[135] 316. Der gespenstische Reiter im Meisenburger Wald.

Das enge, vom Manzenbach durchflossene und von steilen Felsen und Wald begrenzte Wiesental, in welchem das herrschaftliche Gebiet von Meisenburg beginnt, wurde zur Zeit, wo das Dorf Meisenburg noch bestand, der Schauplatz einer schauerlichen Sage. In einem der hohen Felsen, die rechts vom Fußpfade, gleich beim Eingang in den Wiesengrund aneinandergereiht sind,[135] ist eine rundbogige Nische eingehauen, in welcher ein Kreuzbild steht, als Erinnerungszeichen, daß an dieser Stelle einst ein Unglück sich ereignet hat. Verspätete Wanderer, welche in hellen Mondnächten an den hohen Felsen vorbeikamen, bemerkten an der flachen, senkrechten Wand eines derselben ein schwarzes Schattenbild rasch heruntergleiten, welches in seinen scharf ausgeprägten Umrissen sich als ein zu Pferd sitzender Mann darstellte, dessen Haupt ein mit wallender Feder geziertes Barett bedeckte. Das Grausigste an dem gespenstischen Reiter war ein langes Schwert, das ihm in der Brust stak und dessen Spitze am Rücken herausging. Mit der Schnelligkeit des Blitzes bewegte sich das Schattenbild durch das Wiesental in der Richtung nach Meisenburg und verschwand im dunklen Gehölz jenseits des Bachufers. Schrecken überkam die Leute, welche den gespenstischen Reiter bemerkten; sie bekreuzten sich und wagten nicht, ein lautes Wort zu reden.

Der von dem Schwerte durchbohrte Reiter wurde indes nicht allein bei diesem Felsen, sondern auch auf hohen Bergkämmen und zwar immer am Rande einer der Felser Waldungen bemerkt. Manchmal will man auch den Schatten eines Windspiels bemerkt haben, das neben dem gespenstischen Rosse herlief. Über das Wesen des Spukes war man verschiedener Ansicht. Die einen hielten den Geist für den berüchtigten Hexenschäppchen; die andern sagten, es sei ein verwünschter Ritter, welcher ruhelos umherirren müsse zur Strafe für ein begangenes Verbrechen. Die Sage, welche man über diesen Gespensterspuk erzählte, ist folgende:

Um die Hand der wunderschönen Tochter eines Herren von Meysenburg bewarben sich mehrere Ritter vom alten Adel. Derjenige, welchem es gelang, des Burgfräuleins Minne zu erwerben, war der edle Herr von Linster, mit dem die schöne Jungfrau auch bald verlobt wurde. Während die anderen Werber alle abzogen, blieb einer in der Burg zurück, und dieser trachtete darnach, dem von Linster die Braut zu entreißen. Dem glücklichen Bräutigam hatte der Wütende blutige Rache geschworen und die Gelegenheit, sein scheußliches Verbrechen auszuführen, fand sich bald. Der Baron von Meisenburg veranstaltete eine Jagd, an welcher seine Tochter, Bräutigam und dessen Nebenbuhler sich beteiligten. Gegen die Gemarkung von Fels hin ging der Jagdzug durch die Forste. Während der Herr von Linster ein Reh verfolgte, ereilte ihn der grausige Tod. Sein Nebenbuhler folgte ihm dicht auf den Fersen; oberhalb des Felsens im Manzenbachtale drang der Tückische auf seinen arglosen Feind ein und drängte ihn mit eingelegtem Speer bis gegen die Felswand zurück, wo dessen Pferd sich bei einem kräftigen Lanzenstoß des Gegners bäumte und rückwärts über den Rand des Felsens in die Tiefe hinunterstürzte. Zerschmettert lagen Roß und Reiter im Tale. Hohnlachend sprengte der Mörder von dannen und holte das Jagdgefolge wieder ein. Die nichts Böses ahnende Braut erwartete vergeblich[136] die Rückkehr ihres Verlobten, und als dessen Leichnam am anderen Tage aufgefunden wurde, war sie fast sinnlos vor Leid.

Junker Walter, ihr Bruder, ahnte den Zusammenhang der scheußlichen Tat; er forderte den Verbrecher auf, ihn in den Wald zu begleiten. Hier warf Walter ihm sein Verbrechen mit einer Sicherheit vor, als wäre er Zeuge der Tat gewesen. Der Mörder entschuldigte sich mit kecken Worten, er sei handgemein mit seinem Gegner geworden und dieser habe seiner Kraft unterliegen müssen. Da schrie Walter: »Blut um Blut! Du hast frevelnd deine Hand an einen der edelsten Ritter gelegt; darum stirb von meiner Hand, und nimmer sollst du Ruhe im Grabe finden!« Und noch ehe der andere Zeit fand, sein Schwert zu ziehen, hatte Walter ihm die Brust mit dem Schwert durchbohrt. Der Leichnam wurde in einer Felsspalte verscharrt. Die Verlobte des Herrn von Linster zehrte der Gram auf; ihr Bruder aber beschloß sein Leben als Büßer in einem Kloster in den Ardennen.

Der gegen den Mörder ausgestoßene Fluch erfüllte sich, und dort, wo er den Herrn von Linster in den Tod getrieben, mußte er solange als Schattengespenst ruhelos in den Wäldern umherirren, bis alle Gespenster durch den Papst gebannt wurden. Seither sah man und hörte man nichts mehr von dem Spuk. Aber heute noch wissen die meisten Umwohner die Stelle, wo der Ritter vom Felsen herunterstürzte.


H.A. Reuland

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 135-137.
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