeiten bis zum Monduntergange, und immerfort spinnend ging sie dem Monde nach. Unterwegs kam ein Unwetter und scheuchte sie in ein nahes großes Haus. Dort fand sie zwölf Brüder. Die fragten sie: »Wie bist du hierher gekommen, meine Tochter?« Und sie erzählte ihre Geschichte. Da sagte der älteste und wünschte ihr: »Daß du noch immer an Schönheit wachsen mögest!« Der[183] zweite: »Daß dir beim Kämmen Perlen und Granaten aus den Haaren fallen mögen!« Der dritte: »Daß dir beim Waschen allerlei Fische aus den Händen hervorschlüpfen mögen!« Der vierte: »Deine Worte sollen zu allerlei duftenden Blumen werden!« Der Fünfte: »Die Arbeit soll dir schneller von statten gehen als jeder andern!« Der sechste: »Deine Wangen sollen gleich zwei rothen Aepfelchen leuchten!« Darauf wiesen sie ihr den Weg und riethen ihr, sich auf des Weges Mitte noch einmal umzusehen. Das that sie und wurde nun noch schöner denn zuvor.

Zu Hause angekommen, nahm sie eine Schüssel, wusch sich, und da füllte sich die Schüssel mit köstlichen Aalen, die sprangen und schlangen sich, als ob sie eben erst gefangen worden wären. Wie staunten Mutter und Schwestern, und mehr noch, als sie die Geschichte erfuhren. Sie kämmten ihr die Haare, da fielen Perlen und Edelsteine heraus, die lasen sie auf und brachten sie der Gräfin. Die wußte nicht, was sie denken sollte, doch als auch sie die Geschichte gehört, beschloß sie, ihre Tochter hinzuschicken, damit ihr gleiche Gaben verliehen würden.

Am Abend setzte sich die Tochter auf den Balkon, und als der Mond untergehen wollte, stand sie auf und ging ihm nach. Wirklich kam sie auch an das Haus, wo die zwölf Brüder wohnten, und trat hinein. Die Brüder erkannten sie und der älteste wünschte ihr: »Daß du noch häßlicher werden möchtest, als du bereits bist!« Der andere: »Daß deine Worte sich in Schmuz und Koth verwandeln!« Der dritte: »Beim Kämmen sollen deinen Haaren Schlangen und Nattern entfallen.« Der vierte: »Wenn du dich wäschst, sollen unter deinen Händen giftige Würmer entstehen.« Und so fort. Darauf[184] schickten sie das Mädchen heim. Die Gräfin hatte die Rückkehr der Tochter kaum erwarten können. Sie lief ihr voll Freude entgegen. Wie groß aber war ihr Schreck, da die Tochter um so viel häßlicher denn zuvor nach Hause kam. Sie fragte, wo sie gewesen, und da jene zu sprechen anfing, verbreitete sich alsbald ein übler Geruch. Die Gräfin wollte verzweifeln. –

Das schöne Mädchen saß eines Tages vor der Thür, als der König vorüberkam, sie sah und alsbald in heftiger Liebe für sie entbrannte. Er wollte sie zur Braut haben, sprach mit der Gräfin darüber, sie konnte nicht Nein sagen, und so reisten sie am nächsten Tage nach der Stadt des Königs ab, begleitet von der bösen Gräfin. Ehe sie die Stadt erreichten, stieg der König aus, um vorauszueilen und den Empfang bereiten zu lassen. Da faßte die Gräfin den bösen Gedanken, der Schönen die Augen auszukratzen, sie in eine Höhle zu stecken, ihre Tochter an deren Stelle zu setzen und sie dem Könige zuzuführen. Und so geschah es.

Wie der König die häßliche Braut sah, erschrak er. Er fragte sie, und kaum that sie den Mund auf, so verbreitete sich jener böse Geruch. Er fragte die Gräfin: »Wie geht das zu?« Und diese antwortete: »Herr König, Euere Braut ist unterwegs verhext worden.« Das wollte er jedoch nicht glauben und warf die Gräfin ins Gefängniß. –

Unterdessen schmachtete die wirkliche Braut in der Höhle, jammerte und rief um Hülfe. Ein alter Mann ging vorbei, und als er jene Stimme hörte, trat er herzu, fand die Unglückliche und führte sie mit sich in sein Haus. Dort angekommen, mußte der Alte ihre Diamanten verkaufen, und von dem Gelde befahl sie ihm, zwei[185] Körbe mit Rosen zu füllen. »Geh mit diesen Rosen«, sagte sie, »unter die Fenster des Königs und sage, daß du für die Rosen Augen eintauschen wollest.« So that der Alte, eine Frau rief ihn und gab ihm für die Rosen ein Auge. Das brachte er dem Mädchen, und dieses wurde auf einem Auge sehend. Am nächsten Tage wiederholte sich dasselbe, und nun sah sie auf beiden Augen. Jene Frau war die böse Gräfin, sie gedachte den König doch noch zu betrügen, indem sie ihn glauben machen wollte, der Duft der Rosen käme aus dem Munde ihrer Tochter. Das half ihr aber nichts.

Kaum hatte die rechte Braut ihr Augenlicht wieder, so machte sie sich daran, ein Tuch zu sticken, und stickte in die Mitte desselben ihr Bild. Das Tuch hängte sie in der Nähe des Königspalastes auf. Der König kam vorüber, sah das geliebte Bild und ließ den Alten rufen, von ihm zu erforschen, wer dies Tuch gestickt habe. Der Alte berichtete alles und führte den König selbst zu der Schönen. Da erkannte er seine Braut und nahm sie mit sich in das Schloß. Jetzt wurden sie glücklich, alles Leid war vorbei; die böse Gräfin aber mußte mit ihrer Tochter im Gefängnisse verschmachten.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 182-186.
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