[179] Vom Hündlein Fortuna.

[179] Es war einmal eine Mutter, die hatte einen einzigen Sohn, der wollte lieber in die Schule gehen, um zu lernen, als auf das Feld, den Boden zu hacken. Die Mutter aber war vom Stamme der Bauern, und das Treiben des Sohnes misfiel ihr gar sehr. Sie fing an ihn zu hassen und beschloß endlich gar, ihn durch Gift aus der Welt zu schaffen. Sie buk einen Brotkuchen mit Gift darin, und als eines Tages der Sohn aufs Feld ging, gab sie ihm den Kuchen, daß er ihn esse.

Der Sohn hatte ein Hündlein, Fortuna mit Namen, das liebte er über die maßen, also, daß er nie einen Bissen aß, ohne vorher dem Hündlein etwas gegeben zu haben. Das that er auch heute, als er sich setzte, den Brotkuchen zu verzehren. Wie erstaunte er aber und wie groß war sein Schreck, als das arme Thier augenblicks todt umfiel. Da merkte er, wie bös seine Mutter war, und er beschloß, nicht mehr zu ihr zurückzukehren. Mit Thränen in den Augen entfernte er sich von der kleinen Leiche und schaute sich von Zeit zu Zeit noch nach derselben um. Plötzlich sieht er etwas Schwarzes sich um den todten Hund her bewegen; er kehrt zurück, um zu sehen, was es sei, und findet vier Raben, die hatten sich über das Fleisch[180] der Fortuna hergemacht und hatten sich gleicherweise vergiftet. Er nimmt zwei von ihnen, steckt sie in seinen Quersack und wandert in die Weite.

So kommt er in einen Wald und findet sechs Räuber, die hatten Hunger und nahmen dem Knaben die Raben ab. Sie bereiteten und verzehrten sie, ohne dem Knaben das kleinste Stück davon zu geben, und starben alle sechs. Darauf sah er einen Vogel auf einem Baume, er nahm die Flinte eines der todten Räuber und schoß danach. Anstatt jedoch den Vogel zu treffen, traf er das Nest, welches nahebei war, und es fiel herab. Er fand zwei kleine Eier mit den noch nicht ausgeschlüpften Jungen drinnen, die steckte er bei und schritt fürbaß. Er kam über einen Fluß, worüber eine Brücke führte, und fand sich in einem dichten Walde, durch welchen der Fluß lief. Die Nacht war da, und er hatte Hunger. Er zog die Eier hervor und kochte sie beim Feuer eines Büchleins, das er bei sich getragen und angezündet hatte, und aß sie. Dann legte er sich auf der Brücke zum Schlafen zurecht.

Am Morgen erreichte er eine große Stadt, an deren Mauern hingen große Zettel, auf denen geschrieben stand: »Wer der Königstochter ein Räthsel aufgibt, so schwer, daß sie es nimmer erräth, wird sie freien und König sein. Erräth sie es aber, wird ihm der Kopf abgeschlagen werden.« Da dachte er, sein Glück zu versuchen, ging zu der Königstochter, machte ein Räthsel von dem, was ihm auf seiner Wanderung geschehen, und sprach:


Es ist ein Ding so klein,

Gar schön und auch gar fein:

Ist es denn so schön und fein,

Rathe mir, was mag es sein?[181]

Die Mutter hatt' auf mein Ende gedacht,

Das hat Fortuna den Tod gebracht,

Wegen Fortuna starben vier,

Wegen der vier blieben sechse mir.

Schoß was ich sah, und traf versteckt

Was ich mit Augen nicht entdeckt.

Geschaffnes Fleisch, noch nicht geboren,

Hab' zum Mahl ich mir erkoren;

Da ich kein andres Feuer vermocht,

Hab' mit gedrucktem Wort ich's gekocht.

Dann schlief zwischen Himmel und Erde ich ein:

Nun rathe das, o Königin mein!


Aber die Prinzessin konnte es nicht errathen, und der Jüngling mußte es ihr erklären. Wie sie die traurige Geschichte gehört hatte, umarmte sie ihn und sagte: »Lieber Knabe, du liebtest Fortuna so sehr, die ist jetzt todt und starb, um dich glücklich zu machen. Jetzt laß dich umarmen und sei mein Gemahl.«

Darauf wurde die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 179-182.
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