Das gemordete Kind.

[68] Ein Bauernknecht mußte spät abends einen Backofen heizen. Plötzlich vernahm er hinter dem Ofen ein Ächzen und Stöhnen: »Ach, wie kalt, ach, wie kalt ist mir!«

Da sagte der Bauer: »Was winselst du da wie ein Hund? Komm lieber hervor und wärme dich!«

Sofort erschien ein großer, nackter Mann, ergriff ein paar mächtige Holzblöcke und warf sie ins Feuer, daß es hoch aufflammte.[68]

Dem Bauer ward's unheimlich und er fragte schüchtern: »Wer bist du?«

»Das uneheliche Kind einer Magd, welche vor grauen Jahren im Herrenhause diente; sie tötete mich gleich nach der Geburt und vergrub meine Leiche unter der Freitreppe. Der damalige Gutsherr aber war mein Vater. Seitdem muß ich ruhelos umgehen. Fände sich jemand, der meine Gebeine unter der Treppe ausgrübe und christlich bestattete, so käme ich endlich zur Ruhe.«

»Die soll dir werden!« sagte der Bauer. Da freute sich der Geist, dankte und verschwand. Der Bauer aber fand wirklich die Gebeine und bestattete sie auf dem Friedhof in geweihter Erde.

Quelle:
Andrejanoff, Victor von: Lettische Märchen. Nacherzählt von -, Leipzig: Reclam, [1896], S. 68-69.
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