2.

[188] Es lebte einmal ein Mann mit seinem Weibe. Sie bekamen einen Sohn, sie bekamen zwei Söhne, sie bekamen drei Söhne; endlich bekamen sie auch eine Tochter. So lebten sie eine Zeit lang mit ihren Kindern.

Eines Tages gingen die Söhne auf die Jagd. Der Vater blieb wie gewöhnlich daheim und ahnte nicht, daß irgend eine Gefahr drohen könnte. Was geschieht? Die Söhne waren noch nicht lange fort, als die Hunde zu bellen begannen; es mußten also fremde Leute kommen. Der Mann eilt hinaus und sieht zu seinem Schrecken, daß es Tschuden waren. Da blieb nun nichts Anderes übrig, als sich entgegenkommend und gastfrei zu zeigen. Er sagte deshalb zu ihnen:[188]

»Seid so gut, ihr fremden Männer, und kommt in die Hütte herein, um euch auszuruhen!«

Die Tschuden krochen denn auch in die Hütte hinein.

»Setzt euch, ihr Reisenden, setzt euch!« lud der Lappe sie ein.

Zu seinem Weibe aber sagte er:

»Lauf schnell in die Speisekammer, Weib, und hole Speisen für die Fremden!«

Das Weib eilte fort; der Mann konnte ihr jedoch unbemerkt Etwas ins Ohr flüstern, was zur Folge hatte, daß sie nicht wieder zurück kam. Als er eine Weile gewartet hatte, sagte er zu seiner Tochter:

»Lauf' auch du schnell in die Speisekammer, Tochter, und hilf deiner Mutter!«

Die Tochter verließ ebenfalls die Hütte, kam aber auch nicht wieder zurück. So war der Mann ganz allein bei seinen Gästen zurückgeblieben. Nachdem wieder eine Weile vergangen war, sagte er zu denselben, als ob er über das lange Ausbleiben seiner Frau und Tochter ungehalten wäre:

»Wartet ein wenig, liebe Gäste, ich muß schon selbst nach der Speisekammer gehen, um ein Essen für euch zu holen!«

Als er aber hinausgegangen war, sperrte er von außen die Thüre ab. Hierauf nahm er einen langen Spieß, kroch damit auf das Dach der Hütte und blickte durch das Rauchloch in dieselbe hinein, um zu sehen, was die Tschuden nun anfangen würden.

Es schien, daß sie seine List sogleich bemerkt hatten, denn sie riefen alsbald zu ihm hinaus:

»Ha, alter Fuchs, du hast uns hintergangen; wenn du aber nicht alsogleich aufsperrst, so sollst du den Stock zu kosten bekommen!«

Hierauf begannen sie auf Thür und Wände los zu stoßen und zu hämmern. Allein der Lappe war auch nicht unthätig. Er stach durch das Rauchloch mit sei nem langen Spieße einen Tschuden nach dem anderen todt, bis er mit allen fertig war. Sodann ging er in die Speisekammer, um nach Weib und Tochter zu sehen.[189]

»Na, Alter!« sagte das Weib, »wie ist es dir denn gegangen, wo sind denn die Tschuden?«

»Alle habe ich sie niedergemacht, Weib, alle, alle; nicht Einer ist am Leben geblieben!«

In diesem Augenblick kamen die Söhne von der Jagd heim und wußten natürlich nichts von dem, was inzwischen vorgegangen war.

»Weshalb seid ihr denn alle in der Speisekammer und nicht in der Hütte?« fragten die Söhne.

»Geht nur hinein in die Hütte, meine Söhne, ihr werdet drinnen etwas Seltenes zu sehen bekommen!« sagte der Vater.

Die Söhne gingen zur Hütte und öffneten die Thür. Was sahen sie? Der Vater hatte Tschuden getödtet. Sie liefen nun sogleich wieder zu ihrem Vater zurück und riefen:

»Wie listig du gewesen sein mußt, Vater! Wie hast du sie denn alle miteinander tödten können?«

»Wenn der Tod droht, meine Söhne, dann kommt die Klugheit!«

»Du hast ein großes Wunderwerk verrichtet, Vater! Aber was sollen wir jetzt mit ihnen anfangen?«

»Zieht sie zum Flusse hinab und werft sie hinein!«

Sie nahmen nun die Leichen und zogen sie zum Flusse hinab. Früher aber lösten sie ihnen die Geldgürtel ab, stachen ihnen die Gedärme auf und warfen sie dann alle miteinander in den Fluß. Hierauf gingen sie zur Hütte zurück und lebten dort, wie sie früher gelebt hatten.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 188-190.
Lizenz:
Kategorien: