Rache einer Hexe.

[61] In Ems lebte vor alten Zeiten ein Bauer; man nannte ihn den »Gschworne Christof«. Der hatte eine Magd, die war aus dem Oberlande. Zur Zeit der Heuernte ging er nun auf sein Mayensäß, um das Futter einzusammeln, hatte aber schlecht Wetter dazu, so daß er wohl mähen, aber das Gemähte nicht dörren konnte. Endlich, nachdem er alles Gras abgemäht hatte, wurde das Wetter erwünscht schön; aber nun fehlten ihm fleißige Hände, denn mit seiner Arbeit allein war wenig am Ganzen gethan. Zwar war noch die Magd da – aber die lachte ihn weidlich aus und spottete seiner Bekümmerniß, »sie sei im Stande, das Heu sammt und sonders in einer Stunde an Ort und Stelle zu schaffen.« Dieses kam jedoch unserm guten Christof etwas seltsam und zu buntfarbig vor und gab gerne seinen Consens, sie könne also machen, wie sie wolle. Es gelüstete ihn aber heimlich zu sehen, wie das »Mensch« die Sache anpacke, und er verbarg sich, durch eine Wandritze lugend. – Nun kam die Magd wirklich, mit einem Besen, that in allen vier Winkeln des Mayensäßes einen Wisch oder Strich, indem sie zugleich[61] einen Spruch hersagte. Kaum war das geschehen, so flog das Heu in die Scheune hinein und vertheilte sich ganz ordnungsgemäß von selbst; dann kam die Magd, that mit dem Besen einen Streich auf das Heu und rief: »Sitz« – und siehe da, das folgsame Gefütter rückte ganz nett auf Zweidrittel zusammen. – Den guten »Gschwornen« setzte das, was er gesehen, in Entsetzen und Erstaunen, er war aber so dumm und undankbar, die Magd bei dem Gericht zu verklagen; das Gericht ließ nun das »Hexenmensch« verhaften, nach dem Oberland führen, wo sie als Hexe verbrannt wurde. Bevor sie aber den Feuertod erlitt, übte sie noch ihre Rache aus: Der Geschworne solle erblinden, weil er ihr heimlich zugesehen, noch mehr aber deßhalb, weil er sie verrathen, seine Söhne aber sollen stumm werden und bleiben, weil sie geholfen, sie zu verurtheilen.

Quelle:
Jecklin, Dietrich: Volksthümliches aus Graubünden. 3 Teile, Zürich 1874, Chur 1876, Chur 1878 (Nachdruck Zürich: Olms, 1986), S. 61-62.
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