407. Das erloschene Feuer zu Audenaerde.

[492] Mündlich.

J. Ketel im Feuilleton der Gazette von Audenaerde.


An dem Giebel des prächtigen Hauses, in welchem die edeln Geschlechter Latour und Tassis, Vandenbroucke und Vandermeere ehedem blüheten, stand noch vor wenigen Jahren eine alte Zaubersage in Stein gehauen; nun hat man die Geschichte heruntergerissen, aber im Munde alter Leute lebt sie noch. Wann sie sich zugetragen hat, darüber kann keiner etwas sicheres melden; man sagt nur: zur Zeit, als noch die Zauberer und Zauberweiber die Macht besaßen, gute Christen zu quälen.

In der Zeit nämlich lebte in Audenaerde ein braver Jüngling, und der liebte schon seit lange ein Mädchen aus seiner Nachbarschaft, und zwar so sehr, daß er Tag und Nacht um sie seufzte und ihr auf jedem Schritte folgte. Trotz all dem konnte er keine Gegenliebe erlangen,[492] und je mehr er darum bat, desto weniger wurde sie ihm und desto mehr lachte das Mädchen seiner. Endlich schien sie doch erweicht und sprach zu ihm, sie wolle ihn in der folgenden Nacht in ihr Haus lassen; aber das ginge nicht anders, als mit Hülfe eines Korbes, in welchem sie ihn heraufziehen wolle an ihr Fenster; er müsse also sorgen, daß er um Mitternacht mit dem Korbe vor ihrer Thüre stehe. Der gute Jüngling eilte seelenvergnügt nach Hause und fand sich punkt zwölf Uhr Nachts mit seinem Korbe ein; ein dickes Tau sank nieder, er schlang es schnell um den Korb, setzte sich hinein und wurde hinaufgezogen. Kaum zur Hälfte des Giebels gekommen, hielt der Korb still und drehte sich rund und wieder rund und abermals rund, so daß dem Armen, der drinnen saß, ganz schwindlich wurde. Er rief leise den Namen der Geliebten, hustete und gab Zeichen aller Art, aber alle Fenster blieben geschlossen und er in der schwindelnden Höhe.

So hing er noch da, als Morgens die Arbeiter zu ihren Werkstätten gingen. Bald war er bemerkt, eine unzählige Menge Volkes sammelte sich vor dem Hause und lachte ihn aus, bis der Korb sich spät am Tage erst senkte und der unglücklich Liebende verhöhnt und verspottet von dannen laufen konnte. Glühender Haß hatte die vorhin so glühende Liebe zu dem Mädchen in seinem Herzen ersetzt; in der Stadt meinte er's nicht mehr aushalten zu können, und so entfloh er ihr und rannte wie von Peitschenhieben getrieben nach dem Edelaerwalde hin. Dort angelangt, sah er plötzlich einen alten greisen Herrn vor sich, der ihn fragte, warum er also eile und was ihm fehle. Der Jüngling erzählte ihm alles, und der Alte schien tief gerührt und sprach: »Tröste dich darob, wir wollen sehen, dich zu rächen ob solchen Schimpfes; zehn Generationen und mehr noch sollen daran gedenken.«[493]

Der Greis war aber einer der mächtigsten Zauberer, welche es in und um Audenaerde gab, und er hatte viele tausend Teufel in seinen Diensten. Mit dieser Hülfe löschte er alsbald alles Feuer in der Stadt aus; kein Heerd, kein Lämpchen brannte mehr und allgemeiner Schrecken verbreitete sich. Als die Noth auf das Höchste gestiegen war, versammelten sich die Ersten der Stadt auf dem Markte, um dort zu berathen, was zu machen sei; aber keiner kannte ein Mittel, um dem Uebel abzuhelfen.

Da trat mit einem Male der Greis in Gestalt eines ehrbaren Bürgers in die Mitte der Versammelten und sprach: »Mir ist eben ein Mittel kund geworden, um wieder Feuer zu bekommen, aber das Mittel ist in etwa beschwerlich und die Herren des Rathes werden all ihre Macht aufbieten müssen, um es ausführbar zu machen.« Als die Bürger das hörten, riefen sie alle erfreut, er solle nur das Mittel nennen, sie würden schon dazu zu kommen wissen. Da fuhr der Greis fort: »Dann müsset ihr das Mädchen herbringen, welches den Jüngling in dem Korbe verspottet hat, denn sie ist die Ursache des ganzen Mißgeschickes und sie allein kann demselben abhelfen.« Zur Stunde sandte der Rath zu dem Hause der Jungfrau, und sie mußte trotz allem Gegenstreben auf dem Markte erscheinen. Nun gebot der Greis, einen Tisch zu bringen und eine solche Anzahl Kerzen, daß jeder Bürger eine bekomme. Als auch das geschehen war, hieß er das Mädchen sich ausziehen, und kaum hatte sie das, wiewohl ungern, gethan, als ihrem Rücken eine Flamme entschoß, an der die Bürger einer nach dem andern ihre Kerzen anzündeten. Es dauerte viele Stunden lang, ehe die Einwohner alle Feuer hatten, aber das ging nicht anders, denn eine Kerze zündete nicht an der andern, sondern alle nur an dem Rücken des Mädchens, welches nicht ohne großes Gelächter zuging.[494]

Diese letzte Scene war auf dem letzten Basrelief, welches sich auf der Seite nach der Katzenstraße hin befand, abgebildet.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 492-495.
Lizenz:
Kategorien: