4. Vampyrsagen.

Die Vampyrsagen haben erst kürzlich eingehende Behandlung erfahren (vgl. oben 14, 322 ff.); doch ist wohl die Mitteilung weiterer Sagen, wenn sie auch nichts besonders Neues bringen, nicht überflüssig. Es sei mir gestattet, hier zunächst eine Sage wiederzugeben, die mir (aus polnischer Quelle) in Rogasen mitgeteilt wurde. »Nahe an der von Gnesen nach Wreschen führenden Chaussee steht in einem Walde eine Hütte, die vor Jahren ein Förster bewohnte. Diesem starb ein erwachsener Sohn. In der Mitternacht nach dem Tode desselben ertönte vor der Hütte ein grässliches Gewinsel, und gleichzeitig wurde an die Fensterscheibe geklopft. Die Schwester, die bei dem Verstorbenen betete, schaute nach dem Fenster und sah darin ein scheussliches Antlitz mit langen Zähnen, die aus dem Munde hervorragten. Das Gespenst schrie: Daj mi go (gieb ihn mir)! Als die Schwester aber den Rosenkranz hervorzog, verschwand das Gespenst. Am folgenden Tage zogen Zigeuner auf der Chaussee, und diesen erzählte der Förster das Ereignis. Eine alte Zigeunerin gab ihm die Antwort, die Erscheinung sei ein Upior gewesen, der sich dreimal dort zeige, wo jemand gestorben sei, um des Gestorbenen Herz aufzufressen. Um es zu vertreiben, müssten die Angehörigen bei der Bahre Kerzen anstecken, die am Feste Mariä Lichtmess geweiht wären (gromnice), und den Rosenkranz beten.«

Der Erzähler fügte noch folgendes hinzu: »Es gibt nicht blos schlechte, sondern auch gute Gespenster. Einem Knechte, der im Walde an derselben Chaussee die Pferde hütete, näherte sich einmal ein Gespenst, dem die Zähne aus dem Munde hervorragten, und berührte das Zaumzeug. Als der Knecht nach Hause kam und das Zaumzeug an einen Nagel hängte, flossen zwei Eimer Milch daraus hervor.« Nach Angabe des Erzählers war auch dieses Gespenst ein Upior, doch ist wohl eher an eine wohltätige Waldfrau zu denken.

Die folgenden Stücke, von denen das erste aus deutscher Quelle stammt, wurden mir durch Herrn Lehrer A. Szulczewski in Brudzyn mitgeteilt.

In Kaiserthal (Kujawien) lebte ein Bauer, der eine zahlreiche Familie hatte. Da starb der älteste Sohn und wurde auf dem Kirchhofe begraben. Er wurde ein Vampyr, aber niemand wusste davon. Nach einiger Zeit starb der zweite Sohn, bald der dritte, und nach einigen Wochen starben alle Familienmitglieder, so dass nur der Vater übrig blieb. Man klagte und jammerte über das Unglück, doch niemand wusste zu helfen. Da kam der alte Wächter des Ortes auf den Gedanken, dass ein Vampyr all die Todesfälle hervorgerufen habe, und er beredete den Bauer, dass er das Grab seines ältesten Sohnes öffnen liess. Und wirklich fand man diesen ganz unversehrt, nur war das Fleisch an seinem ganzen Leibe abgebissen. Ein Vampyr findet nämlich im Grabe keine Ruhe; er muss sich selbst verzehren und ruft dann seine nächsten Verwandten in das Grab. Dem Vampyr wurde jetzt eine kleine Münze in den Mund zwischen die Zähne gesteckt. Auf diese Weise konnte er nicht mehr beissen, und die Verwandten blieben seit der Zeit am Leben.

Die Leute erzählen, dass in der Kellergruft des Klosters zu Markowitz ein Upior begraben liege. Es war das ein Mensch, der mit Zähnen auf die Welt gekommen war. Er wurde nach seinem Tode in jener Gruft beigesetzt. Hier verweste er nicht wie andere Tote, sondern blieb frisch erhalten. In der Nacht aber stand er auf, bestieg den Glockenturm und läutete. So weit dieses Glockengeläute[96] zu hören war, in dem Umkreis mussten alle diejenigen sterben, welche das Alter erreicht hatten, das der Upior bei seinem Tode erreicht hatte. Die Leute erfuhren von dem nächtlichen Treiben des Upior und beschlossen, dem ein Ende zu machen. Sie machten den Sarg auf und legten dem noch unversehrten Leichnam eine scharfe Sichel über den Hals. So konnte der Upior nicht mehr aufstehen. Wäre er aufgestanden, so hätte er sich den Kopf abgeschnitten, und dann erst wäre er ganz tot gewesen.

Auch in Chelmce soll in einer Gruft ein Upior begraben liegen. Dieser stand in der Nacht aus seinem Sarge auf und zerbiss alle Lichter, die auf dem Altar standen. Endlich des Unfugs überdrüssig, sah man in dem Grabe nach und fand die Leiche noch unversehrt, obwohl sie schon mehrere Jahre gelegen hatte. Das Tuch aber, in das sie gehüllt war, war ganz zerbissen. Man legte den Upior nun mit dem Rücken nach oben, und seit der Zeit war man vor ihm sicher.

Quelle:
Knoop, Otto: Sagen aus Kujawien. In: Zeitschrift für Volkskunde 16 (1906) 96-100, Berlin: Behrend & Co, S. 96-97,106-107.
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