Boruta.

[55] Boruta ist ein berüchtigter Teufel, der noch bis auf den heutigen Tag unter den Trümmern des Schlosses von Lenczyca in Masowien1 hauset. Er ist schon alt, denn schon seit Jahrhunderten kennt man ihn. Doch ist er jetzt wahrscheinlich schon ein bißchen gesetzter geworden, da man in neuester Zeit nicht mehr viel von ihm zu hören bekommt. Früher aber war sein Name weit und breit gefürchtet, und wer mit seinem Nachbar in Feindschaft lebte, der führte wohl den Fluch im Munde: »Mag ihn Boruta erdrosseln oder ihm das Genick brechen!« – Und der Teufel war immer willig, solche Wünsche zu erfüllen.

Nicht weit vom Schlosse von Lenczyca wohnte ein Edelmann von ungeheurer Körperstärke. Niemand wagte es, sich im Zweikampf mit ihm zu messen, denn gleich beim ersten Zusammenstoß schlug er dem Gegner mit[55] einem kräftigen Hieb den Säbel aus der Hand. Hatte er einmal mit dem Rücken an der Mauer des Hauses Stellung genommen, so konnte die ganze Nachbarschaft nichts gegen ihn ausrichten.

Deshalb wurde dieser Edelmann ebenfalls Boruta genannt. Man glaubte, daß ihm der Teufel Boruta beistehe, weil niemand seiner Stärke widerstehen konnte. Zum Unterschiede von dem wirklichen Teufel jedoch, und weil er eine graue Kappe zu tragen pflegte, wurde er Grau-Boruta genannt. Niemand wagte ihn zu reizen, jeder ging ihm von weitem aus dem Wege. Sogar im Weinhause – wenn da die betrunkenen Edelleute in wildem Streite schon nach den Säbeln griffen und zufällig Grau-Borutas Stimme hörten, gingen sie entweder in den Hausflur oder auf den Hof und färbten sich dort ihre kahlen Köpfe blutig.

Das machte den Edelmann stolz, und in kühnem Selbstlob drohte er häufig, er wolle dem wirklichen Boruta, sobald er ihn treffe, den Hals umdrehen und ihm seine Reichtümer entreißen. Dann erschallte oft, wie man bald bemerkte, im Ofen oder hinter dem Ofen ein höhnisches Gelächter.

Grau-Boruta trank nicht übel: der beste masurische Edelmann konnte ihn nicht zu Boden trinken; und wenn er trank, pflegte er den ersten Humpen auf das Wohl seines Namensvetters, des Teufels Boruta, zu leeren; und sogleich hörte man eine tiefe gedehnte Stimme »Danke, Herr Bruder!« vernehmlich aussprechen.

Grau-Boruta hatte viel Geld, aber bald war alles in wüstem Leben verpraßt. Er beschloß daher, von seinem geliebten Herrn Bruder (so nannte er den Teufel) einige Säcke Gold auf unbestimmte Zeit zu[56] borgen. Um Mitternacht zündete er seine Laterne an und ging mit gezogenem Säbel in die tiefen Kellergewölbe des Schlosses. Zwei ganze Stunden irrte er in den Gängen umher. Endlich entdeckte er eine verborgene Tür. Mit einem Schlage machte sie sich auf, und vor den Augen des Edelmannes erschienen glänzende Schätze, und im Winkel, auf einem mächtigen Klumpen Goldes, saß der Teufel in Gestalt einer Eule mit feurig blitzenden Augen. Der Edelmann erblaßte und zitterte, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn; doch faßte er sich bald, verbeugte sich demütig und sagte: »Meines geliebten Bruders ergebenster Diener!«

Die Eule nickte mit dem Kopfe, und das gab unserem Grau-Boruta wieder einigen Mut. Er verbeugte sich nochmals, und dann begann er seine Taschen und Säcke mit Gold und Silber zu füllen. Das ward ihm bald so schwer, daß er sich kaum noch von einer Seite auf die andere drehen konnte.

Schon fing es an zu tagen, und immer noch langte der Edelmann mit gierigen Händen nach den goldenen Schätzen. Endlich waren alle seine Taschen gefüllt, und er fing an, sich den Mund vollzustopfen; und da dieser eben nicht klein war, so bekam er noch ein ordentlich Teil hinein. Dann verbeugte er sich wieder vor dem Geiste und verließ das Gewölbe. Kaum war er jedoch auf der Schwelle, da fiel die Tür von selbst mit Gewalt ins Schloß und zerhackte seine rechte Ferse in zwei Stücke.

Hinkend und blutend brachte der Edelmann die Schätze in seine Wohnung. Jetzt hatte er viel Geld, aber seine Gesundheit war dahin. Sein ganzes Leben war nur noch ein Siechtum. Einmal geriet er wegen eines Feldrains mit einem Nachbar in Streit und forderte[57] ihn zum Zweikampf. Früher hätte ihn Grau-Boruta mit seinem kleinen Finger umgeworfen; jetzt aber konnte der Nachbar leicht fertig werden mit dem reichen Geizhals und schlug ihn tot.

Sein Haus blieb nun für immer unbewohnt. Man erzählt sich, daß der Geist Boruta oft auf einem Weidenbaume saß, der auf dem Hofe wuchs. Und manchmal wurde der Teufel auch gesehen, wie er durch die verfallenen Gänge und Zimmer lief.2

1

Landschaft zu beiden Seiten der Weichsel, Gegend von Warschau.

2

Ich ging einmal mit einem Bauern, der mir als Führer diente, durch einen langen Wald in Podlachien. Wir verirrten uns, und in der Stille der Nacht hörten wir das Geschrei einer Eule. Der Bauer blieb zitternd stehend und flüsterte mit banger Stimme: »Merkt Ihr's? Das ist der Böse! Er lacht; er freut sich, daß wir uns verirrt haben.« Und der Bauer fing an, Beschwörungsformeln zu murmeln, sich zu bekreuzen und nach allen vier Weltgegenden hin zu spucken. Er ließ sich's nicht ausreden, – das mußte der leibhaftige Teufel sein. (Der vernünftige Bauer weiß, daß die Eule ein unschuldiger, sehr nützlicher Vogel ist; deshalb duldet er sie gern in der Scheune und auf dem Boden, im Stalle und im Taubenschlage.)

Quelle:
Volkssagen und Märchen aus Polen von K. W. Woycicki. Breslau: Verlag von Priebatschs Buchhandlung, 1920, S. 55-58.
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