Das Nachtvolk in der Jeninser-Alpe.

[1] Ein Mann kam mit einer Kuh längst nach der Alpentladung durch die Jeninser-Alpe und übernachtete in einer Sennhütte. Um Mitternacht wurde er durch einen großen Lärm aus dem Schlafe gestört, und da war es das Nachtvolk, welches ihn durch den Lärm geweckt hatte, und eben tüchtig zechte und schmauste, und das zur Schmauserei nöthige Fleisch aus dem Leibe seiner Kuh herausschnitt. Das Nachtvolk lud den Bündner ein, mit zu halten, und der dachte sich, wenn es so »für und nach geht«, so will ich dazu thun, ging hin, schnitt aus seiner Kuh ein Stück Fleisch, und steckte es, wie die andern Zecher, an einen »Spieß«, um es an dem gleichen Feuer zu braten. Nachdem das nächtige Gesindel bei Tagesanbruch sich entfernt hatte, fand der Bündner seine Kuh ganz unversehrt, mit Ausnahme des Stückes Fleisch, das er selbst ausgeschnitten und gegessen hatte.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 1.
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