[106] 252. Der feurige, kopflose Mann in der Stengesbâch.

Geht man von Mensdorf nach Betzdorf, so führt einen der Weg durch zwei große und[106] dichte Wälder, in denen es nicht geheuer ist. Hören wir, was ein alter Müllerbursche darüber berichtet, der in seiner Jugend oft an jener unheimlichen Stelle passieren mußte, und von dem jedes Kind der Umgegend weiß, wie er so früh zu seinen grauen Haaren gekommen.

»Kam ich eines Abends«, so erzählt derselbe, »mit meinem Müllerkarren an der Stengesbâch vorbei und sang vor mich hin. Wie das manchmal zu gehen pflegt, ich war so etwas im Dusel und, als ich unweit jener unheimlichen Stelle war, auch ziemlich in Angst. Plötzlich höre ich eine wehklagende, furchterregende Männerstimme, ähnlich fast dem unheimlich grollenden Donner. Wie grausig ward mir's zu Mut! Ich wußte eine Weile nicht mehr recht, ob ich auf der Welt sei oder nicht. Ungeachtet meines Schreckens hatte ich doch noch Besinnung genug, mein Pferd anzutreiben, um so schnell als möglich von der Stelle zu kommen; allein das vermaledeite Tier wollte nicht weiter. Und sieh da! Auf mich zu kommt eine feurige, kopflose Männergestalt. In einem Nu flog mir die Mütze vom Kopfe, die Mehlsäcke flogen zu beiden Seiten in den Wald hinein und im Galopp sausten Pferd und Gefährt, auf welchem ich saß, fort der Heimat zu.

In Schweiß gebadet und fast besinnungslos langte ich auf unserer Mühle an, wo man mich eiligst zu Bette brachte. Erst nach einigen Tagen konnte ich wieder ausgehen. Seit jenem schaudervollen Ereignis habe ich meine grauen Haare und seitdem bin ich nie mehr abends an jener Stelle vorbeigefahren und werde auch nie mehr zu dieser Zeit dort vorübergehen, obgleich längst der Papst solchem Gespensterwesen ein Ende gemacht hat«.1


J. Rodenbour

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Manche sagen, heute erzähle man solche Spukgeschichten nicht mehr, weil vor einem Jahrhundert der Papst »das alles gebannt habe.« Ein Tüntinger Sagenerzähler erklärte, der Papst habe die Geister alle unsichtbar gemacht. Sie gingen zwar um, doch sehe und höre sie niemand; sie redeten, schrieen, lärmten, handelten, seien indessen selber nicht wahrzunehmen.

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 106-107.
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