[392] 314. Teufel fährt in des Todten Leib.

Thomas Cantipratensis S. 541.


In der Gegend von Nivelle lebte eine fromme Jungfrau. Diese ging einst um Mitternacht in die Kirche, um[392] zu beten. Das ärgerte den Teufel, und er fuhr in den Leib eines Todten, welcher Tages zuvor in der Kirche niedergesetzt worden war, und fing an, in dem Sarge zu rumoren. Die Jungfrau bekreuzte sich und rief dem Teufel, dessen List sie wohl erkannte, zu: »Gieb dich nur zur Ruhe, du Elender, denn du vermagst doch nichts gegen mich.« Da erhob sich der Teufel mit dem Leichname und sprach: »Wohl vermag ich jetzt etwas wider dich, und du sollst mir nun büßen für all die Unbill, die du mir angethan.« Als die Jungfrau diese Rede hörte, erhob sie sich furchtlos, ergriff mit beiden Händen einen nahestehenden Kreuzstock und schlug damit den Todten dermaßen aufs Haupt, daß er zusammenstürzte und der Teufel fliehen mußte. Dann aber war sie in Noth, wie sie den Leichnam wieder auf die Bahre bringen sollte, und sie arbeitete lange, ohne daß sie es vermocht hätte.

Als der Priester des Morgens zur Kirche kam, erstaunte er sehr, den Todten mit verwundetem Kopfe an der Erde zu finden, und fragte die Jungfrau, wie das zugegangen wäre. Als diese es ihm nun mit vielen Thränen gestand und ihn bat, die Leiche wieder an ihren Ort zu legen, da wollte der Priester das nicht thun, sondern sprach, solches müsse das Volk zur Verherrlichung des göttlichen Namens erfahren. Darob erröthete die Jungfrau, denn sie wollte nicht, daß sie dabei genannt würde, und als der Priester dabei blieb, flüchtete sie nach Nivelle und blieb dort ihr ganzes Leben lang.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 392-393.
Lizenz:
Kategorien: