[353] 264. Der Schüler des Agrippa.

Delrio, Disquis. mag. p. 309.


Cornelius Agrippa hatte zu Löwen einen gar neugierigen Schüler. Als er nun einmal verreiste, gab er die Schlüssel seines Studirzimmers einer Frau, die bei ihm wohnte, und schärfte ihr aufs höchste ein, nur ja keinem Menschen sie anzuvertrauen, auch keinen hineinzulassen. Kaum aber war der Meister aus dem Hause, als der Schüler die Frau bat und flehte, daß sie ihm die Schlüssel einmal gäbe, und das also lang that, bis er dieselben bekam. Das erste, was der Schüler erblickte, als er in die Kammer trat, war das Beschwörungsbuch des Meisters, und vor dieses stellte er sich hin und[353] begann in demselben zu blättern. Eben hatte er einige Worte aus dem Buche gelesen, als es an der Thüre klopfte. Der Jüngling hörte nicht darauf und fuhr fort zu lesen. Als er aber auf ein zweites Klopfen eben so wenig Antwort gab, öffnete sich die Thüre und ein Geist trat ein und fragte den Jüngling: »Warum rufst du mich? Was soll ich dir thun?« Darauf war der Schüler nicht gefaßt, auch erschreckte ihn die Erscheinung also, daß ihm das Wort versagte und er keine Sylbe hervorzubringen wußte. Dem Geiste mißfiel das, er zürnte darob und erdrosselte den Jüngling.

Inzwischen kehrte der Meister zurück und berief einen Geist zu sich, den er fragte, was es mit dem Tode des Schülers für Bewandtniß habe. Als ihm nun der Geist alles erzählt, befahl Agrippa ihm, in die Leiche zu fahren, vor der Thüre, wo die übrigen Schüler zusammenzukommen pflegten, herumzuwandeln und alsdann den Körper wieder zu verlassen. Welches der Geist auch gethan, und hat jeder gemeint, der Jüngling sei plötzlich gestorben.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 353-354.
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