[117] Die Gaben des Nönnleins.

[117] Es waren einmal ein paar arme Leute, die lebten ihre Tage gar kümmerlich dahin. Wie der Vater eines Tages in den Wald auf die Arbeit gehen mußte, sagte er zu seiner Frau: »Wenn die Suppe fertig ist, schicke sie mir durch unser Töchterlein zu.« Die Suppe war gekocht, und die Tochter sollte sie hinaustragen, fürchtete sich aber den Weg zu verlieren. Da gab ihr die Mutter eine Schürze voll Kleien, sie hinter sich auf den Weg zu streuen, damit sie den Rückweg finde. Wie sie beim Vater war, wehte ein starker Wind und verwehte die Kleien; so fand sie den Rückweg nicht. Es dunkelte bereits, und sie fing an zu weinen und zu sprechen: »Jetzt kommt die Nacht, ich finde mich nicht mehr nach Hause! Ach, was fang' ich an.« Wie sie gar so sehr weinte, tritt ein Nönnlein daher, tröstet sie und zeigt ihr den rechten Weg, schenkt ihr auch ein Tafeltüchlein und sagt: »Nimm dies, das wird euch in euerer Armuth gar gut helfen, denn willst du essen, brauchst du nur zu sagen, was du wol möchtest.« Das Mädchen hörte auf zu weinen und machte sich zufrieden auf den Heimweg, und weil sie gerade hungerig ward, setzte sie sich an dem Feldrande nieder, verlangte bescheidentlich von[118] dem Tüchlein ein wenig Mehlbrei, Fleisch und Brot, und siehe! das Tüchlein gab ihr alles.

Voller Freude zeigt sie der Mutter die Gabe, ihr die Kraft des Tüchleins rühmend, und da der Vater nach Hause kommt, setzen sie sich alle drei um den Tisch, das Mädchen wünscht Speise und Trank herbei, und sie essen und es bleibt noch in Fülle übrig. So lebten sie von da an herrlich und in Freuden.

Der Bruder des Vaters, ein reicher Geizhals, der die Leute bisher als blutarm gekannt hatte, verwunderte sich jetzt baß über das Leben dieser Familie. Er wollte wissen, wie dies zugehe, und kam eines Tages und fragte die Frau: »Sag' mir doch, wie mag es geschehen, daß ihr auf einmal ein so prächtiges Leben führt, ihr müßt ja goldene Schätze gefunden haben?« Wie sie im Elend waren, hatte er sie nie besucht, und jetzt, wo er nicht zu fürchten brauchte, daß sie von dem Seinen verlangten, stellte er sich doch, als ob er in der Noth wäre, und verlangte Hülfe von dem Bruder, dem er nie welche hatte angedeihen lassen. Der mochte es nicht glauben, war aber gutmüthig genug und erzählte dem reichen Bruder die Geschichte von der Gabe des Nönnchens und zeigte das Wundertüchlein vor. Wie es kam, wer weiß das? Kurzum, der Reiche ließ nicht nach mit Drängen und Drohen, bis er das Tüchlein in der Tasche hatte und es nach Hause trug. So war die Freude der Armen auf einmal aus. Dem Bruder aber gab das Tüchlein nichts her.

Wie nun der Arme eines Nachts mit knurrendem Magen im Bett liegt, erscheint ihm das Nönnlein und macht ihm Vorwürfe, daß er ihre Gabe so leichtsinnig verschenken konnte. Er fängt zu jammern an und erzählt[119] ihr, wie er seinem Bruder, der sich über Hunger beklagte und ihm den ganzen Tag in den Ohren lag, diese seine Bitte um das Tüchlein nicht habe abschlagen können. »Aber gebt mir ein anderes«, schloß er, »ich werde es besser benutzen. Gebt mir ein anderes, oder wir sterben vor Hunger.« Das Nönnlein neigte sich ihm in Gunst und gab ihm ein zweites Tuch. »Aber«, sagte sie, »das dient dir und deiner Frau und deinem Kinde, sonst niemand mehr. Verschenkst du auch dieses, so erwarte nichts mehr von mir.«

Am nächsten Mittag breiteten sie das Tüchlein über den Tisch, und wiederum hatten sie, was sie wünschten an Speise und Trank. Der Bruder und dessen Frau lagen auf der Lauer, und gar bald wußten sie, woher denen das neue Glück gekommen. Sofort ging er wieder zu seinem Bruder, und es geschah nochmals, was nicht hätte geschehen sollen: der Bruder zeigte sich verhungert und arm, und der andere, gutmüthig wie er denn war, ließ sich von ihm auch das zweite Tuch abschwatzen, und die alte Noth begann von neuem.

Zu spät kam ihm die Reue, und er bat das Nönnlein, ihm zu erscheinen, er wolle ihr seine neue Bedrängniß vortragen. Sie kam, war aber bös und sprach: »Du hast gute Geschäfte gemacht! Auch die zweite Gabe hast du verschleudert? Nun will ich nichts mehr von dir wissen.« Sein Flehen bewegte sie aber doch, und als er fest versprach, daß er nicht wieder so dumm sein werde, sagte sie: »Hier ist ein neues Tüchlein und ein Stock. Kommt dein Bruder wieder und bedrängt dich, auch dieses aus dir herauszulocken, so befiehlst du dem Stocke und er wird ihm und dir, der in seiner Beschränktheit sein Bestes weggibt, die Wege weisen. Und[120] damit du lernst, wie es gemacht wird, will ich dir eine Probe geben, verdient hast du sie!« Sie rief: »Stock, schlag zu!« Und der Stock tanzte auf dem Rücken des Mannes herum, bis er versprach, fortan vernünftiger zu sein. Er hat auch sein Wort gehalten.


Märchen gesagt und Märchen gesungen,

Erzähle jetzt deines, denn meins ist verklungen.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 117-121.
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