21. Das Bethaus im Walde.1

[29] Meister Jehuda der Fromme in Regensburg hatte seine Tochter mit Chanina, dem feinsten Kopf2 unter seinen Schülern, verlobt. Bevor die Hochzeit stattfand, zog dieser noch einmal in die Fremde, um bei berühmten Lehrern sein Wissen zu ergänzen. So kam er denn viele hundert Meilen von Regensburg[29] zu einem Meister und lernte bei ihm so eifrig, dass er bald ebenso viel wusste, wie dieser. Da kam die Zeit, wo in Regensburg seine Hochzeit sollte gefeiert werden3. Schleunigst machte sich denn unser Chanina auf. Sein Meister und fünfzig Mitschüler gaben ihm das Geleit. Unterwegs trennte ihn jedoch ein Zufall von seinen Begleitern, und er geriet in einen grossen Wald, als gerade der Sabbat anbrach. Zum Glück fand er ein einsames Häuschen, in welchem alles auf's kostbarste eingerichtet war. In einer der Kammern sass ein würdiger Greis, über die heiligen Schriften gebückt. Unser Chanina setzte sich zu ihm und studirte mit.

Indess war der Sabbat da, und rätselhafte Gestalten versammelten sich zum Gebete. Der Vorbeter hatte eine so wunderschöne Stimme, dass Chanina sich umsah, ob etwa eine Orgel oder Pfeifen oder Sänger4 daseien. Nach Sabbatausgang klagte er jenem alten Manne sein Leid, und dieser wies ihm den Weg. Bald fand er auch seine Begleiter wieder, und auf einer Wolke, die sich auf einen Berg in der Nähe niedergelassen hatte, kamen sie alle noch rechtzeitig in Regensburg an, als Chaninas Braut bereits mit einem anderen getraut5 werden sollte. Obwohl sie diesen anfangs nicht hatte leiden mögen, war sie des Wartens auf Chaninas Rückkunft schliesslich doch müde geworden6. Nun war natürlich alles wieder in Ordnung.

Jener alte Mann aber war der Profet Jeremia7, der Küster8, von dem Chanina alles dies erfuhr, war kein anderer, als der Profet Elia, der Vorbeter: Mose, der Priester, der zuerst zum Verlesen der Gotteslehre aufgerufen worden: Ahron, die anderen Beter: Abraham, Isak und Jakob und andere Helden der heiligen Geschichte.

1

Maa 169. H. I, 4.

2

o. feinen bochur.

3

o. berokho machen.

4

o. singers.

5

o. sie hatte mit ihm »qnas gelegt« und sollte jetzt »unter die chuppo gehen.«

6

o. izundert nebbich die zeit zu lang geworden war.

7

J. erscheint in ähnlicher Rolle auch Maa. 163. – In Fostat zeigt man die Stelle, wo J. seine Klagelieder soll angestimmt haben. Bei Lebensgefahr darf dort niemand sitzen. Doch Frauen, die schwer gebären, wird gerade dadurch geholfen (Saf. I, 22b, vgl. N. 191).

8

o. schammosch. – Elia als Diener der Stammväter auch Qabh ha-jaschar S. 44a § 20. – Mi. 2b: E. setzt sich unter den 'ec ha-da'ath (Lebensbaum) im Gan 'eden (Paradies) un' schreibt die zekhiouth (Verdienste) von Jisroel, dass sie den Schabboth haben gehalten.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 29-30.
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