[111] Die Kaiserin Trebisonda.

[111] Es war einmal ein Meerfischer, der wünschte sich seit langem schon einen Sohn, seiner Frau aber schien das Mutterglück versagt zu sein, und so hatten sie an nichts mehr Freude. Nach Jahren endlich ward ihre Bitte erhört und sie bekamen einen wunderschönen Sohn. Wie es nun kam, wer weiß das? Aber nach der Geburt des Kindes drehte sich das Glücksrad, sodaß der Vater kein einziges Fischlein mehr bestricken konnte, sodaß es seiner Familie gar oft an dem Nöthigsten fehlte. Inzwischen war Joseph, so hatten sie den Sohn genannt, herangewachsen, da sagte eines Tages der Vater zu ihm: »Mein Sohn, ich weiß nicht mehr, woher Brot schaffen, das Meer will mir nichts mehr geben, gehen wir hinaus in den Wald und schneiden wir dort Holz.«

Sie gingen und arbeiteten wacker mit Säge und Axt, als sie eine Stimme hörten, die rief: »Heda, ihr Wichte, was macht ihr da? Der Wald ist mein, wie dürft ihr hier Holz fällen?« Der Fischer schaut auf und erblickt eine schöne Frau, er zieht seine Mütze vor ihr und sagt: »Verzeiht mir, o Herrin! Der Hunger trieb uns zu diesem Werke, ist es unrecht, wir haben's nicht gewußt.« Die Frau antwortete: »Arm bist du?[112] So nimm diesen Beutel mit Gold und laß mir deinen Sohn, du kannst nach Hause gehen.«

Der Vater wurde sehr betrübt und begann zu weinen; nach besserer Ueberlegung aber meinte er, es wäre besser so und das Glück seines Sohnes, so nahm er das Geld und ließ seinen Sohn zurück. Wie er fort war, fragt die Frau den Sohn nach seinem Namen: »Joseph.« – »Nun, Joseph, so komme mit mir in jenen Palast.« Kaum jedoch waren sie eingetreten, so fand sich der Jüngling allein, und ein großes Gefolge trat an ihn heran, das ihn mit allen Ehren umgab. »Wir sind Ew. Majestät unterthänigste Knechte!« ... »Was befiehlt Ew. Majestät« ... so scholl es von allen Seiten, und Joseph, der sich nicht denken konnte, daß man diese Worte an ihn richte, schaute sich um, ob irgendwer Großes hinter ihm stände. Man führte ihn mit Bücklingen und Reverenzen in einen Saal, wo eine reichgedeckte Tafel stand; an diese mußte er sich setzen, und wieder warteten sie ihm auf, als ob er ein König wäre. Am Abend wurde er in das Gemach der Kaiserin Trebisonda geführt.

So floß ein Jahr voll Lust und Herrlichkeit dahin, am Ende dieses aber kam Joseph die Lust, Vater und Mutter wiederzusehen, und sein Herz wurde von Sehnsucht ergriffen. Da sagte er eines Tages zu der Kaiserin: »Herrin, meine Seele verlangt nach Vater und Mutter, laß mich hinziehen, ich komme dir wieder zurück.« Sie willigte ein, sprach aber: »Du darfst gehen, aber genau nach einem Jahre mußt du wieder hier sein. Kommst du um Einen Tag zu spät, dann wehe dir und den Deinen! Nimm noch diesen Ring, bist du treu, so wird er dir in allen Lagen dienen.«[113]

Joseph verließ sie und ging geraden Weges zum Hause seines Vaters, er fand es nicht mehr. Die Leute, die er danach fragt, antworten ihm: »Der Fischer? O, der ist zum reichen Manne geworden, dort der Palast ist sein.« Joseph eilt dahin, ein Kammerdiener empfängt und fragt ihn, ob er den Fürsten sprechen wolle, denn das war der Fischer jetzt, und der Prinz antwortet: »Führt mich denn zum Fürsten.« Er fand seinen Vater, gab sich ihm aber nicht zu erkennen und stellte sich, als ob er wegen Geschäften gekommen wäre. Im Laufe des Gespräches fragte ihn Joseph, ob er keine Kinder habe. Er antwortete: »Ich hatte einen einzigen geliebten Sohn, den wollte die Kaiserin Trebisonda, und ich mußte ihn ihr lassen. Seitdem weiß ich nicht, lebt er noch oder ist er todt. Mein armer Sohn!« – »Und würdet Ihr«, fragte Joseph weiter, »diesen Sohn wiedererkennen, so Ihr ihn sähet?« – »Ich weiß nicht, jetzt ist er wol groß geworden, dennoch meine ich, ihn zu erkennen.« – »Nun, so seht mich genau an: ich bin Euer Sohn Joseph.« Der Vater hörte das, sprang auf und umarmte den Sohn und rief: »Jetzt lasse ich dich nicht mehr, jetzt bleibst du bei mir. Siehe, ich bin so unermeßlich reich, daß ich nicht weiß, was ich mit meinen Reichthümern anfangen soll, und alles, alles ist dein!« – »Davon sprechen wir nicht, mein Vater«, sagte Joseph, »ich bin Kaiser und meine Herrin gab mir nur ein Jahr Zeit, nach Ablauf dieses muß ich zu ihr zurück. Versäume ich nur Einen Tag, so droht dir und mir großes Unglück!« Bald auch verließ er seinen Vater, denn er wollte zuvor die Welt noch ein wenig sehen, und kam in ein Land, dessen König seine Tochter verheirathen wollte, und zwar sollte sie den Sieger im Turnier zum[114] Gemahl nehmen. Joseph geht zum Turnier, gewappnet und gerüstet, besteigt ein stattliches Roß – das alles hatte ihm der Ring gegeben – und reitet in die Schranken. Der Kampf begann, und er war der Ritter tapferster. Er siegte, aber sobald sein Gegner im Staube lag, sprengte er auf und davon, unbekümmert um den hohen Preis. So ging es das erste, so ging es das zweite mal, und der König erzürnte in seinem Herzen, daß der fremde Ritter den Preis verschmähte. So gab er Befehl, ihn, wenn er wiederkomme, zu verhaften, damit er erfahre, wer dieser sonderbare Ritter sei.

Als er darum beim dritten Siege sein Roß wandte, fielen diesem die Herolde in die Zügel und führten den Ritter vor den König. Der König sagte: »Ist das ritterlicher Brauch, zu siegen und dem Preise zu entsagen? Warum kommt Ihr nicht, von mir meine Tochter zu verlangen?« Da antwortete der Jüngling mit Stolz: »Herr König, Euere Tochter sollte ich nehmen? Ich sage Euch, Euere Tochter ist nicht werth, meiner Herrin die Schuhriemen aufzulösen.« Bitter empfand der König diese Worte und rief: »Werft mir den da in den Kerker. Und wenn deine Frau, ihre Herrlichkeit zu offenbaren, nicht in drei Tagen hier ist, so hast du dein Leben verwirkt.« Joseph, im Kerker angekommen, befiehlt dem Ringe, daß die Kaiserin mitsammt ihrem ganzen Hofstaate in drei Tagen hier erscheine und sich dem Könige vorstelle.

Der erste Tag vergeht, es vergeht der zweite, der dritte bricht an, doch niemand kommt. Joseph wurde zum Tode geführt ... da auf einmal hört man ein großes Getöse: zahllose Wagen fahren heran, geleitet von Kriegern und Dienern zu Fuß und zu Roß. Jeder fragt: »Was[115] ist das? Wer kommt?« Und Joseph: »Das ist meine Herrin.« Eine prächtige Kutsche fährt vor, und der König meint, das müsse die Kaiserin sein. Aber nein! Diese und die andern sind nur die Kutschen der Edelleute, der Damen und Diener. Immer schönere Kutschen kommen heran, und immer meint der König, dies müsse die Kaiserin sein; aber sie kam noch immer nicht. Ganz zuletzt erscheint der Wagen der Kaiserin Trebisonda. Die aber war so prächtig, daß dem Könige und seinem ganzen Hofe der Mund vor Erstaunen offen stehen blieb. Wie die Kaiserin heraussteigt, gab es viele Complimente und Entschuldigungen von seiten des Königs, daß er ihrem Gemahl so hart entgegengetreten. Sie machte es kurz und führte Joseph mit sich fort.

In einer Ebene angekommen, verschwindet mit einem mal alles: Wagen, Gefolge, auch die Kaiserin, und Joseph bleibt allein und einsam auf der weiten Heide zurück. »Was thu' ich nun?« fragt er sich. Der Ring? Aber der Ring gehorchte ihm nicht mehr, und so war die letzte Zuflucht dahin. Wie er so verlassen stand, erblickt er drei Räuber, die einen Streit miteinander hatten. Er nähert sich ihnen und fragt sie: »Was habt ihr da zu streiten?« – »O, Herr«, sagen sie, »wir haben da diese drei Dinge zu theilen und zanken uns, wer das eine oder das andere haben soll.« – »Laßt mich doch die drei Dinge sehen.« – »Hier sind sie: eine Börse, die sich, geleert, immer aufs neue mit Gold füllt, dann ein Paar Stiefel, welche so schnell wie der Wind laufen, und zuletzt ein Mantel, der seinen Träger unsichtbar macht. Dieser will den Mantel, jener die Stiefel und ich den Beutel, und wir können uns nicht einigen.« – »Gebt mir die Sachen in die Hand«, sagte[116] der Jüngling, »ich werde ihre Echtheit prüfen und dann entscheiden.« Sie gaben ihm die drei Dinge, er prüft die Börse, und richtig, so oft er sie leert, so oft füllt sie sich aufs neue. Er zieht die Stiefel an und hängt den Mantel um, und jetzt fragt er: »Könnt ihr mich noch sehen?« – »Nein, Herr!« – »Nun, so werdet ihr mich auch nicht mehr sehen«, und mit diesen Worten machte er sich aus dem Staube.

Er kommt zu dem Palaste der Kaiserin mit einem Windstoße, der alle Glasscheiben zerbricht, tritt ein und verbirgt sich unter dem Lager. Wie die Kaiserin zur Ruhe geht, klopft er an die Wand. Die Kaiserin erschrak und rief ihre Zofen herbei, die sahen indeß niemand. So geschah es noch zu dreien malen, dann sprach die Kaiserin: »Jetzt ist's gut, Joseph, komm' herein.« Er kam und sie sprach: »Du Böser, was hast du mir gethan. Hatte ich dir nicht gesagt, daß du nur ein Jahr ausbleiben solltest, und bliebest so lange? Doch ich verzeihe dir! Wir sind jetzt Mann und Frau und wollen des heiligen Friedens genießen.«


Sie lebten glücklich und zufrieden,

Uns Armen, uns ist nichts beschieden.

Quelle:
Kaden, Waldemar: Unter den Olivenbäumen. Süditalienische Volksmärchen. Leipzig: Brockhaus 1880, S. 111-117.
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