425.

[99] Dschahan fuhr einst mit seinem Gemüsekarren zur Stadt. Auf dem Wege sah er vor sich einen Herrn, der keine Anstalten machte, ihm auszuweichen. Dschahan rief etliche Male laut: »Geh aus dem Wege!«; aber der Herr rührte sich[99] nicht, und Dschahan konnte nicht mit seinem Gefährte ausweichen, da der Weg abschüssig und schmal war. Drum warf Dschahans Karren den Herrn um, und so kam es, daß Dschahan eines Tages zum Gerichte vorgeladen wurde. Dort antwortete er nun auf keine Frage der Richter, und diese sagten zu dem Kläger: »Der Angeklagte ist ja stumm; gegen einen Stummen gehn wir nicht vor.« Doch der Ankläger entgegnete: »Das ist doch wohl eine Finte dieses boshaften Menschen, da ich ganz genau weiß, daß er sprechen kann. Er rief mir ja damals, bevor er mich überfuhr, zu: ›Geh aus dem Wege!‹ und nicht nur einmal, sondern mehrere Male.« Aber da stand der Richter auf und schrie den Kläger an: »Was suchst du uns dann auf? wir haben andere Sachen zu tun, als Leuten wie dir zu helfen! Warum bist du nicht ausgewichen, als er dich angerufen hat? Jetzt mußt du die Gerichtskosten bezahlen.« Dschahan aber ging straflos heim.

Quelle:
Wesselski, Albert (ed.): Der Hodscha Nasreddin. Bd. 2. Weimar: Alexander Duncker, 1911, S. 99-100.
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