[121] Schneeweiß - Feuerroth.

[121] Es war einmal ein König und eine Königin, die hatten noch kein Kind und wünschten sich doch so sehr, eins zu besitzen. Sie thaten auch ein Gelübde und versprachen, so ihnen ein Kind geboren werde, sieben Jahre lang zwei Fontainen springen zu lassen: die eine mit Oel, die andere mit Wein. Und siehe, ihr Wunsch wurde erfüllt: die Königin bekam einen wunderschönen Sohn.

Alsogleich wurden auch die zwei Fontainen errichtet, und die Leute aus dem Lande kamen und schöpften Oel und Wein sieben Jahre lang. Wie die sieben Jahre um waren, hörten sie auf zu fließen. Da kam ganz zuletzt noch eine Hexe. Sie fand die Brunnen vertrocknet, nahm einen Schwamm, trocknete die letzten Tropfen auf und drückte sie in ein Fläschchen. Bei diesem Geschäft sah sie der junge Königssohn, und da er gerade mit Kugeln spielte, wirft er sie, muthwillig wie er war, der Alten gegen die Flasche, daß sie zerbricht. Da drohte ihm die Alte und sprach: »Ich kann dir nichts anthun, denn du bist des Königs Sohn, aber das lasse ich dir: nicht Rast und nicht Ruhe findest du und nicht heirathen kannst, solange du nicht Schneeweiß-Feuerroth[122] findest.« Der kluge Knabe merkt sich die Worte der Alten und schreibt sie auf ein weiß Papier, das er verschließt, sagt aber niemand etwas davon.

Wie er achtzehn Jahre alt geworden, wollten ihn sein Vater und seine Mutter verheirathen. Er gedachte der Verwünschung, nahm das Papier hervor und sagte: »Ehe ich nicht Schneeweiß-Feuerroth finde, kann ich mich nicht verheirathen.« Er verabschiedete sich also von seinen Aeltern und zog mutterseelenallein in die weite Welt hinein. Er ging und suchte, Monate verstrichen, aber er fand nichts. So fand er sich eines Abends müde und erschöpft auf freiem Felde, in dessen Mitte ein Haus stand. Am Morgen sah er eine Hexe kommen, eine Ungestalt mit einem Gesicht, das Schrecken einflößte, die ruft: »Schneeweiß-Feuerroth, laß mir deine Zöpfe herunter, daß ich hinaufsteigen kann.« Wie er den Namen hört, kehrt ihm der Muth zurück, und er sagt: »Hier also ist sie!« Indessen hat auch Schneeweiß-Feuerroth ihre langen Zöpfe heruntergelassen, und an ihnen kletterte die Hexe hinauf. Oben angekommen, setzte sie sich zum Essen, das konnte der Prinz sehen, der hinter einem Baume versteckt war.

Andern Morgens stieg die Hexe wieder herunter, und kaum war sie fort, so kam er hinter dem Baume hervor und rief: »Schneeweiß-Feuerroth, laß mir deine Zöpfe herunter, daß ich hinaufsteigen kann.« Jene glaubte, es sei die Alte, löste ihre Zöpfe, und der Königssohn stieg hinauf. Wie er oben war, sagt er: »Ach, mein Schwesterchen, was habe ich ausgestanden, um dich zu finden!« Und er erzählte ihr seine Geschichte, die Verwünschung der Hexe, da er noch sieben Jahre alt war.

Sie ist freundlich zu ihm, reicht ihm Speise und[123] Trank und sagt ihm: »Hüte dich, schöner Jüngling denn findet dich die Hexe hier, so frißt sie dich. Verbirg dich also.« Schon kam die Drachenmutter über das Feld her, und der Königssohn verbarg sich. Sie rief von unten: »Schneeweiß-Feuerroth, laß mir deine Zöpfe herunter, daß ich hinaufsteigen kann.« Das Mädchen, um sie freundlich zu stimmen, ruft eilig: »Ich komm' schon, ich komme, meine Mutter!« Und läßt ihre Zöpfe hinab. Droben beim Essen dient sie ihr freundlich und gibt ihr dann wacker zu trinken, bis sie trunken war. Dann schmeichelte sie ihr und sprach: »Mütterchen mein, was doch müßte ich thun, um von hier fortzukommen? Nicht daß ich die Meinung hätte, Euch zu verlassen, denn ich bin ja gern bei Euch, aber der Neugierde wegen. Bitte, sagt es mir, Mütterchen!« – »Was du zu thun hast, um hier herauszukommen? Ah, das ist schwer. Da mußt du alles, was hier ist, bezaubern, daß ich Zeit verliere. Ich rufe und statt deiner muß mir der Stuhl antworten, der Schrank, die Lade. Wenn du dann dich nicht am Fenster zeigst, steige ich hinein, dich zu suchen, und finde ich dich nicht, verfolge ich dich. Da ist es nöthig, daß du dir die sieben Fadenknäuel verschaffst, die ich verwahrt halte, denn erblickst du mich hinter dir, mußt du das erste davon fortwerfen, um mich aufzuhalten, und so nach und nach alle andern bis zum siebenten.«

Das Mädchen behielt die Worte der Hexe gar wohl im Gedächtniß, sie freute sich in ihrem Herzen, verhielt sich jedoch still. Als die Hexe am andern Morgen weggegangen war, berieth sie mit dem Königssohne, was sie zu thun habe. Sie lief durch das ganze Haus und rief die Dinge an: »Tischlein mein, wenn die Mutter kommt, antworte du für mich! Stühlchen mein, antworte du[124] für mich, und du Schränkchen!« So verzauberte sie alles, steckte die Knäuel zu sich und entfloh mit dem Jünglinge, schnell, wie zwei Vögel.

Wie die Hexe zurückkommt, ruft sie wie gewöhnlich: »Schneeweiß-Feuerroth, laß mir deine Zöpfe herunter, daß ich hinaufsteigen kann!« Da antwortete das Tischchen: »Ich komme, Mutter, ich komme!« Sie wartete ein Weilchen, und als niemand kam, wiederholte sie ihren Spruch. Da antwortete das Schränkchen: »Mutter, ich komme schon, ich komme!« Wieder wartet sie ein Weilchen. Wie auch jetzt niemand kommt, ruft sie aufs neue hinauf, und jetzt antwortet die Lade: »Ich komme!« So gewannen die Flüchtlinge Zeit und liefen, was sie laufen konnten. Da aber im Hause nichts mehr war, was Antwort geben konnte, merkte die Alte, was geschehen, und schrie: »Verrath! Verrath!« Sie setzt rasch eine Leiter an, steigt hinauf, sucht das Mädchen, findet es nicht, findet auch die Fadenknäuel nicht und ruft: »Ei du Verruchte, das hast du mir gethan? Jetzt will ich dein Blut trinken!« Und nun lief sie, dem Geruche folgend, hinter den Flüchtigen drein. Nach langem Laufen erblickte sie die beiden in der Ferne und rief: »Schneeweiß-Feuerroth, sieh dich um, ich komme.« Hätte sich diese nun umgeschaut, so wäre sie verzaubert worden. Sie warf aber, wie die Hexe näher kam, das erste Knäuel hinter sich, und da erhob sich ein hoher Berg auf dem Wege. Der hielt die Hexe wol etwas auf, dennoch erklimmte sie ihn und erreichte drüben bald wieder die Fliehenden. Das Mädchen wirft das zweite Knäuel, und augenblicklich erscheint eine Fläche voller Messer und Stacheln, sodaß die Alte beim Darüberlaufen ganz zerschnitten und zerstochen wurde und das Blut nur so von[125] ihr troff: dennoch war sie hinterdrein. Da wirft Schneeweiß-Feuerroth das dritte Knäuel, und ein entsetzlicher Strom rauscht hervor, den die Hexe nur mit Mühe durchschwimmt. Halb todt steigt sie ans andere Ufer, aber die Verfolgung setzt sie fort. Dem Flusse folgt eine Quelle voll giftiger Schlangen, dann andere Schrecknisse, und die Hexe, todmüde geworden, muß innehalten, schleudert aber dem Mädchen eine Verwünschung nach und ruft: »Daß dich der Königssohn beim ersten Kusse seiner Mutter vergesse!« Sie schrie so laut, daß ihr die Brust zersprang, so starb sie. –

Der Jüngling wandert und wandert mit seinem Mädchen, und endlich erreichten sie die Heimat, wo der Palast des Königs stand. Da sprach er zu dem Mädchen: »Bleibe hier und warte, bis ich zurückkomme. Deine Kleider würden sich für den Königspalast nicht schicken, ich gehe dir schönere zu holen, um dich alsdann meinem Vater und meiner Mutter zuzuführen.« So blieb sie.

Wie die Königin ihren geliebten Sohn wiedersieht, wirft sie sich ihm an die Brust, um ihn zu küssen. Er hält sie zurück und sagt: »Theuere Mutter, küsse mich nicht, ich habe ein Gelübde gethan, mich von dir nicht küssen zu lassen.« Der Mutter thut das Herz weh und sie vermag sich solches nicht zu erklären, brannte aber vor Verlangen, dem Sohne den Kuß zu geben. Als er nun eines Nachts im tiefen Schlafe lag, schlich die Mutter in seine Kammer und küßte ihn ...

Schneeweiß-Feuerroth war vergessen. –

Einsam stand das Mädchen mitten auf der Straße, ohne zu wissen wo und wohin. Kam eine Alte des Weges und sah das Mädchen, schön wie die Sonne, und[126] wie es weinte bitterlich. »Was hast du, meine Tochter?« – »Was soll ich haben? Ich weiß selber nicht, wie ich hierher gekommen.« Die Alte tröstete sie und lud sie ein, mit in ihr Haus zu kommen. Das Mädchen hatte geschickte Hände zu aller Arbeit und wußte auch um die Zauberei. Sie fertigte jetzt feine Sachen und die Alte ging, sie zu verkaufen; so brachten sie beide ihr Leben durch. Eines Tages verlangte die Junge, die Alte solle ihr zwei Flicken Zeug aus dem Königsschlosse bringen, sie brauche sie zu einer Arbeit. Die Alte ging und brachte wirklich die Flicken. Nun waren da zwei Tauben, ein Männchen und ein Weibchen, die bekleidete Schneeweiß-Feuerroth fein säuberlich mit Kleiderchen, die aus den Flicken gemacht waren, sodaß es eine Pracht war, sie zu sehen. Darauf flüstert sie den Thieren in die Ohren und sagt: »Du bist der Prinz und du bist Schneeweiß-Feuerroth. Der König sitzt zu Tisch und ißt, so fliegt hin, erzählt ihm alles, was ihr erlebt.« Da nun König und Königin, der Königssohn und alle Großen zu Tische saßen, kommen die schönen Tauben herein und setzen sich zumitten auf dem Tische nieder. Alle staunten und riefen: »Wie schön sind sie!« Jetzt fing die Taube, welche Schneeweiß-Feuerroth sein sollte, an zu sprechen: »Lange ist es her, doch weißt du noch, wie dein Vater die Springbrunnen mit Wein und Oel versprach, daß du geboren werdest. Weißt du noch?« Und der Tauber antwortete: »Wohl weiß ich es noch.« Dann fuhr die Taube fort: »Denkst du noch an die Alte, der du das Fläschchen zerbrachst? Denkst du daran?« Und wieder antwortete der Tauber: »Ich denke daran.« – »Und hast du die Verwünschung vergessen, welche dir die Alte zurief, nicht heirathen zu dürfen, wenn du[127] nicht Schneeweiß-Feuerroth gefunden? Hast du sie vergessen?« – »Ich habe sie nicht vergessen«, erwiderte der Tauber. So gemahnte ihn die Taube nach und nach an alles, was geschehen war und was sie gemeinschaftlich erlebt hatten. Zuletzt sagte sie: »Weißt du noch, wo die Alte uns nachlief, und hast du die andere Verwünschung vergessen: vom Kuß der Mutter? Hast du Schneeweiß-Feuerroth doch vergessen?« Wie die Taube von dem Kusse sprach, fiel es dem Königssohn wie Schuppen von den Augen, der König und die Königin wußten sich keine Deutung.

Dann nickten die Tauben, flogen zum Fenster und vom Fenster schwangen sie sich in die blaue Luft hinein. Der Königssohn rief: »Heda, schaut mir, wohin diese Tauben fliegen! Gebt Acht, wohin sie fliegen!« Die Diener laufen und sehen, wie sie sich auf einer Hütte im freien Felde niederlassen. Zu dieser Hütte eilt der Königssohn, findet richtig Schneeweiß-Feuerroth, umarmt sie und ruft: »Ach, du Aermste, was hast du um meinetwillen leiden müssen. Doch jetzt komm, alles ist gut!« Er führte sie zu seiner Mutter, die staunte und sagte: »Was für eine Schönheit bringst du da!« Er erzählte seine Geschichte und erbat sich Schneeweiß-Feuerroth zur Frau. Die Aeltern waren es wohl zufrieden, man wechselte die Ringe und feierte die Hochzeit mit großer Pracht und Herrlichkeit.


Das waren sie, und wir?

Wir sitzen nüchtern hier.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 121-128.
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