XXIV. Die siebenköpfige Schlange.

[67] Es war einmal ein Junge; der befand sich bei einem Schmiede. Letzterer hatte eine grosse Eisenstange da. Er sprach einst zum Jungen: »Giuseppe, geh' und hole ein paar Leute; sie sollen diese Eisenstange fortrollen!« »Es ist gar nicht nötig, dass ich Leute hole!« versetzte der Junge. Der Schmied sprach: »Ich kann sie nicht fortrollen; dazu habe ich keine Kraft!« Und er fuhr fort: »Geh', – heb' sie doch auf!« Der Bursche machte sich daran und nahm die Stange auf seine Schulter. Als dann der Sonnabend kam und der Meister den Jungen fragte, was er ihm als Lohn geben solle, erwiderte der Junge: »Gib mir diese Eisenstange!« Der Meister sprach hierauf: »Du brauchst nicht mehr zur Arbeit zu kommen!«

Da ging der Junge fort und fand alsbald zwei andere, die ihm befreundet waren, und sie zogen nun zusammen des Weges entlang. Sie erblickten einen grossen Wald und betraten ihn und liessen sich in ihm nieder; zwei von ihnen suchten Lebensunterhalt, und einer blieb da und kochte das Essen. Als sie dasassen und assen, kam plötzlich ein Löwe und packte einen von ihnen und schlug auf ihn ein. Jetzt verfolgten sie den Löwen. Sie hatten dabei in einen Erdschacht hinabzusteigen.

Unten erblickten sie drei Gemächer – eins aus Gold, ein andres aus Silber und ein drittes aus Blei. Die zwei Andern waren aber nicht mit dem, der die Eisenstange besass, hinuntergeklettert. Jener aber kletterte hinunter und klopfte an das erste Gemach; das war aus Blei, und in ihm befand sich eine grosse siebenköpfige Schlange, die die Königstochter fortgeschleppt hatte. Der junge Mensch machte sich nun daran, mit der Schlange zu kämpfen: und er tötete die Schlange. Das Mädchen sprach jetzt zu ihm: »Steig' hinauf!« »Nein!« versetzte der Jüngling; »ich muss auch die andern Schlangen töten!« Da rief ihm das Mädchen zu: »Den Säbel hier nimm, der an der Tür hängt! Der wird die Schlangen töten! Die andern Säbel sind aus Scherben!« Und nun begann er den Kampf mit der zweiten Schlange – derjenigen im Silbergemache – und tötete sie: endlich liess er sich auch mit der Schlange des Goldgemachs in den Kampf ein und tötete sie auch. Er fand je ein Mädchen im Silbergemache und im Goldgemache und brachte sie an die Oberwelt.[68]

Die Prinzessin sprach hierbei zu ihm: »Steig' du zuerst hinauf!« Der Jüngling aber antwortete: »Nein! Steigt ihr zuerst hinauf!« Während er nun hinaufkletterte, begannen seine Genossen ihn mit Steinen zu werfen, um ihn zu töten. Dann brachen die beiden Genossen von ihm mit den Mädchen auf und schafften sie zu deren Vater (dem Könige). Der sprach zu den beiden Männern: »Was wollt ihr jetzt dafür, dass ihr sie hergebracht habt?« Sie antworteten: »Gib jedem von uns eine von ihnen zur Frau!« Der König erklärte sich dazu bereit.

Jener aber, den sie mit Steinen überschüttet hatten, hörte, wie sie aufbrachen; er reiste ihnen nach und mietete sich ein Stübchen in der Nähe des Königspalastes; er besass aber die Mäntel der Mädchen. Die Mädchen erklärten einst ihrem Vater: »Vater, wir wollen unsere Mäntel haben!« Der König liess fragen: »Wer will meinen Töchtern die Mäntel herbeiholen?« Da sprach jener, der die Schlangen getötet hatte: »Ich werde sie herschaffen!« Er tat dies, und der König fragte ihn: »Was hast du zu bekommen?« Der junge Mensch antwortete: »Nichts! Aber ich möchte eingeladen werden und die Hochzeit mitbesuchen dürfen!« Der König sprach hierauf: »Komm' nur hin!«

Die beiden Gefährten des Jünglings hatten nun die Köpfe der siebenköpfigen Schlange, – indess fehlten die Zungen; und sie hatten diese Köpfe auf der Hochzeitstafel angebracht, um sie auf der Tafel auszustellen. Da begann jener junge Mann und sprach zu den Leuten: »Diese Köpfe haben keine Zungen!« Der König horchte auf und sprach: »Allerdings!« Der Jüngling aber fuhr fort: »Ich habe nämlich die Schlange getötet!« Und hiermit holte er die Zungen aus seiner Busentasche heraus.

Da sprang das älteste jener Mädchen auf und rief: »Vater! Der hat uns von dort, wo wir uns befanden, wieder ans Tageslicht gebracht!« Und endlich sprach der König: »Was willst du, dass mit deinen Gefährten geschehe dafür, dass sie Verrat an dir geübt haben?« Und der junge Mensch versetzte: »Ich wünsche, dass sie in Öl gesotten werden!« – Und damit ist die Geschichte zu Ende!

Quelle:
Stumme, Hans: Maltesische Märchen. Gedichte und Rätsel in deutscher Übersetzung, Leipziger Semitistische Studien, Band 1, Heft 5, Leipzig: J.C. Hinrichsche Buchhandlung, 1904, S. 67-69.
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