Der Geizhals.

[170] Es war einmal ein reicher Kaufmann, der hieß Mark und es gab keinen ärgeren Geizhals als ihn. Einmal ging Mark spazieren, da traf er auf dem Wege einen Bettler, der war ein alter Mann und bat um ein Almosen.

»Gebt, Rechtgläubige, um Christi willen!«

Mark der Reiche ging an dem Bettler vorüber, aber hinter ihm kam ein armer Bauer, der hatte Erbarmen mit dem Alten und gab ihm eine Kopeke. Da schämte sich der Reiche, blieb stehen und sagte zu dem Bauern:

»Höre, Landsmann, leihe mir eine Kopeke, ich will sie dem Armen geben und habe kein kleines Geld.«

Der Bauer gab Mark eine Kopeke und fragte: »Und wann kann ich mir mein Geld wieder holen?«

»Komm morgen zu mir.«

Am nächsten Tag kam der Arme in des Reichen schönen Hof, um seine Kopeke zu holen.

»Ist Mark der Reiche zu Hause?«

»Ja, was willst du?«

»Ich komme wegen meiner Kopeke.«

»Ach, Bruder, komm später wieder, ich habe wirklich kein Kleingeld.«

[171] Der Arme sagte: »Ich komme morgen wieder.« Verneigte sich und ging.

Am nächsten Morgen kam er, da hieß es:

»Ich habe wirklich gar kein Kleingeld, außer du willst auf hundert herausgeben – sonst – komm in zwei Wochen wieder.«

Nach zwei Wochen kam der arme Bauer wieder zu Mark. Als der ihn durch das Fenster kommen sah, sagte er zu seiner Frau:

»Hör, Frau, ich ziehe mich nackt aus und lege mich unter das Heiligenbild. Deck mich mit einem Leintuche zu, setz dich hin und weine, als wäre ich tot. Kommt der Bauer um sein Geld, sag ich wäre heute gestorben.« Gut, wie es der Reiche befohlen hatte, tat sein Weib. Sie saß da und zerfloß in heißen Tränen, als der Bauer ins Zimmer trat, und fragte ihn:

»Was willst du?«

»Ich komme zu Mark dem Reichen, wegen seiner Schuld«, sagte der Bauer.

»Ach, Bäuerlein, gerade ist er gestorben.«

»Leicht sei ihm das Himmelreich! Erlaub, Frau, daß ich ihm für meine Kopeke einen Dienst erweise und seinen sündigen Leib abwasche.«

Mit diesen Worten ergriff er einen Topf mit siedendem Wasser und brühte Mark damit ab. Mark hielt es kaum aus und zuckte mit den Beinen.

»Zapple so viel wie du willst, aber gib die Kopeke zurück!« sagte der Arme. Er wusch und schmückte den Kaufmann wie es sich schickt und sprach zur Frau:

[172] »Geh Frau, kauf einen Sarg und laß Mark in die Kirche tragen, ich werde bei ihm bleiben und Psalter für ihn lesen.«

Da legten sie Mark in den Sarg und trugen ihn in die Kirche und der Bauer las Psalter für ihn.

Die dunkle Nacht brach an und plötzlich ging in der Kirche ein Fenster auf und Diebe stiegen ein. Der Bauer verbarg sich hinter dem Altar.

Die Diebe verteilten Beute untereinander, aber bei der Verteilung blieb ein goldner Säbel übrig, den wollte jeder von ihnen haben. Da sprang der Arme hervor und schrie: »Was streitet ihr lange? Wer von euch diesem Toten den Kopf abschlägt, dem gehört der Säbel!«

Da sprang Mark der Reiche voller Angst auf. Die Diebe erschraken, warfen ihre Schätze nieder und liefen davon.

»Nun, Bäuerlein, laß uns das Geld teilen.«

Sie teilten alles in zwei gleiche Teile und für jeden gab es viel.

»Was ist es mit der Kopeke?« fragte der Bauer.

»Ach, Bruder, du siehst es ja selbst, ich habe kein Kleingeld.«

So kam es, daß Mark der Reiche die Kopeke nicht zurückzahlte.

Quelle:
Afanaßjew, A. N.: Russische Volksmärchen. Wien: Ludwig, 1910, S. 170-173.
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