Der gute Hirte.

[166] Es war einmal ein König, der hatte sieben Söhne und eine Tochter. Die Söhne waren aber alle verwünscht und waren Kühe. Sie lebten bei dem Könige, fraßen aber kein Gras und Heu, und waren sehr schwer zu hüten; denn jedem Hirten liefen sie fort und kamen dann erst nach Verlauf einiger Zeit von selbst wieder. Nun hatte der König bekannt gemacht, daß derjenige, welcher ihm die Kühe gut hüten und ihm auch sagen könnte, was sie fräßen und wovon sie lebten, seine Tochter zur Frau erhalten sollte. Die war aber sehr schön. Da war denn auch ein Mann, welcher drei Söhne hatte, zwei kluge und einen dummen. Der führte zuerst den ältesten Sohn zum Könige und sagte: »Allergnädigster König, mein Sohn versteht das Hüten, er wird die Kühe hüten, daß sie fett werden, und wird auch sagen können, wovon sie leben. Der König nahm[166] ihn als Hirten an, aber gleich am ersten Tage, als dieser die Kühe aufs Feld trieb, liefen diese ihm weg, und als er ihnen nachlaufen wollte, saß am Kreuzwege eine alte Frau, welche in einer Schüssel Suppe und in einer andern noch ein Gericht hatte. Die rief den Hirten an und sagte: »Komm, iß von diesen Gerichten, die Kühe werden schon wieder kommen.« Das gefiel dem Hirten besser als da den Kühen, wer weiß wie weit, nachzulaufen. Er setzte sich zu der Frau, aß und sprach mit ihr. Abends kamen die Kühe richtig von selbst wieder, und die Alte sagte: »Siehst du? ich hatte Recht; jetzt nimm den Rest der Speisen, den du übrig gelassen hast und sage dem Könige, daß die Kühe von denselben leben.« Das that der Hirte auch, er nahm den Rest der Speisen mit, trieb die Kühe nach Hause und sagte um Könige: »Ich weiß, wovon die Kühe leben, hier sind ihre Speisen!« und zeigte die Speisen von der alten Hexe. »Du Taugenichts, erwiederte der König, »das ist nicht wahr, das haben mir alle Hirten, die ich bis dahin gehabt habe, vorgelogen, davon leben sie aber nicht«, und jagte ihn weg. Da dieser nun nach Hause kam, seine Sache also nicht gut gemacht hatte, so brachte der Vater den zweiten Sohn zum Könige. Dem ging es aber ganz ebenso, wie dem ersten, er ließ sich von der alten Hexe bethören und wurde fortgejagt. Da sagte der dritte Sohn: »Nun laßt mich gehen!« Der Vater und die Brüder wollten es gar nicht zulassen; sie meinten: »Was wir beide nicht verstanden haben, das solltest du verstehen?« Aber er ging doch. Als er nun die Kühe auf die Weide trieb, liefen sie auch ihm gleich am ersten Tage weg, er aber lief ihnen nach, ließ sich auch von der alten Hexe, die ihn wieder verlocken wollte, nicht zurückhalten, sondern lief immer weiter. Die Kühe aber liefen sehr sehr weit und kamen endlich an einen großen Fluß. »Nun werden sie«, dachte er schon »hinüberschwimmen, und ich kann nicht hinüber, und sie werden mir dann natürlich fortkommen;« da besann er sich noch zu rechter Zeit, sprang auf eine der Kühe und ließ sich so über den Fluß mit hinübertragen. An dem andern Ufer stand eine prachtvolle Kirche, um welche rings herum sich der Kirchhof ausbreitete. Als die sieben Kühe auf dem Kirchhofe ankamen, da wurden aus ihnen sieben wunderschöne Prinzen, die alle in die Kirche gingen. Der Hirte ging ihnen nach und sah, wie sie alle communicirten. Dann schlich er auch an den Altar, nahm etwas Brod und Wein und steckte es zu sich. Als die Prinzen das Abendmahl genommen hatten, verließen sie die Kirche und gingen über den Kirchhof heimwärts. In dem Augenblick, als sie den letzten Schritt vom Kirchhofe setzten, verwandelten sie sich wieder in Kühe und liefen nun nach Hause; der Hirte ihnen immer nach. Der König sah ihnen mit Ungeduld entgegen; als sie endlich anlangten, fragte er den Hirten, ob er nun wisse, wovon die Kühe lebten. »Ja, allergnädigster König, hier von dieser Speise leben sie«, sagte dieser und erzählte dem Könige alles, was er gesehen hatte. Darüber war der König nun sehr erfreut und sagte: »Nun kannst du auch meine[167] Tochter, die schöne Prinzessin, heirathen.« Die Hochzeit wurde veranstaltet, und als das junge Paar eben im Begriffe stand nach der Kirche abzufahren, und er zu diesem Zwecke von Allen Abschied genommen hatte, ging er zuvor noch in den Stall zu seinen lieben Kühen. Als er in den Stall trat, wurden die Kühe wieder Prinzen, und er hatte sie erlöst, und es war große Freude im Hause, und er lebte mit der schönen Prinzessin als König noch viele Jahre.49

(Aus Klein-Jerutten.)

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Von sieben Brüdern, welche erlöst werden, handelt zwar auch das Grimm'sche Mährchen: »Die sieben Raben«, Kinder- und Hausmährchen Bd. 1, S. 137, aber weiter haben diese beiden Mährchen auch nichts mit einander gemein.

Quelle:
Toeppen, M.: Aberglauben aus Masuren, mit einem Anhange, enthaltend: Masurische Sagen und Mährchen. Danzig: Th. Bertling, 1867, S. 166-168.
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