79. Das Engelandgat zu Gent.

[112] Vaernewyck, Historie van Belgis etc. II, Fol. 180.

Ph. Blommaert im Kunst- en Letter-Blad. 1841. S. 4.


Als unter Graf Arnolds Regierung im Jahre 965 die französischen und englischen Heere, ihre Könige an der Spitze, die Stadt Gent belagerten und sie mit vollkommener Vernichtung bedrohten, da wurden eines Tages zwei Schildknappen zu dem Ruwaert in die Stadt gesandt, um von demselben die Uebergabe von Gent zu fordern. Als sie an dem Thore angekommen waren, öffneten ihnen die Wächter und führten sie in das Rathhaus, wo eben die Schöffen, die Hauptleute und die Dekane der Zünfte versammelt saßen. Als sie sich nun ihres Auftrages entledigt hatten, da erklärte ihnen der Ruwaert (Statthalter) von Flandern, Dietrich von Beveren, in aller Namen, daß man beschlossen hätte, die Stadt gegen jede Gewalt zu vertheidigen, und an keine Uebergabe dächte. Der englische Schildknappe antwortete darauf, daß alsdann eine vollkommene Verwüstung Gents Loos sein werde, indem der König, sein Herr und Meister,[112] geschworen und mit einem theuren Eide es gelobet habe, so sich die Stadt nicht übergäbe, sie von Grund aus zu vertilgen, dergestalt, daß man die Stelle nicht finden könnte, wo sie gestanden, und alsdann mit eigener Hand das erste Korn auf dem Freitagmarkte zu säen.

Hierauf erwiederte der Ruwaert: »Dann sage dem Könige, deinem Herrn, daß wir weder seine Macht noch seine Drohungen fürchten, und daß wir unsererseits einen gleich theuren Eid geschworen haben, ihm nie und nimmer unsere Thore zu öffnen.«

Die französischen und englischen Lager waren nach langer und vergeblicher Belagerung endlich zum Abzuge gezwungen. Da sandte der König von England einen Ritter an den Ruwaert und ließ diesen um die Erlaubniß bitten, zur Erfüllung seines gethanen Schwures einige Körnchen Samenkorn auf den Freitagmarkt hinwerfen zu dürfen. Der Ruwaert entgegnete, der Stadt sei ihr Eid so heilig, wie dem Könige; wolle dieser aber durch eine neuzubrechende Oeffnung in der Ringmauer in die Stadt kommen, so sei ihm dieß nicht verwehrt; die Thore von Gent aber würden ihm nie geöffnet werden.

Der König nahm den Vorschlag an, und man brach ein Loch in die Mauer zwischen der Torre- und Posterne-Poort, und durch dieses trat er in die Stadt und warf eine Handvoll Korn auf den Freitagmarkt.

Von dieser Begebenheit behielt die Straße, in welche er zuerst kam, den Namen das Engelandgat (Engelandloch), und den trägt sie noch heutigen Tages.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 112-113.
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