Madey.

[51] Es war einmal ein Kaufmann, der fuhr durch einen Wald. Da war es schwarz und dunkel. Er irrte lange umher, und als es ganz Nacht geworden war, blieb er im Sumpfe stecken. Er wurde ganz traurig und fing an zu weinen, als ihm plötzlich der Böse in Menschengestalt erschien.

»Sei munter, Mensch!« sprach er zum Kaufmann, »ich will Dich aus dem Sumpfe ziehen und Dir den Weg nach Hause zeigen, – aber unter der Bedingung, daß etwas, was in Deinem Hause ist, ohne daß Du es weißt, mir gehören soll.«

Der Kaufmann dachte ein wenig nach und war gern mit der Bedingung zufrieden, denn er wußte nicht,[51] daß ihm seine Frau während seiner langen Reise ein hübsches Söhnchen geboren hatte. Der Teufel zog ihn aus dem Sumpfe, brachte ihn auf die rechte Straße und nötigte ihn, sein Versprechen mit Namensunterschrift auf ein Pergament zu setzen. Dann verschwand er plötzlich.

Der Kaufmann freute sich sehr, als er seine liebe Frau nach so langer Abwesenheit wieder umarmen konnte; aber er war sehr betrübt, als er das kleine Knäblein sah, das er schon dem bösen Geiste verschrieben hatte. Der ehrliche Mann weinte oft im stillen und verbarg seine Tränen vor Weib und Kind.

Indessen wuchs das Kind heran. Es war still, ruhig und lernbegierig. Im fünften Jahre las und schrieb es schon wie sein Lehrer, und das betrübte den armen Vater noch mehr, daß er sich von einem so lieben Kinde bald trennen und es dem Teufel opfern sollte.

Als der Junge sieben Jahre alt geworden war, bemerkte er des Vaters Kummer und Tränen; er bat deshalb so sehr und drang so lange in ihn, bis ihm der Kaufmann alles erzählte.

»Betrübe Dich nicht, mein Vater; Gott wird mir helfen: ich will in die Hölle gehen und Deine Handschrift herausholen.«

Die Mutter weinte und der Vater weinte auch, als sie dem Knaben zu einer so weiten Reise den Segen gaben. Doch dieser packte zusammen, was er nötig hatte, und schritt dann ruhig zum Hause hinaus.

Er ging einen weiten, weiten Weg, bis er in einen finstern, schrecklichen Wald kam, wo in einer verborgenen Höhle der grausame Räuber Madey wohnte. Dieser hatte seinen eigenen Vater ermordet und nur seine[52] Mutter bei sich behalten, damit sie ihm das Essen koche. Wer in seine Hände kam, den schlug er ohne Erbarmen tot. Seine Mutter versteckte wohl die Verirrten in der Höhle; aber Madey hatte einen so feinen Geruch, daß er Menschenfleisch sofort roch.

In diese Räuberhöhle geriet zufällig unser Bürschlein, als es sich vor einem Sturme schützen wollte. Die alte Mutter erbarmte sich des Kleinen und versteckte ihn in einem Winkel der Höhle; als aber Madey später hereinkam, roch er gleich einen frischen Menschen. Schon hatte der arme Junge seinen Kopf unter die Keule des Räubers gebückt, da hörte dieser, wohin eigentlich seine Reise ging. Er schenkte dem Knaben das Leben, und dafür sollte sich der Kleine in der Hölle erkundigen, welche Qualen dort den Räuber erwarteten.

Der kleine Bursche verließ mit Tagesanbruch die Höhle und kam bald an die Pforte der Hölle. Mit geweihtem Wasser und mit kleinen Heiligenbildern, die er da anklebte, öffnete er leicht das Tor. Luzifer vertrat ihm den Weg und fragte barsch nach seinem Begehr.

»Ich will die Handschrift, welche Dir mein Vater auf meine Seele ausgestellt hat.«

Da der König der Hölle ihn so schnell wie möglich loszuwerden wünschte, so befahl er, dem Kleinen die Handschrift herauszugeben. Aber der lahme Twardowski hielt ihn fest, denn da ihn ein Tropfen des geweihten Wassers brannte, so wollte er aus Rache die Schrift nicht hergeben. Da rief Luzifer zornig aus: »Legt ihn auf Madeys Bett!« Aus Furcht vor dieser schrecklichen Strafe gab nun Twardowski die Handschrift schnell zurück.[53]

Der Knabe war neugierig geworden und wollte sich das Bett ansehen. Es war aus eisernen Stangen gemacht, auf diesen waren scharfe Messer, Nadeln und Spitzen angebracht; unten brannte ein beständiges Feuer, und von oben tropfte glühender Schwefel herunter.

Der Knabe ging nun zurück in die Räuberhöhle, wo Madey ganz traurig auf ihn wartete. Er erzählte ihm alles, was er gesehen hatte. Da wurde der Räuber starr vor Schrecken; er wollte sogleich anfangen für seine Sünden Buße zu tun. Sie gingen also zusammen zur Höhle hinaus. Madey kniete im Walde nieder, steckte seine Mörderkeule in die Erde, und da er wußte, daß der Knabe ein Priester werden wollte, so sagte er: »Hier an diesem Orte will ich warten, bis Du ein Bischof sein wirst.«

Es waren wohl dreißig Jahre vergangen, da war der Knabe herangewachsen und Bischof geworden. Einmal reiste er durch einen dunklen Wald, den er mit den Augen garnicht ausmessen konnte, und da spürt' er einen lieblichen Apfelgeruch. Er befahl also seiner Dienerschaft, hinzugehen und die Früchte aufzusuchen. Die Fortgeschickten kamen bald zurück und erzählten, in der Nähe sei zwar ein schöner Apfelbaum, aber kein einziger Apfel lasse sich pflücken, und neben dem Baume kniee ein eisgrauer Mann.

Der Bischof ging hin und erkannte zu seinem Erstaunen den Räuber Madey: in schneeweißem Haar und mit einem ungeheuren Barte kniete er noch immer an derselben Stelle. Er bat den Bischof himmelhoch, ihm die Beichte abzuhören und die Lossprechung zu geben. Der Bischof erfüllte seine Bitte. Seine Diener sahen mit Verwunderung, daß sich während der Beichte[54] ein Apfel nach dem andern in eine weiße Taube verwandelte und in die Luft flog. Das waren die Seelen der Gemordeten. Nur ein Apfel blieb noch übrig, – es war dies die Seele des ermordeten Vaters, denn Madey hatte diese schwerste Sünde verschwiegen. Doch als er zuletzt auch diese Schuld bekannte, da flog der letzte Apfel, in eine graue Taube verwandelt, den übrigen nach.

Der Bischof betete heiß für den reuigen Sünder, und als er ihm die Lossprechung gegeben hatte, zerfiel der Leib des Räubers in lauter Staub.

Quelle:
Volkssagen und Märchen aus Polen von K. W. Woycicki. Breslau: Verlag von Priebatschs Buchhandlung, 1920, S. 51-55.
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