1.

[191] Eine Lappenfrau, welche eines Abends ihr Kind baden wollte, hatte zu diesem Zwecke einen Kessel vor sich stehen, der mit Wasser angefüllt war. Als sie nun im Begriffe stand, das Kind in den Kessel zu setzen, erblickte sie zu ihrem Entsetzen im Wasser das Bild eines Mannskopfes mit einem Hute. Dasselbe verschwand zwar augenblicklich, als sie jedoch abermals in's Wasser blickte, sah sie wieder dieselbe Erscheinung. Sie wußte nun, daß ein Mann durch das Rauchloch in die Hütte hineinschaute und daß sein Bild es war, das sich im Wasser abspiegelte. Sie weckte ganz leise ihren Mann und theilte ihm ihre Beobachtung mit. Dieser griff sogleich nach seinem Bogen, spannte ihn und legte den Pfeil zurecht.

Als nun der Mann abermals durch das Rauchloch schaute, schoß ihm der Lappe den Pfeil mitten in die Stirne, so daß man deutlich hören konnte, wie er über das Dach hinabkollerte und zu Boden fiel. Der Lappe wagte es jedoch nicht, sogleich hinauszugehen, um nachzusehen, aus Furcht, daß noch mehr Männer draußen sein könnten. Des Morgens aber fand man den Mann todt, mit dem Pfeile in der Stirn, auf dem Boden liegen.[191]

Der Lappe dachte sich gleich, wie es auch wirklich der Fall war, daß dieser Mann als Späher ausgeschickt worden sei und daß der übrige Trupp von Feinden sich irgend anderswo in der Umgegend aufhalten müsse. Es vereinigten sich daher mehrere Lappen, sie verfolgten die Spur und überrumpelten die Karelen, während sie im Walde rings um einen Scheiterhaufen herum lagen und schliefen. Sie wurden sämmtlich erschlagen. Von der damals gewonnenen Beute soll aber noch etwas erhalten sein, nämlich eine Art von Kesseln, welche Karjela skalo genannt wird. Dieselben sind aus Messing, und die Lappen sagen, daß sich an diese Karjela skalo niemals Grünspan ansetze.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 191-192.
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