52. Die Altweibertage

[289] In der Almasch1 lebte einst ein junges Ehepaar, welches vollkommen glücklich gewesen wäre, wenn nicht die Mutter des Mannes, ein böses Weib, die Herrschaft im Hause geführt hätte, wogegen sich weder der Sohn noch dessen Frau kräftig wehren konnten, weil sie der Alten Gehorsam schuldig waren. Diese gab oft der Tochter Arbeiten zu tun, deren Vollbringung ans Unmögliche grenzte, die aber von der Armen mittels ihres Gehorsams und Gottes Hilfe doch immer zustandegebracht wurden. So trug es sich denn auch einmal zu, daß die Alte der Tochter schwarze Schafwolle mit der Weisung gab, dieselbe am Flusse weiß zu waschen. Obgleich die junge Frau wohl wußte, daß dies unmöglich sei, ging sie dennoch, nur um zu gehorchen, an den nahen Fluß und fing an, die Wolle zu netzen und zu waschen. So fleißig sie aber auch war, die Wolle zeigte sich jedes Mal, wenn sie wieder aus dem Wasser kam, so schwarz wie zuvor. Dadurch ließ jedoch das gute Weib sich nicht irremachen, sondern rieb emsig fort, bis es Abend wurde. Da waren ihre Hände wund geworden, und es gingen ihr vor äußerem und innerem Schmerz die Augen über.[289]

Jetzt kam Christus der Herr des Weges daher, und ihm folgte der Apostel Petrus. Der Herr sprach zu der Weinenden: »Was tust du hier, und warum weinst du?« Die Frau, ohne zu wissen, mit wem sie spreche, gab zur Antwort: »Ach, Herr, meine Schwiegermutter hat mir befohlen, ich solle diese schwarze Schafwolle weiß waschen, nun netze und reibe ich sie schon den ganzen Tag, daß mir die Hände wund sind, darüber weine ich.« Der Erlöser, der ihren inneren Schmerz wohl erkannt hatte, sprach darauf wieder: »Sei gehorsam deiner Mutter, wasche dir nur die Hände wund, mit dir wird Gott sein!« Als der Herr und sein Jünger fort waren, fing die Frau wieder an emsig zu waschen, und als sie die Wolle wieder aus dem Wasser zog, siehe, da war sie lichter geworden. Erfreut hierüber fuhr sie in ihrer Arbeit fort bis es dämmerte, da hatte sie endlich die schwarze Wolle weiß gewaschen. Voll Freude eilte sie nach Hause und steckte sich frohen Sinnes Blumen in die Haare, die Erstlinge, welche der Frühling auf die Flur gestreut hatte. Als sie ihrer Schwiegermutter die weiß gewaschene Wolle brachte, verbiß diese den Zorn, den sie schon im voraus an der Armen auszulassen sich gefreut hatte, und fragte sie nur spöttisch: »Wer hat dir denn diese Blumen in die Haare gesteckt, vielleicht ein Liebhaber?« – »Ich habe sie auf der Wiese gefunden«, antwortete die Befragte gelassen, »und sie mir selbst ins Haar gesteckt.«

Als die Alte dies hörte, rief sie ihren Sohn und sagte zu ihm: »Sieh, mein Sohn, der Frühling ist gekommen, es ist Zeit, daß wir mit unseren Ziegen und Schafen ins Gebirge gehen. Wie schön wird es sein auf den Bergen! Du nimmst deine Hirtenflöte mit und machst Musik; oh, die Lust wird groß sein, ich selber will tanzen!« Wirklich zog sie auch am anderen Morgen, begleitet von ihrem Sohn, mit den Ziegen und Schafen ins Gebirge. Zur Vorsorge, weil es noch früh in der Jahreszeit war, nahm sie aber neun Pelze mit; so gingen sie und ließen die junge Frau allein zu Hause. Als sie auf die ersten Höhen[290] traten, heiterte sich der Himmel immer mehr auf, linde Lüfte wehten über das Feld. Doch hatte der Frühling auf den Triften noch kein Gras hervorgetrieben, weshalb Ziegen und Schafe unruhig durcheinandersprangen, denn sie hatten nichts, ihren Hunger zu stillen. Die Alte war dessenungeachtet wohlgemut, und weil das Wetter gar so lieblich war, warf sie einen von ihren neun Pelzen als nutzlos weg. Je höher sie in die Berge kamen, um so wärmer und linder wurde die Luft, so daß die Alte jeden Tag einen ihrer Pelze und am neunten Tag auch den letzten wegwarf. Die hungrige Herde aber, welche immer noch kein Gras fand, wurde täglich ungestümer und wollte nicht mehr zusammenhalten. Dieses Blöken und Rennen hielt aber die Alte für Freude über den erschienenen Frühling.

Als die Alte ihren letzten Pelz weggeworfen hatte, änderte sich das Wetter plötzlich. Der Wind blies heftig und schneidend, auch fielen Regen und Schnee. Da kauerten sich die armen Tiere ängstlich zusammen, Ziegen und Schafe durcheinander, die Alte aber blieb mit ihrem Sohne ruhig stehen, denn es fror sie beide. Letzterem troff vor Kälte der Speichel vom Munde und fror ihm, eine Stange bildend, an Brust und Lippen an. Die Alte, welche vor Frost und Unmut kaum mehr recht sah und hörte, sprach jetzt: »Mein Sohn, wie kannst du jetzt Flöte spielen, da ich vor Kälte beinahe starr bin!« Sie hielt nämlich den langen Eiszapfen an dem Mund ihres Sohnes für seine Flöte und das Pfeifen des Windes für die Töne, die er auf derselben blies. Wie sie so gesprochen hatte, erschien der Frühling und sprach voll Spott zu ihr: »Nun, Alte, wie gefällt dir der Frühling? Warum tanzt du nicht bei deines Sohnes Flötenspiel? War's ja deiner Tochter auch nicht zu kalt, da sie einen ganzen Tag im Fluß Wolle wusch! Nachher fand sie doch Blumen auf der Au.« So verschwand der Frühling wieder, und die Alte sah nach ihrem Sohn, der samt seiner Herde vor Kälte bereits erstarrt und tot war; da verlor sie allen Mut, wurde immer steifer und starb endlich auch. Ihre und[291] des Sohnes Leiche wurde in der Stellung, die sie lebend gehabt hatten, zu Stein und sind mit der steinernen Herde rings umher noch heutigen Tags in der Almasch zu sehen. Zu den Füßen der Alten fließt eine Quelle, und der Sohn hat noch die vermeintliche Flöte am Munde. Bei den Walachen aber heißen noch die ersten neun Tage des März, deren schöne Witterung die Alte mit ihrem Sohn und ihren neun Pelzen ins Gebirge gelockt hatte, die Altweibertage, und ihrer Laune soll niemand trauen.

1

Name der gebirgigen Gegend, welche das südwestliche Siebenbürgen von Ungarn trennt.

Quelle:
Schott, Arthur und Albert: Rumänische Volkserzählungen aus dem Banat. Bukarest: Kriterion, 1975, S. 289-292.
Lizenz:
Kategorien: