2.

[192] Ein Trupp Karelen war einmal durch Lappmarken hinauf gekommen, um nach Norwegen hinüber zu ziehen. Sie hatten sich eines Lappen bemächtigt, den sie zwangen, ihnen als Wegweiser zu dienen. Derselbe hatte ihnen gesagt – und so ist es ja auch in Wirklichkeit – daß der Abstieg sehr schwierig wäre und sie daher dicht hinter ihm folgen müßten. Der Lappe, der die Oertlichkeit genau kannte, lief auf Schneeschuhen voraus und hatte eine Fackel in der Hand, da es ein finsterer Abend war. Als er nun gegen einen steilen Abhang zu gefahren kam, machte er plötzlich eine Wendung nach der Seite und schleuderte die Fackel in die Tiefe hinaus. Die Nachkommenden, welche dem Lichte der Fackel folgten, fuhren sämmtlich über den Abhang hinaus, stürzten in die Tiefe und wurden zerschmettert.

Am nächsten Tage zog der Lappe über das Gebirge hinab und schoß aus Stolz und Freude über seine That einen Pfeil in die Wand der ersten Hütte, zu der er kam. Dies wurde schlecht oder als ein feindliches Zeichen aufgenommen und man wollte den Lappen ergreifen. Dieser aber forderte die Leute auf, ihm zu folgen und zu sehen, was für ein Werk er verrichtet[192] habe; es würde ihnen dann wohl Anderes in den Sinn kommen, als ihn schlecht zu behandeln. Nachdem man sich mit eigenen Augen von der That des Lappen überzeugt hatte, wurde dieser denn auch, wie man sich denken kann, sehr gut behandelt und belohnt.

Dieselbe Sage wird auch in Torneå Lappmarken erzählt, jedoch mit einer kleinen Abweichung. Nach dieser Version soll es ein reicher Lappe gewesen sein, der seinen Renthieren die Haare abgesengt hatte, so daß die Karelen sich nicht weiter um dieselben kümmerten, da sie so häßlich und mager aussahen. Sie zwangen hingegen den Lappen, ihnen als Wegweiser nach Norwegen hinüber zu dienen. Sie fuhren alle zusammen mit Renthieren, die hinter einander zu einer sogenannten Raide verbunden waren; nur der Lappe fuhr mit einem freien Renthiere und mit einer Fackel im Schlitten voraus. Die Fackel warf er in die Tiefe eines Abgrundes und das ganze Gefolge stürzte in denselben hinab, während er selbst mit seinem Renthiere nach der einen Seite hin abbog und weiter fuhr.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 192-193.
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