9. Der getreue Lautenschläger.1

[16] Ein mächtiger und reicher König hatte eine einzige Tochter, die wollte er keinem zur Frau geben, der nicht so reich wäre, wie er selbst2. Gar viele Freier warben vergebens um das stolze Königskind. Doch eines Tages kam an den Hof ein Königssohn, der war noch viel reicher, als ihr Vater. Der gewann sie zur Gemahlin.

Nach einiger Zeit, nachdem die Hochzeit glänzend gefeiert war, brach er auf, um in sein eigenes Reich heimzukehren, und ein grosses Gefolge gab dem Paare das Geleit. Als sie aber drei Tage lang gereist und vor einer grossen Stadt angelangt waren, da hiess der Königssohn das Gefolge umkehren, sonst müssten sie ihr Seelenheil verlieren. Er sprach: »Ich bin nicht, wofür ihr mich haltet. Sondern ich bin ein böser Geist, der Hochmutsteufel. Ich habe euren König nur für seine Hoffart strafen wollen, indem ich ihm seine Tochter raubte. Und daran sollt ihr erkennen und eurem Herrn beweisen, dass ich die Wahrheit sage: zu dem Wege, den ihr mit mir in drei Tage zurückgelegt habt, werdet ihr auf der Heimreise volle drei Wochen brauchen.« Und so geschah es.

Nur ein alter Lautenschläger des Königs3, der wollte das Kind seines Herrn nicht verlassen. Er zog ohne Furcht mit in die Stadt, wo eitel böse Geister4 wohnten, ja sogar bis an den Rachen der Hölle, in welche der Hochmutsteufel sein Ehgemahl stiess. Hier gewahrte er zu seinem Erstaunen einen anderen Lautenschläger, einen alten lieben Freund, der in der Hölle noch die Laute schlug. Der erzählte ihm, er geniesse diese Vergünstigung nur, weil er bei Lebzeiten den Juden auf ihren Hochzeiten zum Tanze aufgespielt. »Nun«, sagte sich unser treuer Lautenschläger, »wie muss es dann mir erst ergehen, wenn ich ganz Jude werde.« So ging er denn in die nächste Stadt, wo Juden wohnten, und liess sich zu ihrem Glauben bekehren.

1

Maa. 179. H. I, 19. A L 468.

2

Vgl. Gudrun 201.

3

Erinnert in seiner Treue an Volker von Alzey und Horant, auf seinem Gang nach der Unterwelt, wie besonders sein Kollege, an Orpheus. Vgl. auch Gri. III, 20, 177.

4

o. schedim, Gottseibeiuns.

Quelle:
Märchen und Sagen der deutschen Juden. In: Mitteilungen der Gesellschaft für jüdische Volkskunde, herausgegeben von M. Grunewald, Heft 2 (1898) 1-36, 63-76, S. 16.
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