XIII. Runzelschmutzchen.

[45] Es war einmal ein Mann; der besass ein Weizenfeld, auf das er sich täglich begab, um aufzupassen; denn die Vögel kamen immer und frassen ihm den Weizen weg. Er machte schliesslich eine Puppe aus Lumpen und hing sie an einem Baume auf, damit sie im Winde hin und herbaumele und die Vögel erschreckt würden.

Eines Tages kam der Königssohn dort vorüber, der sich gerade auf der Jagd befand. Er sprach: »Was ist denn das für ein Ding, das dort am Baume hängt?« Er trat näher und fand, dass es eine Puppe aus Lumpen war. Da begann diese ihn anzusingen: »Ich werde noch den Prinzen heiraten!« Da rief der Prinz aus: »Das Ding aus Lumpen kann sprechen?« Und er nahm sie her, schnitt sie vom Baume los und steckte sie in die Tasche seiner Jacke. Dann begab er sich nach Hause zu seiner Mutter und holte die Puppe aus der Tasche heraus, mit den Worten: »Sieh', Mutter, was ich dir mitbringe!« »Was ist denn das? Ein Lumpen?« »Das Ding sass da und sang und sprach, sie wolle den Königssohn heiraten.« »Ach, geh! Gib ihr einen Fusstritt und kollere sie in den Keller!« Da beförderte der Prinz die Puppe in den Keller.

Der Prinz begab sich nun jeden Morgen, wenn er aufgestanden war, zur Tür des Kellers und rief der Puppe zu: »Runzelschmutzchen! Ich gehe heute zu Balle. Ich nehme dich aber nicht mit, denn du bist hässlich!« Runzelschmutzchen versetzte: »Das ist mir gleichgültig!« Dann ging der Prinz fort. Runzelschmutzchen aber klopfte eine Nuss auf; aus der kam ihr ein Wagen mit vier Pferden und ein Kleid von der Farbe des Himmels mit seinen Sternen;[45] das zog sie an und begab sich auf den Ball. Als der Prinz sie sah, rief er aus: »O! Das ist ein schönes Mädchen! Ich werde mit ihr tanzen!« Als nur noch kurze Zeit übrig war, dass der Ball aufhören musste, nahm sie ihn bei der Hand mit den Worten: »Ich gehe jetzt fort; denn sonst zankt mich mein Vater aus!« Der Prinz rief zwölf Männer her; die sollten den Wagen Runzelschmutzchens verfolgen und herausbekommen, wo er hinführe. Das Mädchen warf ihnen aber zwei Börsen voll Geld zu, und die Männer suchten das Geld zusammen und bemerkten dabei nicht, wo der Wagen einfuhr. Der Prinz fuhr (hernach) diese Leute an: »Seid ihr bei Sinnen? Ihr habt nicht gesehen, wo sie einfuhr, weil ihr das Geld gesucht habt?!« Runzelschmutzchen aber kehrte nach Hause zurück und begab sich in den Keller.

Als der Prinz vom Balle kam, ging er auch in den Keller und sprach: »Runzelschmutzchen! Das war aber ein schönes Mädchen, mit dem ich auf dem Balle getanzt habe!« »Das ist mir gleichgültig!« erwiderte Runzelschmutzchen.

Am folgenden Tage kam der Prinz wieder und sprach: »Runzelschmutzchen, ich gehe auf den Ball! Ich nehme dich nicht mit, denn du bist hässlich!« »Das ist mir gleichgültig!« versetzte sie und klopfte eine Mandel aus; aus der kam ihr ein Wagen mit vier Pferden und ein Kleid von der Farbe des Meeres mit seinen Fischen. Das Kleid zog sie an und, begab sich auf den Ball. Als der Prinz sie eintreten sah, wurde er fast verrückt vor Freude darüber, dass sie wiedergekommen war. Er zog den Diamant von seinem Finger und schenkte ihn ihr. Dann begannen sie wieder zusammen zu tanzen. Als es nur noch eine Viertelstunde vor Ende des Balles war, sprach sie zu ihm: »Ich gehe jetzt fort.« Der Prinz holte sich zwölf Männer, die mitgehen und beobachten sollten, wo das Mädchen einträte. Sie warf ihnen aber eine Masse Tabak in die Augen, sodass sie allesamt, die Hände an die Augen haltend, Tränen vergiessen mussten; denn sie sahen nichts. Sie begaben sich zum Prinzen: »Sieh', was sie uns angetan hat! Was für Augen wir haben!« Der Prinz kehrte nun nach Hause zurück.

Als er eingetreten war, begab er sich an die Kellertür und sprach zu Runzelschmutzchen: »Das hübsche junge Mädchen war wieder da! Ich habe ihr den Diamant geschenkt, den ich am Finger trug, denn ich will sie zur Braut haben!« »Das ist mir gleichgültig!« versetzte Runzelschmutzchen.[46]

Als der Prinz am folgenden Tage wieder zum Balle aufbrechen wollte, sprach er zu Runzelschmutzchen: »Ich gehe jetzt fort; du kannst nicht mit mir kommen!« Sie versetzte: »Das ist mir gleichgültig!« und klopfte eine Haselnuss auf; aus der kam ihr ein Wagen mit vier Pferden und ein Kleid von der Farbe der Landschaft mit ihrem Grün. Sie zog das Kleid an und begab sich auf den Ball. Als der Prinz sie erblickte, kam er eilends herbei und ergriff sie bei der Hand, worauf sie zusammen zu tanzen begannen. Dann sprach er: »Wenn's beliebt, so sag' mir, wo du wohnst!« Runzelschmutzchen antwortete: »Wo unten eine Schwelle und in der Wand eine Tür ist!« Der Prinz sagte darauf: »Wie soll ich da wissen, welche Tür (du meinst)!« Sie verliess dann den Ball, und der Prinz sandte ihr zwölf Leute nach, die beobachten sollten, wo sie einträte. Sie warf ihnen eine Masse Pfeffer in die Augen. Die Leute deckten sich das Gesicht zu (und riefen): »Sie hat uns blind gemacht! Sie hat uns blind gemacht!« Dann begaben sie sich zum Prinzen, zu dem sie sprachen: »Sieh', was sie uns angetan hat! Sie hat uns des Augenlichtes beraubt, damit wir nicht sehen sollten, wo sie einträte!«

Jetzt verliess der Prinz den Ball und begab sich nach Hause; er warf sich auf das Bett und weinte, und alles missfiel ihm, denn er sah das Mädchen (nun gewiss) nicht wieder und wusste nicht, wo sie eingetreten war! Seine Mutter sass an seiner Seite und fragte ihn: »Was ist dir geschehen, mein Sohn? Sag' mir, was du hast! Willst du nicht essen?« »Nichts, Mutter, fehlt mir! Und wenn mir etwas fehlte, könntest du mir es doch nicht beseitigen!« »Sohn, ich will dir ein paar Zwiebäcke machen; vielleicht isst du sie.« »Wenn dir's beliebt!« Die Mutter stieg nun ins untere Stockwerk und formte die Zwiebäcke. Da kam Runzelschmutzchen in die Küche. »Scher' dich dorthin!« schrie die Königin sie an; »geh' hier weg, damit du mir nicht etwa ein Haar (in den Teig) fallen lässt! Der Prinz ist so eklig!« Runzelschmutzchen aber entwendete der Königin etwas (Teig) und formte vier Zwiebäcke; in einen von ihnen beförderte sie den Diamantring, den ihr der Prinz gegeben hatte.

Die Mutter war unterdessen mit den Zwiebäcken fertig geworden und sprach nun zu Runzelschmutzchen: »He, Dreckkloss!« Runzelschmutzchen kam herbei. Jene sprach zu ihr: »Geh' und schaff' mir die Zwiebäcke nach dem Backofen!« »Ich habe auch[47] vier gemacht!« »Wo hast du sie herbekommen?« »Ich hatte dir ein bischen (Teig) gestohlen!« »Gib aber Achtung, dass du sie nicht unter die meinigen bringst! Denn – geh! – sieh', wie schmutzig sie sind!« Runzelschmutzchen nahm nun die Zwiebäcke und begab sich mit ihnen zum Backofen. Zur Bäckersfrau sprach sie: »Die der Herrin lässt du verbrennen, aber die meinigen bäckst du recht schön! Ich gehe jetzt fort!« Die Bäckerin versetzte jedoch: »Nein! Geh' nicht fort! Setz' dich und warte auf die Zwiebäcke!« Dann holte die Bäckersfrau die Zwiebäcke aus dem Backofen heraus: die der Herrin waren verbrannt, die Runzelschmutzchens dagegen schön geraten! Letztere nahm das Gebäck und ging mit ihm fort. Die Herrin rief: »O weh! Wie sie die meinigen verbrannt hat, während die deinigen so schön geraten sind!« »Verehrte alte Dame, gib dem Prinzen die meinigen!« »Nein! Vielleicht steckt ein Haar in ihnen!« »Nein, Verehrte! Es steckt keins darin!« »Dann bring sie her! Ich werde ihm nicht sagen, dass sie von dir sind!«

Hiermit begab sich die Mutter des Prinzen mit den vier Zwiebäcken zu ihm und sprach zu ihm: »Mein Sohn, steh' jetzt auf! Sieh', was ich für dich gemacht habe! Wie schön sie sind!« Der Prinz nahm einen Zwieback., brach ihn auseinander und fand seinen Diamantring darin. »Mutter! Mutter!« Die Mutter sprach im untern Stockwerke zu. Runzelschmutzchen: »Ach! Was ist da los? Er wird ein Haar gefunden haben!« Damit begab sich die Königin hinauf und sprach zu ihrem Sohn: »Mein Sohn, was willst du?« »Sag' mir, wer diese Zwiebäcke gemacht hat!« »Ich!« »Nein! Es ist nicht wahr, dass du es gewesen seiest! Sag' mir jetzt, wer sie gemacht hat!« »Wenn du willst, dass ich es dir sage, so werde ich es dir sagen: ein Mädchen hat sie gemacht, das bei uns dient.« »Geh' und sag' ihr, sie solle kommen!«

Runzelschmutzchen aber brach unterdessen eine Nuss auf, zog sich gar schon an und stieg, als schönes junges Mädchen, hinauf zum Prinzen. »Ach!« rief er ihr entgegen; »warum wolltest du es unternehmen, mich durch den Kummer, den du mir bereitetest, zu töten? Komm her! Lass mich dich umarmen und küssen, denn du bist meine Braut!« Und Runzelschmutzchen sprach hierauf: »Weisst du noch, wie ich, als ich am Baume aufgehängt war, sang, dass ich den Königssohn heiraten werde?«

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 45-48.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon