XVIII. Der Priester Don Isidoro.

[57] Don Isidoro hatte fünfzehn Schuljungen; die musste er immer spazieren führen. Schliesslich sagte er einmal zu den Jungen: »Der Atem wollte mir bei dem Spaziergange, den wir gemacht haben, ausgehen. Ich denke, ich muss krank sein; ich werde einmal hingehen und mit einem Arzte sprechen.« Als er den Arzt daraufhin anredete, sprach dieser zu ihm: »Nein! Dir fehlt nichts; Du hast kein inneres Leiden.« Don Isidoro fragte: »Aber was ist mit mir, dass ich immer so pusten muss?« Der Arzt versetzte: »Was mit dir ist? Das kommt von der Last! Du trägst an dir zu schwer herum!« Der Priester versetzte sich einen Schlag ins Gesicht und rief aus: »Famos! Was ist mir da geschehen! Ich soll schwer trächtig sein? Ich bin doch kein weibliches Geschöpf! Nun werde ich mich aber hinsetzen und den Frauen die Beichte abnehmen; schliesslich wird ja eine kommen, die mir berichten wird, wie sie niedergekommen ist!«

Don Isidoro setzte sich in den Beichtstuhl, und es kam eine Frau, die zu ihm sprach: »Herr Pater, ich bin gekommen, um zu beichten.« »Wie lange hast du nicht gebeichtet?« »Seit zwei Monaten; denn ich war niedergekommen.« »Gut! Gut! Bitte! Sag' mir, wie da das gemacht!« »Herr Pater, ich stieg auf einen Baum, und als ich dabei herunterstürzte, kam sogleich ein kleiner Junge an die Welt, – d.h. den gebar ich.« »Gut! Jetzt sei gesegnet!«

Hierauf begab sich der Priester nach Hause. Dort befanden sich auch die Schuljungen, zu denen er sprach: »Zieht euch jetzt hübsch sauber an; ich werde euch mit spazieren nehmen!« Darauf wanderten sie in einen Garten. Dort sprach Don Isidoro zu den Jungen: »Ich werde auf den Baum steigen und euch ein paar Schlehen losbrechen.« Einer der Knaben stutzte und rief: »Nein! Steig' nicht hinauf! Lass uns hinaufsteigen! Du trägst zu schwer[57] mit dir herum!« »Heilige Maria! Was ist mir da geschehen! Auch ihr wisst es? Nein! Ich will hinaufsteigen; lasst mich nur niederkommen!«

Damit stieg er auf den Baum. Als er in den Wipfel des Baumes gelangt war, stürzte er hinunter: es stürzten mit ihm aber eine Anzahl Vogeleier und Vögel mit hinunter, auf die er fiel; und die Vögel begannen aufzufliegen, ein Teil hierhin und ein Teil dorthin. »O je!« rief er aus; »nun bin ich's los, – beim lebendigen Gotte! Jetzt sehe ich: ich trug Vögel im Leibe herum! Nun bin ich zufrieden! Und morgen, aus Freude darüber, dass ich die Sache so schnell losgeworden bin, werde ich euch ein Mittagsessen vorsetzen!«

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 57-58.
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