XXV. Dschahan und die Kichererbse.

[69] Es war einmal ein Junge namens Dschahan; der hatte einst zu seiner Mutter gesagt: »Gib mir einen Centime!«, worauf sie erwiderte: »Wozu einen Centime?« »Damit ich Bohnen dafür kaufe.« »Bohnen haben Schalen!« »Dann werde ich Nüsse kaufen.« »Die haben auch Schalen!« »Dann werde ich Kichererbsen kaufen!« »Gut!« sprach die Mutter und gab ihrem Dschahan drei Centimes, und er ging hin und kaufte sich Kichererbsen.

Dschahan ass drauf los, und schliesslich hatte er nur noch eine Kichererbse. Er hatte nun noch keine Messe gehört – er hatte also noch eine Kirchererbse – und so gab er diese denn einer Frau mit den Worten: »Heb' sie mir auf! Ich möchte hingehen und die Messe anhören!« Die Frau versetzte: »Leg' sie auf den Steinsims!« Da frass ein Huhn seine Kichererbse. Dschahan kam zurück und sprach zu der Frau: »Ich komme wegen der Kichererbse.« »Deine Kichererbse hat die Henne gefressen!« antwortete die Frau. Da begann Dschahan zu schreien: »Entweder die Kichererbse oder die Henne!« »Nimm die Henne!« sprach die Frau und gab sie ihm.

Dschahan hörte wieder zur Messe läuten; er erblickte eine alte Grossmutter, welche spann, und sprach zu ihr: »Grossmutter, erlaube, dass ich die Henne hierlasse! Ich werde sie gleich wieder abholen!« Die Messe ging zu Ende und Dschahan wollte sich die Henne holen. Die alte Frau bedeutete ihn: »Geh' hin und hol' sie dir dort bei den Truthühnern!« Da rief Dschahan aus: »Dort liegt sie ja tot! Die Truthenne hat sie getötet!« Und er begann zu schreien: »Entweder die Henne oder die Truthenne!« Da gab ihm die alte Frau die Truthenne.

Wieder hörte Dschahan zur Messe läuten; er sah eine Frau in der Tür (ihres Hauses) stehen und sprach zu ihr: »Darf ich die Truthenne hierlassen?« Die Frau versetzte: »Geh' und lass sie bei den Schweinen!« Als er von der Messe kam, wollte er die Truthenne haben. Die Frau sagte zu ihm: »Die Sau hat sie dir getötet!« Da begann Dschahan zu schreien: »Es ist mir alles gleichgültig! Entweder die Truthenne oder die Sau!« Da gab ihm die Frau die Sau.

Wieder hörte Dschahan zur Messe läuten. Als er eine Frau[70] in (ihrer) Haustür erblickte, sprach er zu ihr: »Darf ich einen Augenblick die Sau hierlassen?« Die Frau versetzte: »Steck' sie zur Stute!« Als Dschahan dann von der Messe zurückkam und zu der Frau sprach: »Gib mir die Sau!«, versetzte die Frau: »Die hat dir die Stute getötet!« Dschahan erwiderte: »Das ist mir gleichgültig! Entweder die Sau oder die Stute!« Da sprach die Frau zu ihm: »Nimm die Stute!«

Dschahan begab sich nun zu einer (andern) Frau und bat sie: »Gestatte, dass ich die Stute hierlasse!« Diese Frau versetzte: »Ja! Lass sie hier!« Darauf mistete die Stute auf den Boden. Die Frau hatte eine junge Tochter; letztere sprach zur Mutter: »Was hast du da hereingebracht?« – und sie zankte los; denn sie hatte eben den Boden gewaschen. Als sie ihn nun so beschmutzt sah, nahm sie eine Stange her und begann auf die Stute loszuprügeln und tötete sie. Darauf kam Dschahan wegen der Stute (und sprach): »Wo ist sie?« Die Frau antwortete ihm: »Das Mädchen hat sie getötet!« Da schenkte ihm die Frau das Mädchen, und Dschahan steckte es in einen Sack. Dann ging er hinaus.

Wieder hörte er zur Messe läuten. Er erblickte eine alte Grossmutter und sprach zu ihr: »Gestatte, dass ich den Sack ein wenig hierlasse!« Die Alte erwiderte: »Leg' ihn auf den Sims hier!« Dorthin legte ihn Dschahan. Da sah die Alte, dass sich der Sack bewegte. Sie öffnete ihn und sah das Mädchen, nahm es, versteckte es und füllte den Sack mit Scherben. – Und damit ist die Geschichte zu Ende!

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 69-71.
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