Von der goldenen Brücke.

[100] Lange Zeit vor dem siebenjährigen Kriege baute ein König eine Brücke von reinem Golde über einen Fluß; und wer über die Brücke gehen wollte, der muste zehn Thaler bezahlen. Der König hatte aber drei Söhne, die Nacht für Nacht die Brücke bewachen musten, damit niemand darüber gehe. Den ersten Abend schickte er den ältesten Sohn; als der hingekommen war, erschien ein alter armer Mann, der bat, er möge ihn über die Brücke hinüberlaßen; der aber gab es nicht[100] zu, bis er ihm zehn Thaler bezahlt hatte. Früh kam er nach Hause und gab die zehn Thaler seinem Vater. Die zweite Nacht gieng der zweite Sohn hin und als der Alte wieder kam, handelte er eben so wie der erste. Am dritten Abend muste der dritte Sohn hingehen, den man immer für dumm gehalten hatte. Als er dort war, kam wieder das alte Männchen und bat, er möge ihn doch über die Brücke laßen. Jener aber sagte ›Wie kann ich dich umsonst hinüber laßen? Bezahl zehn Thaler, so kannst du gehen.‹ Da begann der Alte ihn von ganzem Herzen zu bitten, er möge sich doch seiner erbarmen und ihn hinüber laßen, er habe nicht einmal zehn Groschen, und doch müße er notwendig über die Brücke hinüber. Da ließ er sich denn doch erbitten, so streng ihm der Vater das Verbot auch eingeschärft hatte, und sagte zu dem Alten ›Weist du was? Geh her und hänge dich auf meinen Rücken, ich will dich huckepack hinüber tragen, dann brauchst du nicht über die Brücke zu gehen.‹ So geschah es auch.

Das alte Männlein aber war Gott der Herr; jener aber wuste nicht, daß Gott der Herr schon oft so erschienen war. Als er ihn hinüber getragen hatte, da verwandelte sich der Alte in ein Pferd und hieß dem Königssohne, er solle ein kleines Büschel Haare (mit zwei Fingern) aus seinem (des Pferdes) Rücken ausrupfen. Und als er dieß gethan hatte, sagte das alte Männlein zu ihm ›Wenn du an mich denken wirst, so wirst du dich in das schnellste Pferd verwandeln.‹ Sodann verwandelte sich das Pferd in einen Adler und hieß dem Königssohne, er möge einige seiner Federn ausrupfen und sprach ›Wenn du meiner gedenken wirst, so wirst du schneller fliegen können als ein Adler.‹ Zuletzt verwandelte er sich in einen Hecht und hieß ihn einige Schuppen abreißen und sagte zu ihm ›Wenn du meiner gedenken wirst, so wirst du schneller schwimmen können als ein Hecht.‹ Als das alles geschehen war, verschwand der Alte.

Wie nun der Tag anbrach, gieng auch dieser Sohn heim zu seinem Vater. Der fragte ihn sogleich ›Nu wie, hast du jemanden über die Brücke gelaßen?‹ Er sagte »Es kam ein sehr alter Mann, der sah sehr elend aus, der bat mich inständigst, ich möchte ihn doch hinüber laßen; ich aber trug ihn auf dem Rücken hinüber.« Als der König das vernommen hatte, wurde er desto ergrimmter über seinen Sohn, der die Bettler nicht nur über die Brücke laße, sondern sie auch noch dazu hinüber trage; er ließ ihm den Rücken nicht wenig durchhauen und sagte ›Du warst dumm und wirst auch dumm bleiben: aus[101] dir wird, wie ich nunmehr sehe, niemals etwas ordentliches werden; du bist der ganzen Welt zum Spotte, mir aber und unserem ganzen Geschlechte machst du große Schande.‹

Nicht lange darauf aber erhub sich der siebenjährige Krieg und es kam ein König aus einem fernen Lande mit seinen Soldaten in das Land, wo jene goldene Brücke war, um mit dem Könige dieses Landes verbündet gegen den König von Preußen zu kämpfen; jener König aber hatte sein Fernrohr mit zu nehmen vergeßen, und deshalb versammelte er seine flinksten Männer und Kriegshelden und fragte sie ›Wer von euch mir diese Nacht mein Fernrohr aus der Heimat bringen könnte, dem würde ich meine Tochter zur Frau geben, und er würde nach meinem Tode über mein ganzes Königreich als König herschen können.‹ Aber unter all den Männern fand sich kein einziger, und kein Läufer unterfieng sich des. Während der fremde König darüber in großer Sorge war, kam der Königssohn zu ihm und sagte »Ich habe gehört, daß du einen Mann suchst, der dir dein Fernrohr bringe, und daß niemand sich des unterfangen will, da bin ich denn jetzt gekommen. Wenn du mir deine Tochter zur Frau und nach deinem Tode das Königreich geben wirst, so werde ich dir diese Nacht dein Fernrohr bringen.« Jenem Könige gefiel der Vorschlag sehr wol, aber er erwiderte ihm ›Ich kann mein Versprechen wol erfüllen und werde es auch in Wahrheit erfüllen, ob dir oder einem andern; aber mein Fernrohr zu bringen, das ist nicht so leicht. Weist du auch, lieber Prinz, daß meine Wohnung von hier gegen dreihundert Meilen weit entfernt ist?‹ Der Prinz sagte »Das weiß ich recht wol, aber ich fürchte diese Entfernung nicht, ich werde es bis zum Morgen vollbracht haben.« Da schloß demnach der König mit dem Prinzen auf der Stelle den ganzen Vertrag ab und der Prinz machte sich auf und gieng.

Von Anfang aber gieng er so schwankend und machte so langsame Schritte, daß alle über ihn lachen musten, indem sie ihn für über alle Maßen dumm hielten und zu einander sagten ›Na das ist der rechte Tolpatsch, der wird die Nacht hindurch auch nicht eine halbe Meile weit humpeln.‹ Er aber gieng absichtlich auf die Art und auch nur so weit bis er hinter einen Berg kam, wo ihn niemand sehen konnte. Dann nahm er jenes Büschelchen Pferdehaar aus der Tasche und gedachte jenes Alten. Da verwandelte er sich so fort in ein sehr geschwindes Pferd und nun fieng er an im Galopp zu laufen, bis er völlig müde war. Dann blieb er stehen, zog das Büschelchen Federn[102] hervor und verwandelte sich in einen Adler, und nun flog er so schnell wie ein Schuß, bis er müde ward. Da machte er abermals Halt, zog jene Schuppen aus der Tasche, verwandelte sich in einen Hecht und gelangte mit aller Kraft schwimmend gegen Mitternacht in die Stadt jenes Königs. Da gieng er, nachdem er sich wieder in einen Menschen verwandelt hatte, schnell in den Palast des Königs, wo er glücklicher Weise die Prinzessin fand, der er alles erzählte und die er von ihrem Vater grüßte. Da übergab sie ihm sogleich ihres Vaters Fernrohr, streifte ihren goldenen Ring vom Finger, biß ihn entzwei und schenkte ihm die eine Hälfte zum Andenken und zur Erinnerung. Als er die Prinzessin verließ, gieng er ein Ende als Mensch; als ihn aber niemand mehr beobachten konnte, verwandelte er sich wieder in einen Fisch, dann in einen Adler und zuletzt in ein Pferd, und war noch vor Tages zu Hause.

Da aber noch alles schlief, konnte er nicht zu dem Könige hin gehen; und aus Freude darüber, daß ihm alles so gut gelungen war, verwandelte er sich in einen Adler und setzte sich auf den Arm eines Meilenzeigers ganz nahe bei der Stadt und das Fernrohr legte er neben sich hin. Früh, als der Tag kaum anbrach, gieng ein General spazieren, sah den Adler auf dem Meilenzeiger sitzen und erschoß ihn, das Fernrohr aber nahm er mit und brachte es dem Könige und stellte sich, als ob er es geholt hätte. Der König beschenkte vor Freude den General reichlich und sagte ihm seine Tochter als Gemahlin zu. Der erschoßene Adler aber ward nach ein paar Stunden wieder lebendig und verwandelte sich in einen Menschen, sagte aber von der Sache niemandem etwas, so daß jener König das, was ihm sein General gesagt hatte, für die reine Wahrheit halten muste.

Als nun alle Kriege beendigt waren, da zog auch jener König mit seinen Kriegsheeren heim; und als er zu Hause angelangt war, war es seine erste Sorge seine Tochter mit jenem Generale zu verheiraten, und er ordnete eine herrliche Hochzeitsfeier an. Die Prinzessin aber erkannte den General nicht recht, da sie nach so vielen Jahren sich nicht mehr erinnern konnte, ob er der rechte sei oder nicht. Aber bei der Hochzeit, so herrlich sie auch gefeiert wurde, sah es doch so gedrückt und trübselig und traurig aus wie unter der Erde, und jedermann war das sehr wunderbar; niemand aber wuste, warum es so war. Als sie nun alle bei einem so heiteren Feste wie im Elende kümmerlich da saßen, kam ein Bettler und setzte sich an[103] den Ofen; und da er ein Musikant war und seine Geige bei sich hatte, so bat er die Gäste sie möchten ihm erlauben, wenigstens ein paar Stückchen auf zu spielen. Die Gäste, die ihren Spas mit ihm trieben, erlaubten es ihm; und als der Bettler an fieng zu spielen, da begann eine solche wunderbare Lustigkeit, ein Tanzen und Jubeln im ganzen Palaste des Königs, als wäre irgend ein herrlicher Tag an gebrochen, und alle jene düstre Trauer und Gedrücktheit war verschwunden. Da brachten alle Gäste voll Freude dem Bettler zu eßen und zu trinken; er nahm aber von keinem etwas als von der Prinzessin. Und als sie mit dem Glase, aus dem sie ihm Wein zu trinken gegeben hatte, weg gieng, da fand sie auf dem Boden des Glases einen halben Ring; den nahm sie heraus und betrachtete ihn und erkannte zu ihrem großen Erstaunen, daß es der halbe Ring sei, den sie einst ab gebißen und dem Manne gegeben hatte, der um das Fernrohr gekommen war. Sie nahm sogleich ihren Vater auf die Seite, erzählte ihm von der Sache und sagte ›Als du in dem und dem Jahre in den siebenjährigen Krieg gezogen warst und dein Fernrohr vergeßen hattest, da gab ich dem Manne, der um das Fernrohr hierher kam, diesen halben Ring zum Andenken, weil du mich ihm zur Frau versprochen hattest; und so eben hat mir der Bettler den halben Ring in das Glas gelegt.‹ Als der König diese Kunde vernommen, führte er sogleich den Bettler in eine andre Stube und fragte ihn über den Ring aus, und sieh da, es dauerte nicht lange, so kam der ganze Trug zum Vorschein. Der Bettler sagte ›Ich bin der Prinz, der dir dein Fernrohr in einer Nacht gebracht hat. Das ist aber so zu gegangen. Als ich meines Vaters goldene Brücke bewachte, kam ein alter Mann, den trug ich über die Brücke hinüber, dafür gab er mir die Macht mich in ein Pferd, einen Adler und einen Hecht verwandeln zu können. Auf diese Art war es mir möglich, eine so große Reise in einer Nacht zurück zu legen. Und als ich noch vor Tagesanbruch wieder zu Hause war, da verwandelte ich mich in einen Adler und setzte mich auf einen Meilenzeiger, und der General, der jetzt dein Schwiegersohn wird, der fand und erschoß mich, nahm das Fernrohr und brachte es dir, indem er dir schönstens vorlog, er habe es geholt. Ich aber ward später wieder lebendig und verwandelte mich in einen Menschen und schwieg die ganze Zeit bis heute. Als ich aber vernahm, daß deine Tochter, die du mir versprochen hast, heirate und sie durch Trug ein anderer bekomme, da kam ich absichtlich[104] hierher, um doch zu sehen wie es gehe, und um, wenn es möglich wäre, dir den Betrug zu hinterbringen.‹ Als der König dies vernommen hatte, hielt er sogleich eine sehr strenge Untersuchung, und bald fand es sich, daß der General betrogen, der Prinz aber die Wahrheit gesagt habe. Der König, sehr ergrimmt über solchen Betrug, ließ den General lebendig von vier Ochsen zerreißen; der Prinz aber ward, anstatt jenes, Eidam des Königs und nach dem Tode desselben König des Landes.

Quelle:
Schleicher, August: Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder. Weimar: Böhlau, 1857, S. 100-105.
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