XIV. Die sieben Schläfer.

[48] Sie hatten ununterbrochen siebentausend Jahre geschlafen. Nach siebentausend Jahren standen sie auf. Einer von ihnen sprach: »Ältester Bruder, du kannst jetzt gehen und etwas kaufen, was wir essen!« Der älteste Bruder erwiderte: »Ja! Gib mir das Geld!« Der andere gab das Geld ihrem Ältesten. Der letztere ging fort und kam nach einem Laden, zu dessen Besitzer er sprach: »Gib mir ein Pfund Brot; gib mir aber vom gestrigen!« Der Ladenbesitzer fragte hierauf: »Hast du denn gestern etwas bei mir gekauft?« »Jawohl!« »Ich kann mich nicht besinnen, dein Gesicht gesehen zu haben.« »Ich habe gestern hier gekauft.« »Also, das Geld her!«

Als er dem Besitzer des Ladens das Geld gegeben hatte, sprach jener zu ihm: »Was ist denn das für Geld? Das ist ja aus Leder?« Das Geld war nämlich vor siebentausend Jahren eingewechselt worden. Der älteste Bruder sprach hierauf zum Ladenbesitzer: »Und warum (wunderst da dich)? Ich habe doch gestern mit dem Gelde Brot gekauft!« Dem Kaufmann wich alle Farbe aus dem Gesicht und er wurde ganz verwirrt. Ein anderer Mann war mitanwesend; zu diesem sprach der Kaufmann: »Geh' – tue mir den Gefallen – geh' nach der Polizeistation und sag' der Polizei, man solle herkommen!«

Es kam ein Polizist und sprach zum Kaufmann: »Hier bin ich! Wozu darf ich dir meine Dienste anbieten?« Der Kaufmann erklärte: »Sieh den Jungen hier, – was für ein Junge das ist! Er behauptet, er sei gestern gekommen und habe mit dem Gelde da etwas gekauft; aber ich habe niemals solche Geldstücke, wie er sie mir da gegeben hat, gesehen.« Der Polizist versetzte: »Das ist nicht meine Sache; da müssen wir nach dem Inspektor senden.«

Man sandte nach dem Polizeiinspektor, und dieser kam. Man verständigte ihn über die Sache, und er sprach zu den Anwesenden: »Da müssen wir den Kaplan aufsuchen; denn das ist ein ganz sonderbarer Fall.« Der Kaplan erschien sodann auch und betrat den Laden. »Wo ist der Junge!« fragte er. Der Ladenbesitzer versetzte: »Der da ist's!« Jetzt sprach der Kaplan zum Jungen: »Wann bist du das letzte Mal ausgegangen, etwas einzukaufen?« Der Junge antwortete: »Das war gestern.« Der Kaplan fragte hierauf:[49] »Wo ist denn deine Wohnung?« Der Junge sprach: »Komm mit! Ich will sie dir zeigen!«

Da nahm der Junge den Kaplan mit nach der Wohnung, und letzterer bekam nun auch die Brüder des Jungen zu sehen, die er fragte: »Wie lange seid ihr hier?« Die Brüder versetzten: »Seit gestern.« Da liess sich der Kaplan auf die Kniee nieder, und dasselbe taten die Brüder; der Kaplan machte ihnen das Kreuzeszeichen, und die Brüder sanken tot nieder. – Ein gar schöner Geruch hat sich verbreitet, und alles ist ins Nichts zerflossen!

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 48-50.
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