1.

[509] Es waren einmal Leute auf einer Wiese beim Heuharken, und ein Mädchen hatte ihr kleines Kind mit. Gegen Abend wurde das Mädchen von der Wiese nach Haus geschickt, und wie sie fortging, vergass sie ihr Kind; das schlief. Den Abend gingen auch die andern von der Wiese heim, und auch die vergassen das Kind auf der Wiese. Danach, als sie zu Haus waren, fiel ihnen ein, dass das Kind zurückgelassen worden war, und da musste die Mutter wieder zurücklaufen ihr Kind zu holen. Und sie war noch ein gutes Ende davon, da hörte sie, wie ein Weib das Kind liebkoste, und das Weib sagte ›Schlaf, Kindchen, schlaf! Du bist vergessen worden, dein Mütterchen hat dich vergessen, aber ich vergesse dich nicht, ich bleibe bei dir, bis dein Mütterchen kommt.‹ Die Mutter erschrak, und sie kam näher heran und sagte ›Guten Abend.‹ ›Danke schön, junges Mütterchen! Ich hab dein Kind gehütet, und ich werde dir geben, was du brauchst.‹ Da gab sie ihr eine Rolle Leinwand und sagte ›Die brauch Zeitlebens, wenn du dir was zu nähen hast, aber miss die Leinwand niemals mit der Elle!‹

Jetzt dachte die Wirtin, sie könnte das auch so machen. Sie nahm eines Abends ihr kleines Kind, trug es auf die Wiese und liess es bei einem Heuhaufen liegen. Dann ging sie ein Stück davon und horchte, was kommen werde. Da hörte sie, wie das Kindchen so schrie; denn die Laumen peinigten es. Und sie lief zu dem Kind zurück, und da hörte sie bei dem Kind sagen ›Wenn jetzt die Mutter kommt, soll's der Mutter ebenso gehn!‹ Jetzt kam sie heran und sagte ›Guten Abend‹, aber die Laumen dankten nicht; sie peinigten sie erst, und dann sagten sie ›Danke‹. Die Mutter fing an inständig zu bitten, aber sie war wie eine Kohle blau und braun gekniffen. Und sie lag lange Zeit krank, und sie und ihr Kind starben daran.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 509.
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