175. Todte Frau verwahrt das Haus.

[272] Mündlich.

Eugen Gens in der Emancipation.


In der Nähe des Dorfes Scherpenheuvel, welches durch sein mirakulöses Marienbild so sehr berühmt ist, wohnte ein Bauer, und der war ein Witwer, und seine Frau hatte ihm ein Kind von elf Monden hinterlassen und eine Kuh, welche sie ihm mit ins Haus gebracht. Bei einer großen und gefährlichen Seuche, woran Menschen und Vieh starben, wurde das Kind krank und nicht lange nachher auch die Kuh. Da wußte der arme Mann nun nicht, was er beginnen sollte, er hätte gerne, sein Kind auf den Armen, eine Wallfahrt zu unserer lieben Frau nach Scherpenheuvel unternommen, aber dann blieb ja keiner, der die Kuh versorgt hätte, und dafür Geld zu geben, war der Bauer zu arm. Mehre Nachbarn, welche er bat, ihm den Liebesdienst zu erweisen und des Thieres zu pflegen, schlugen ihm das ab, und trostlos kam er nach Hause zurück und setzte sich weinend an den Heerd und sprach: »Ach Gott, wenn meine arme Frau noch lebte, dann ginge alles gut und ich könnte nach Scherpenheuvel gehen und mein Kind und meine Kuh würden gesund. Ach, liebe Mutter Maria, hilf mir doch und gieb mir einen Rath ein, was ich thun soll!«

Kaum hatte er die Worte gesprochen, da klopfte es an seine Thüre. Er machte auf, – es war seine todte Frau. – »Erschrick nicht, lieber Mann«, sprach sie, »die Muttergottes hat dein Gebet erhört und mir erlaubt, wiederzukehren und des Kindes und der Kuh zu pflegen. Darum gehe getrost und erfülle dein Gelübde.« Und mit den Worten nahm sie dem starrenden Gatten das[273] Kind vom Arme und legte es an ihre Brust, und das Kind lächelte und war froh und trank.

Der Bauer reiste weg und hielt seine Andacht neun Tage in Scherpenheuvel, und als er wiederkam, da war die Kuh genesen. Seine Frau überreichte ihm das Kind, welches gar frisch und blühend aussah, gab ihm und dem Säugling einen letzten Kuß und verschwand.

Seit dem Tage ging es mit des frommen Landmannes Wirthschaft immer besser und besser, und er wurde ein reicher Mann. Zum Gedenken an das Wunder ließ er dann auch die Geschichte malen und das Bild in der Kirche zu Scherpenheuvel aufhängen, wo es noch heute zur linken Seite des Einganges zu sehen ist.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 272-274.
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