537. Die Herberge »zur Otter« zu Sankt Gillis bei Dendermonde.

[627] Mitgetheilt von Jaek van de Velde.


Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebte in Dendermonde ein gar strenger Befehlshaber, der hieß Tornaco. Dieser war ein Liebhaber von Fischen, und da ihm in seiner Stellung der Fischfang in den Gräben der Stadt frei stand, ersuchte er häufig den Wächter derselben, ihm sein Lieblingsgericht zu bringen. Dieser kam aber nie dazu und sprach stets, es wäre nichts in den Gräben zu fangen, und als Tornaco ihn um die Ursache fragte, gab er vor, die Ottern kämen in jeglicher Nacht und holten die Fische weg.

Da schickte der Befehlshaber heimlich zwei Soldaten an den Stadtgraben, damit sie der Otter auflauerten. Gegen Mitternacht sahen diese einen Mann sich dem Graben nähern und in ein dort liegendes Boot springen, aus dem er mehre Netze hervorzog. Alsbald sprangen sie herzu und faßten ihn, und siehe – es war der Fischwächter. Zu Tornaco geführt, wurde er von diesem mit dem Galgen bedroht, wenn er nicht seine Missethat alsbald eingestehe. Da fiel der arme Mann dem strengen Herrn zu Füßen und bekannte, daß er selbst die Otter gewesen und die Fische weggeholt habe; jedoch sei seine[627] Armuth und Noth so groß, daß er sich, seine Frau und seine hungernden Kinder damit einzig am Leben erhalte, indem sie kein Stücklein Brotes im Hause hätten.

Das rührte den Befehlshaber und er verzieh dem Fischwächter. Um ihm aber das Andenken an den Diebstahl stets rege zu erhalten und zugleich ihn vor Wiederholung desselben zu warnen, befahl er ihm, sein Häuschen, welches zugleich eine Herberge war, von dem Tage an »zur Otter« zu nennen; und den Namen behielt es bis zum heutigen Tage.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 627-628.
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