Der Melkstuhl.

[40] Die Aelpler hatten vom Ober- auf den Unter-Säß »gerobet«, und droben nichts vergessen, als einen schönen, neuen Melkstuhl, der dem Sennen gehörte. Der Senn bemerkte dieß jedoch erst am Abend, als er melken sollte, konnte jetzt aber nicht auf den Obersäß laufen, und des Stuhles wegen das Melken versäumen. Das Melken ging seinen Gang, die Kühe zogen auf ihre Lager, die Knechte zündeten mitten in der Hütte das »Hengertfeuer« an, und über die Alpe lagerte sich rabenschwarze, stockfinstere Nacht. »Es ist doch unheimlich dunkel«, sagte der Zusenn, »heute Nacht würde ich nicht auf den Obersäß gehen, nicht um die schönste Kuh im Sennthume.« »Nun das wäre etwas«, entgegnete der Küher. Darauf sahen die Andern ihren Toni, so hieß der Küher, groß an, denn sie trauten ihm so vielen Muth nicht zu; und es meinte jetzt der Senne: »Gut, Toni, du könntest grad hinauf und mir meinen Melkstuhl holen, und dann soll die schönste Kuh im Sennthume dein sein; aber warten mußt du bis Mitternacht.« »Es gilt«, sagte der Küher, und entschloß sich, den Gang zu wagen.

Als nun die zwölfte Stunde kam, brach Toni auf. Noch schwärzer war die Nacht geworden, und der Wind heulte in schauriger Melodie durch die Finsterniß hin.

Toni war nicht weit gegangen, als er, trotz der Dunkelheit, einen unheimlich aussehenden Mann auf sich zukommen sah, der jetzt dicht[40] vor ihm stand, und ihm sagte, er solle es sich nicht träumen lassen, zurück zu kehren, sonst dürfte es ihm nicht gut gehen. Jetzt gereute es doch den Küher, den Gang gewagt zu haben.

Der schwarze Unbekannte gebot ihm, hinauf in die Hütte zu gehen, und dort sitze Einer auf dem Melkstuhle des Sennen; gelinge es ihm nun, in drei »Sträcken« den Stuhl zu nehmen, so sei's gut, sonst aber habe er die längste Zeit gelebt.

Mit diesem Troste wanderte Toni weiter in die pechschwarze Nacht hinein, der Unbekannte aber verschwand.

Als er nun auf den Obersäß und an den Stafel kam, hörte er in der nahen Bergseite Jodeln und Schellengetöne, gerad ob Jemand die Kühe sammeln wollte, und doch waren dieselben auf einer ganz andern Seite der Alp.

Mit klopfendem Herzen betrat Toni die Hütte; in derselben war's eben so finster als draußen; nur gegen die Kellerthüre zu war's etwas lichter, und im Halbdunkel sah er dort einen Mann auf dem Melkstuhle sitzen und sich kämmen. – Unserm Küher wollte das Herz in die Schuhe fallen, denn dieser geisterhafte Mann sah aus, schrecklicher als der leibhaftige Tod. Doch besann sich Toni nicht lange, trat hinzu, faßte dann das Stuhlbein, und that einen kräftigen »Strack«; allein der Stuhl blieb felsenfest; dem Toni wurde es grün und gelb vor den Augen. – Beim zweiten Stracke blieb der Stuhl ebenfalls fest, hatte aber doch so »eh'gen glötterlet«. – Den Angstschweiß auf der Stirne, that Toni einen dritten, fast übermenschlichen Strack, und hielt nun den Stuhl frei in seinen Händen. Der Andre aber sagte: »Hättest du in den drei Malen den Stuhl mir nicht entreißen mögen, so hätte ich dich zerrissen wie ›z'Gstüpp an der Sunna‹; so aber ist's gut, du hast den Preis verdient, aber noch nicht erhalten.«

Fröhlicher als er gekommen, ging nun Toni weg, dem Untersäß zu, wo er ohne weitere Unbilden ankam. Die Uebrigen waren seiner Rückkehr begierig; er erzählte ihnen seine Erlebnisse, und erndtete gebührendes Lob für seine Standhaftigkeit und schließlich doch glücklichen Gang.[41]

Und es vergingen Tage um Tage, und der Herbst kam heran, und mit ihm die Zeit, da wieder von Alpe gefahren wurde. – Da erinnerte der Küher den Sennen an seine Verpflichtung gegen ihn. Dieser aber bedeutete ihm, er möchte denn die im Spasse hingeworfenen Worte nicht als ernst gemeint auffassen, und die Hoffnung auf die Heerkuh fallen lassen. Dazu verstand sich Toni aber nicht, und wollte es nöthigenfalls auf einen Richterspruch ankommen lassen. – Der Handel kam wirklich vor Gericht; hier stellte sich denn auch ein altes, graues Männlein ein, welches am Ofen stehend, den Verhandlungen zuhörte. Der Senn wußte durch Lug und Trug seine Sache zu führen, daß Jedermann glaubte, er müsse gewinnen. Da trat das alte Männlein vor ihn hin, gab einem Kieselsteine, den es in der Hand hielt, einen »Schmutz«, daß der Stein sofort in Fünklein, wie Mehl so fein, zerstob, und sagte dabei zum Sennen: »Gerade so werde ich es dir machen, wenn du nicht Wort hältst dem Küher.« – Da sah denn der Senn, daß hier eine mächtigere Hand ins Recht greife; er mußte seinem Küher Wort halten, und ihm die Heerkuh geben.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 40-42.
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