[58] IV. Der Halb-Troll, oder die drei Schwerter.

[58] Aus Süd-Småland.


Es war einmal ein Schmied, wie es deren so manche gibt (so pflegen alle Sagen zu beginnen). Er hatte seine Früharbeit beendet, und wollte sich in den Wald hinausbegeben, um Holz für einen Kohlenmeiler zu hauen. Nachdem er das Frühmahl gegessen, sagte er, bevor er aufbrach, zu seiner Frau: »Du kommst wol mit dem Mittagsmahl zu mir hinaus in den Fichtenwald? Das Weib versprach, zu thun, wie ihr der Mann geheißen. Der Schmied ging hierauf in den Wald, und begann zu hauen. Als nun der Mittag herannahte, schien es ihm, als käme sein Weib mit dem Mahle zu ihm. Nachdem er gegessen, schickte er sich an, seine Mittagsruhe zu halten, wie es in der Sommerszeit gebräuchlich ist, und schlief eine Stunde im Arme des Weibes.«

Nachdem sie geschlummert hatten, stand das Weib auf, und machte sich auf den Weg, nahm aber die Axt des Schmiedes mit sich. »Was willst du mit meiner Axt?« fragte der Schmied. »Es hängen ja vier Aexte daheim auf dem Axt-Gehänge.« Das Weib antwortete nicht, sondern setzte ihren Weg fort. Dies kam dem Manne wunderlich vor, er dachte aber: sie stellt wol die Axt in irgend einen[59] Busch, wo ich sie wieder finden kann. Der Schmied begann wieder für seinen Kohlenmeiler Holz aufzuhäufen.

Nach Verlauf einer Stunde kam des Schmiedes Weib, und brachte ihm das Mittagsmahl. Sie fragte: »Willst du nicht dein Mittagsmahl essen? Der Tag ist schon weit vorgerückt.« Der Schmied war verwundert, und erwiederte: »Jetzt essen? ist's jetzt Zeit zum Essen?« »Je nun,« entschuldigte sich das Weib, »ich bin über die Zeit ausgeblieben; aber ich war nicht müßig. Ich habe gebacken, damit du Brot bekommst, ich habe gebuttert, damit du Butter findest.« Das kam dem Schmiede noch wunderlicher vor, und er dachte bei sich, daß es mit ihr wohl übel stehen möge. Er setzte sich hierauf, um zu essen, was er vermochte, sprach aber nichts, sondern hielt es am rathsamsten, es dabei bewenden zu lassen.

Sieben Jahre nach diesem Ereignisse fügte es sich, daß der Schmied eines Abends auf seinem Holzschlage stand, und Holz für den Abend fällte. Da kam ein Knabe daher gegangen, mit einer Axt auf der Achsel. Der Schmied fragte: »Was fehlt deiner Axt? Soll sie ausgebessert oder geschärft werden?« Der Knabe antwortete nicht. Der Schmied nahm nun die Axt, und besah sie sehr genau. Er sagte: »Der Axt fehlt nichts; aber ich sollte mich fast schämen, denn dies ist ja meine Axt?« Darauf entgegnete der Knabe: »Wenn dies eure Axt ist, so seid ihr auch mein Vater.« Der Schmied mußte ihn nun als seinen Sohn anerkennen, so wie er die Axt als sein erkannt hatte, ging daher sehr bekümmert zu seiner Frau, und erzählte, daß ein kleiner Knabe zu ihm gekommen sei, der ihm in der Schmiede[60] Dienste leisten wolle. Das Weib aber wollte von keinerlei Vermehrung im Haushalte sprechen hören, der, wie sie meinte, ohnehin groß genug wäre. Erst nach manchen Bitten gelang es dem Manne, sie zu überreden. Der Knabe ward so in die Stube geführt, erhielt Speise und Kleider, und half von nun an seinem Vater in der Schmiede.

So verstrich einige Zeit, der Knabe ward hurtig und willig, und dazu sehr stark, weil er halb ein Christ, halb ein Troll war. Er war aber zugleich sehr schwer zu ernähren, und hatte eine so starke Eßlust, daß sich sein Vater zuletzt nicht mehr im Stande sah, ihn länger zu ernähren. Der Schmied ging daher eines Tages an den Hof des Königs, und fragte, ob der Küchenmeister des Königs nicht einen Knaben zu seiner Hilfeleistung in der Küche haben wolle. »Ja,« entgegnete der Koch, »doch kann ich ihn nur brauchen, wenn er sehr tüchtig ist. Laß den Knaben hieher kommen, je früher desto besser.« Da war der Schmied froh, und dachte bei sich: »Kommt mein Sohn an den Königshof, so kann er wol einmal sich satt essen.« Der Mann ging heim, und erzählte, wie sein Unternehmen abgelaufen.

Als der Knabe diese Neuigkeiten vernahm, sagte er: »Vater, nun ist mein Wunsch, daß ihr mir drei Schwerter schmiedet; eines, das drei Liespfund wiegt, eines, das sechs Liespfund wiegt, und eines, das zwölf Liespfund wiegt. Außerdem sollt ihr mir drei Linnenröcke schaffen, für ein jedes Schwert. Thut ihr so, wie ich bitte, dann will ich so viel erwerben, daß ihr nie mehr für den Unterhalt[61] zu schmieden braucht.« Der arme Schmied war nun sehr bekümmert, so viel Eisen und Stahl zu bekommen, als für drei Schwerter nöthig war; er wagte es aber nicht, seinem Sohne entgegen zu handeln. Als nun Alles nach dem Wunsche des Knaben bereit war, wog das dritte Schwert nicht mehr als eilf Pfund, denn ein Liespfund Eisen war im Feuer hinweggebrannt. Da wurde der Knabe zornig, und sagte: »Wäret ihr nicht mein Vater, wie ihr es doch seid, so solltet ihr selbst euer Werk erproben. Nun aber ist es schwer, mir damit irgend einen Vortheil zu verschaffen.« Als der Schmied den Zorn seines Sohnes sah, fürchtete er sich, und schwieg; er dachte aber bei sich: »Das Schwert dürfte dir schwer genug zu handhaben sein, obschon du stark bist. Ich weiß wol, welche Mühe es mir gekostet, es vom Herde auf den Amboß zu heben.«

Der Knabe nahm nun die drei Schwerter und die drei Linnenröcke, und verbarg sie unter einem gewichtigen Stein. Hierauf ging er mit seinem Vater an den Königshof, und kam in den Dienst des Koches, wie ausgemacht wurde.

Es ereignete sich einmal, daß der König, der über das Land herrschte, auf der See war. Da entstand ein heftiger Sturm, und ein Wallen des Meeres, so daß Alle glaubten, das Schiff mit allem, was darauf war, würde im Meere untergehen. Aber das schreckliche Unwetter verursachten drei Meer-Trolle, und sie wollten den König nicht an das Land entkommen lassen; es sei denn, daß er ihnen zuvor seine drei schönen Töchter verlobe. Als nun der König heim zu den Seinen kam, ließ er ein Aufgebot[62] ergehen, daß, wenn sich irgend ein Mann oder Kämpe fände, der sein Leben wagen, und die drei Prinzessinnen befreien wollte, er eine von diesen zur Gemahlin erhalten, und dazu noch König über das halbe Reich werden sollte. Kein Kämpfer aber war so muthig, um einen Kampf gegen die furchtbaren Meer-Trolle zu wagen, außer ein Schneider, der sich sehr tapfer stellte, und Alles zu thun versprach, was er vermöge.

Als die Zeit herangekommen, daß die Töchter des Königs den Meer-Trollen ausgeliefert werden sollten, herrschte eine allgemeine Trauer und Betrübniß im ganzen Königreiche; am allermeisten aber trauerte der König und seine Gemahlin die Königin. Die älteste Prinzessin wurde mit vielem Pomp zum Meere hinabgeführt, und alles Volk folgte ihr auf dem Wege. Als sie nun zum Ufer des Meeres gekommen, letzte sich das Mädchen auf den weißen Sand, stützte die Wangen auf die Hand, und weinte bitterlich. Der beherzte Schneider aber vergaß da seine prahlerischen Worte, und kroch auf einen hohen Baum hinauf, der dort wuchs. Während dem ging der Knabe zu seinem Meister, und bat um Erlaubniß, in die Stadt zu gehen, und sich eine Stunde zu erlustigen. Der Koch gewährte seine Bitte, bat ihn aber, nicht länger auszubleiben. Der Knabe eilte hierauf nach Hause, nahm das Schwert, das drei Liespfund wog, zog einen Linnenrock über seine Kleider, rief seinen Hund zu sich, und wanderte den Weg zum Meeresstrande hinab. Als er nun dort angelangt, wo die Königstochter saß, trat er vor sie, grüßte sie höflich, und fragte: »Warum sitzt hier die schöne Jungfrau so einsam und traurig?« Die[63] Prinzessin erwiederte: »Ich muß wol traurig sein, mein Vater war in Seenoth, und verlobte mich einem wilden Meer-Troll; ich fürchte er kommt bald, und holt mich arme Jungfrau.« Der Knabe fragte: »Findet sich denn im ganzen Reiche eures Vaters kein Mann oder Kämpe, der euch befreien möge?« »Ja,« antwortete die Prinzessin, »es sitzt ein Schneider hier auf diesem Baume; er hat versprochen, zu thun, was er kann.« Als sich nun der Knabe umwendete, und sah, wie der Schneider hoch im Wipfel des Baumes saß, lachte er, und sagte: »Jungfrau! verlaßt euch nicht auf einen solchen Helden, wenn ihr mich aber eine Stunde lausen wollt, so will ich euch befreien.« Dies schien der Königstochter ein dreistes Begehren zu sein; in ihrer großen Noth aber durfte sie es nicht verweigern. Da sprach der Knabe zu seinem Hunde: »Kleiner Trogen, halte treue Wache!« Hierauf legte er sein Haupt auf das Knie der Jungfrau, und sie lauste ihn. Der Schneider saß still im Wipfel, und sah zu. Die Königstochter aber zog einen rothen Seidenfaden aus ihrem Wamms, und flocht ihn unbemerkt in die langen Haarlocken des Knaben.

In demselben Augenblicke vernahm man ein starkes Getöse und Lärmen von der See her; die Wogen thürmten sich gegen das Land auf, und aus der Tiefe hervor kam ein entsetzliches Meerungethüm, das drei Köpfe hatte. Der Hund des Troll war so groß, wie ein einjähriges Thierkalb. Das Ungeheuer fragte: »Wo ist die Königstochter, die mir verlobt worden?« Der Knabe antwortete: »Sie sitzt hier. Willst du aber nicht so nahe kommen, daß wir miteinander sprechen können?« Der Troll sagte:[64] »Gedenkst du kleiner Wechselbalg, mit mir Scherz zu treiben?« »Nein,« erwiederte der Knabe, »ich bin gekommen, um für die junge Prinzessin zu kämpfen.« »Mir recht,« entgegnete der Troll, »dann wollen wir aber zuerst unsere Hunde miteinander kämpfen lassen.« »Damit bin ich zufrieden,« sagte der Knabe.

Der Knabe und der Meer-Troll hetzten nun ihre Hunde zum Streit, und es entstand zwischen ihnen ein großer Kampf. Das Spiel endete damit, daß der Hund des Knaben, der kleine Trogen, den Hund des Trolls in den Hals biß, bis daß dessen Blut hervorströmte, und der Seehund am Sande liegend verendete. Da sagte der Knabe: »Nun siehst du, welch' ein Ende dein Hund genommen; dir soll es gleichfalls so ergehen.« Er ging hierauf dem Troll entgegen, zog sein Schwert, das drei Liespfund wog, und hieb darauf los, bis alle drei Köpfe des Trolls in die See fielen. Dies war das Ende des Meer-Trolls.

Als die Jungfrau diesen Vorgang sah, rief sie mit großer Herzensfreude aus: »Nun bin ich gerettet!« Sie bat jetzt, daß der fremde Kämpe ihr heim zum Königshofe folgen solle, um dort den Ruhm und die Belohnung für seinen großen Dienst zu empfangen. Der Knabe aber willigte nicht ein, indem er sagte, daß seine Hilfeleistung nur gering und schlecht sei, daher der vielen Worte nicht werth wäre. Der Knabe aber ergriff hierauf die Perlen und den Schmuck, den der Meer-Troll getragen, nahm von der Königstochter einen höflichen Abschied, und wanderte eilig seines Weges.[65]

Während sich dies ereignete, saß der herzhafte Schneider im Wipfel des Baumes, und wartete den Ausgang des Kampfes mit großer Furcht ab. Als nun die Gefahr vorbei war, kroch er schnell herab, zog seinen Degen, und zwang die Königstochter, den Eid abzulegen, daß er es, und kein Anderer gewesen, der sie befreit habe. Hierauf gingen sie beide zum Königshof, und Jeder kann sich vorstellen, welche Freude es gab, als die Prinzessin unbeschadet zurück kam. Der König ließ sogleich ein großes Gastmahl zubereiten, der Schneiderjunge aber saß an seiner Seite, und wurde für den ersten Kämpen am ganzen Hofe gehalten.

Den andern Tag sollte die mittlere Prinzessin zum Meer-Troll hinausgeführt werden, und es herrschte nun dieselbe Trauer, wie früher. Da der tapfere Schneider aber die älteste Königstochter befreit hatte, dachten Viele, daß er wol auch ihre Schwester befreien werde. Man setzte daher viel Vertrauen auf den Schneiderjungen; auch er selbst ließ es nicht an prahlerischen und stolzen Worten fehlen. Die junge Prinzessin wurde hierauf zum Meere hinabgeführt, und alles Volk begleitete sie auf dem Wege. Als sie nun hingekommen, setzte sich die Königstochter am Meeresstrande nieder, und weinte bitterlich, so daß ihre Thränen auf den weißen Sand rollten. Dem Schneider aber schien es nicht rathsam, dort zu verweilen, sondern er kletterte auf den Baum, und verbarg sich wie früher in dessen Zweigen.

Während sich dies zutrug, ging der Knabe zu seinem Herrn, und sagte: »Meister! gebt mir Erlaubniß, in die[66] Stadt zu gehen, um mich zu erlustigen. Gestern konnte ich mich wenig umschauen.« Der Koch antwortete: »Wenn der Schneider den Troll besiegt, wird es heute wieder ein großes Gastmahl geben, wie gestern, und ich bin allein, das Essen zu bereiten. Dort steht ein Bottich, der achtzehn Zuber Wasser in sich faßt, ich habe Niemand, der mir hilft, nur einen Eimer hinein zu schöpfen.« Da fragte der Knabe, ob er fortgehen dürfe, nachdem er den Wasser-Bottich angefüllt. Der Koch gab hierzu seine Einwilligung, und dachte bei sich, daß es wol Abend werden würde, bis der Bottich angefüllt werden könne. Der Knabe aber faßte den großen Bottich mit den Händen, eilte zum Brunnen, und schöpfte ihn so voll, daß das Wasser über alle Ränder hinabfloß. Hierauf nahm er einige von den schönen Perlen, und steckte sie seinem Meister in die Hand, was dieser sich wol gefallen ließ. Als nun der Koch die ungeheure Stärke des Knaben wahrnahm, wagte er es nicht, ihm weiter die Bitte zu verweigern, sondern sagte: »Geh' in Frieden, verweile aber nicht lange außen.« Der Knabe aber sprang nun heim nach dem Schwerte, das sechs Liespfund wog, zog den Linnenrock über die Kleider, rief seinen Hund, und wanderte den Weg zum Meere.

Als er zur Stelle kam, wo die Königstochter am Meeresstrande saß, und weinte, ward der Schneider überaus froh, der auf den Baumwipfel hinaufgekrochen. Der Knabe aber ließ sich nichts merken, sondern ging zur Prinzessin, grüßte sie höflich, und fragte: »Schöne Jungfrau! warum sitzt ihr hier so traurig und allein?« Die Königstochter antwortete: »Ich muß wol traurig sein, mein[67] Vater war in Seenoth, und verlobte mich einem scheußlichen Meer-Troll. Ich fürchte, er kommt bald, und nimmt mich, die arme Jungfrau.« Der Knabe sagte: »Findet sich im ganzen Reiche eures Vaters kein Mann und Kämpe, der euch befreien kann?« »Ja,« antwortete die Prinzessin, »es sitzt ein tapferer Schneider hier auf dem Baum. Er hat versprochen, mich zu befreien, wie er meine Schwester befreit habe.« Bei diesen Worten wendete sich der Knabe um, und sah, wie der Schneider hoch im Baume saß.

Da lachte der Knabe, und sagte: »Jungfrau! verlaßt euch nicht auf einen solchen Helden. Wenn ihr mich aber eine Stunde lausen wollt, will ich euch befreien.« Dies schien der Königstochter ein dreistes Begehren zu sein, in ihrer großen Noth aber willigte sie ein, zu thun, wie er gebeten. Da sprach der Knabe zu seinem Hund: »Kleiner Trogen, halte treue Wacht.« Hierauf legte er sein Haupt auf das Knie der Jungfrau, und sie lauste ihn. Der Schneiderjunge saß still in den Zweigen und sah zu. Die Königstochter aber zog einen schwarzen Seidenfaden aus ihrem Mantel, und flocht ihn unbemerkt in die langen Haare des Knaben.

In demselben Augenblicke begann Trogen zu bellen, und es entstand ein starkes, donnerähnliches Getöse in der See, so daß die Wogen hoch auf den Sand sich wälzten. Nun kam aus der Tiefe ein ungeheurer Meer-Troll hervor, der vom scheußlichen Ansehen war, und sechs Köpfe hatte. Der Hund des Trolls war so groß, wie ein zweijähriger Ochs. Das Ungeheuer fragte: »Wo ist die Prinzessin, die mir verlobt worden?« Der Knabe antwortete:[68] »Du findest sie hier, komm aber doch mal so nahe, daß wir miteinander sprechen können.« Der Troll sagte: »Willst du kleiner Wechselbalg etwa gar mit mir kämpfen.« Der Knabe antwortete: »Ja wol, darum bin ich hieher gekommen.« Der Troll nahm nun das Wort: »Gestern schlugst du meinen Bruder todt, heute werde ich dein Ueberwinder. Doch wollen wir zuerst unsere Hunde miteinander kämpfen lassen.« »Damit bin ich zufrieden,« sagte der Knabe.

Sie hetzten nun ihre Hunde zum Streit, und es entstand ein arger Kampf zwischen ihnen. Das Spiel endete damit, daß der Hund des Knaben, der kleine Trogen, den Hund des Trolls in den Hals biß, bis das Blut hervorströmte, und er liegend am Meere verendete. Da sagte der Knabe: »Du siehst, welches Ende dein Hund genommen, nun soll es dir gleichfalls so ergehen.« Er trat hierauf dem Troll entgegen, schwang sein Schwert, das sechs Liespfund wog, und hieb so tüchtig zu, daß alle sechs Köpfe des Trolls in das Wasser fielen. Dies war das Ende des Meer-Trolls. Als die Königstochter diesen Vorgang sah, ward sie über die Maßen froh, und rief mit Herzensfreude aus: »Nun bin ich befreit.« Sie bat hierauf, daß der fremde Kämpfer zum Hofe ihres Vaters mitfolgen solle, um dort den Ruhm und die Belohnung für seinen großen Dienst zu empfangen. Der Knabe aber verweigerte es, und meinte, daß seine Hilfeleistung eine geringe Sache, und nicht vieler Worte werth wäre. Der Knabe nahm hierauf die Perlen und den Schmuck, welchen der Meer-Troll getragen hatte, nahm einen höflichen[69] Abschied von der Königstochter, und ging eilig seinen Weg.

Während des Kampfes saß der Schneider oben im Baumwipfel fast halbtodt vor Angst und Furcht. Als nun alle Gefahr vorüber war, kroch er schnell vom Baume herab, zog seinen Degen, und zwang die Königstochter den Eid zu leisten, er, und kein Anderer wäre es gewesen, der sie befreit hätte. Die Prinzessin wollte hierin nicht einwilligen, sie fürchtete aber für ihr Leben, und durfte es nicht verweigern. Der Schneider führte sie zum Hof des Königs, wo man sie mit großer Freude und Auszeichnung empfing. Hierauf wurde ein noch glänzenderes Gastmahl angeordnet, als es den Vortag gewesen. Der Schneiderjunge saß der Königin zunächst, und wurde von Allen in Ehren gehalten. Er selbst sprach manches stolze Wort, und rühmte sehr seine Heldenthaten.

Den dritten Tag wurde die jüngste Königstochter zum Meer-Troll hinausgeführt. Da herrschte eine noch größere Trauer als vorher, nicht blos am Königshof, sondern im ganzen Reich, denn Alle hatten die Prinzessin lieb, wegen ihrer Schönheit und Sanftmuth. Viele setzten nun ihr Vertrauen auf den herzhaften Schneider, daß er die Königstochter befreien werde, wie er ihre Schwestern befreit; die Prinzessin selbst aber wollte sich nicht trösten lassen, sondern weinte bitterlich.

Sie wurde hierauf zum Meere geführt, und setzte sich an den Strand des Meeres. Der Schneiderjunge aber vergaß alle seine großen Versprechungen, und kroch auf den hohen Baum, wie er zu thun gewohnt war.[70]

Während sich dieses Alles ereignete, ging der Küchenjunge zu seinem Herrn, und sagte: »Meister gebt mir Erlaubniß, mich noch einmal in der Stadt zu erlustigen. Ich werde euch nicht so bald mehr um Erlaubniß bitten, auszugehen.« Da nun der Koch die ungeheure Stärke des Knaben kannte, und dazu seine Freigebigkeit erfahren hatte, wollte er eine so kleine Bitte nicht abschlagen, sondern sagte: »Geh' in Frieden! aber bleib nicht lange aus. Wenn der Schneider den Sieg erringt, wird es heute ein größeres Gastmahl geben, wie je.« Der Knabe nahm nun einige goldene Schmuckstücke, und steckte sie seinem Meister in die Hand, welches der Koch sich wol gefallen ließ, wenn anders die Sage nicht lügt. Hierauf sprang der Knabe fort, und holte das dritte Schwert, das zwölf Liespfund wiegen sollte, aber blos eilf wog. Als er es in der Hand schwang, und merkte, wie leicht es war, ward er wieder zornig und rief dem Schmiede zu: »Euer Glück, daß ihr mein Vater seid, sonst solltet ihr es erproben! Nun gilt es, ob ich wieder komme oder unterliege.« Der Knabe band das Schwert an seine Seite, zog den Linnenrock über seine Kleider, rief seinen Hund, und wanderte den Weg zum Meere.

Als er zur Stelle kam, wo die Königstochter saß, und am Meeresstrande weinte, freute sich der Schneider im Baumwipfel. Der Knabe aber ging zur Prinzessin, ließ sich nichts merken, sondern grüßte sie höflich und fragte: »Schöne Jungfrau! warum sitzt ihr hier so betrübt, und netzt eure Wangen mit Thränen?« Die Königstochter antwortete: »Meine Thränen müssen wol fließen, mein Vater[71] war in Seenoth, und verlobte mich einem Meer-Troll. Ich fürchte, er kommt bald und nimmt mich arme Jungfrau.« Als der Knabe ihren Schmerz sah, rührte sich das Herz in seiner Brust, denn so ein holdseliges Mädchen hatte er nie früher gesehen. Er fragte: »Findet sich denn im ganzen Reich eures Vaters kein Mann und Kämpe, der euch befreien kann.« »Ja,« sagte die Maid, »dort sitzt ein herzhafter Schneider auf dem Baume. Er versprach, mich zu befreien, wie er meine beiden Schwestern befreit habe.« Bei diesen Worten wendete der Knabe sich um, und sah, wie der Schneider sehr hoch auf dem Gipfel des Baumes saß. Da lachte er, und sagte: »Edle Jungfrau! setzt euer Vertrauen nicht auf einen solchen Helden. Wenn ihr mich aber eine Stunde lausen wollt, so will ich für euch mein Leben wagen.« »Dies will ich gerne thun,« entgegnete die Königstochter, denn sie hatte den Jungen lieb, wegen seiner Bereitwilligkeit. Da sagte der Knabe zu seinem Hunde: »Kleiner Trogen, halte treue Wacht!« Hierauf legte er sein Haupt auf das Knie der Jungfrau und schlief ein, während sie ihn lauste. Als aber die Königstochter die Fäden wahrnahm, die ihre Schwestern in die Haare des Knaben hineingeschlungen, kam es ihr wunderbar vor, sie zog einen Seidenfaden aus ihrem Scharlachwams, und flocht ihn unbemerkt in die Locken des Knaben.

In demselben Augenblicke begann Trogen zu bellen, und man vernahm ein starkes Getöse vom Meere. Da sagte der Knabe: »Es ist Zeit, aufzustehen. Schöne Jungfrau! gebt mir eure Schürze, mir könnte sie nützen.« Die Königstochter that, wie er gebeten, und der Knabe schnitt sie mit seinem Schwerte in zwölf Stücke.[72]

Nun entstand ein entsetzliches Donnern im Wasser, so daß die Wogen hoch an das trockne Land getrieben wurden, und hervorkam ein furchtbarer Meer-Troll, der zwölf Köpfe hatte, der eine scheußlicher dem Aussehen nach, als der andere. Der Hund des Trolls war groß, wie der größte Stier. Das Ungeheuer fragte: »Wo ist die Prinzessin, die man mir verlobt hat?« Der Knabe entgegnete: »Du findest sie hier; komm aber immer etwas näher, daß wir miteinander sprechen können.« Der Troll nahm das Wort: »Vielleicht denkst du kleiner Wechselbalg, mich heute zu ermorden, wie du früher meine Brüder ermordet?« Der Knabe gab zur Antwort: »So ist es, deßhalb bin ich hieher gekommen.« Der Troll sagte: »Warte, nun findest du deinen Ueberwinder. Doch wollen wir zuerst unsere Hunde miteinander kämpfen lassen.« »Damit bin ich zufrieden,« erwiederte der Knabe.

Sie hetzten nun ihre Hunde zum Streite, und es entstand ein arger Kampf. Das Spiel aber nahm ein schnelles Ende. Denn der Hund des Trolls faßte den Hund des Knaben mit den Zähnen, und verschlang ihn auf einen einzigen Biß. Dies war das Ende des Trogen, und es schien ein schlimmes Vorzeichen zu sein. Der Knabe ließ sich jedoch nicht erschrecken, sondern trat vor, und hieb herzhaft mit dem Schwerte zu, so daß alle zwölf Köpfe des Trolls in die See fielen. Der Troll aber hatte eine wunderbare Eigenschaft; denn wenn ein abgehauener Kopf in's Wasser fiel, so lebte er wieder auf, hüpfte hinauf und saß so fest wie früher. Als der Knabe dies wahrnahm, rief er der Königstochter zu, und sagte: »Edle Jungfrau![73] Nun ist guter Rath theuer; legt einen Lappen von eurer Schürze auf das Ende des Halses, während ich die Köpfe herabhaue, sonst lebt er wieder auf.« Der Junge that darauf einen neuen Hieb, so daß ein Kopf auf den Boden fiel; die Königstochter aber war sogleich bereit, und machte es, wie er ihr gesagt hatte. Der Knabe that nun den dritten Hieb, und von neuem fiel ein Haupt. Die Königstochter aber war wieder bereit, und legte einen Lappen von ihrer Schürze über das Ende des Halses. Eben so auch bei den vierten Hieb. Als aber auf diese Art der Knabe sieben Köpfe abgehauen, begann der Troll für sich zu bitten, und sagte: »Laß dein Schwert ruhen, denn ich will gerne die Jungfrau in Frieden lassen, nur laß mich von hinnen ziehen.« Der Knabe aber war zornig und entgegnete: »Du darfst nicht denken, lebend von hinnen zu kommen, da ich dich einmal besiegt.« In demselben Augenblicke schwang er sein Schwert, und hieb mächtig zu, so daß ein Kopf nach dem andern auf den Boden fiel; die Königstochter aber war immer bereit, und legte einen Lappen des Kleides auf die Wunde. Der Junge ruhte nicht eher, als bis er alle zwölf Köpfe des Trolls abgehauen; und das war das Ende des Meer-Trolls. Während der Zeit aber saß der Schneider im Baumwipfel, und konnte sich vor Angst und Furcht nicht rühren.

Als der Kampf zu Ende war, rief die Königstochter mit Herzensfreude aus: »Nun bin ich befreit.« Hierauf dankte sie ihrem Kämpen für seinen tapfern Beistand, und lud ihn ein, ihr zum Hofe ihres Vaters zu folgen, um dort den Ruhm und die Belohnung zu empfangen. Der[74] Knabe aber willigte nicht in ihr Begehren und meinte, daß dies geringe Verdienst kaum der Rede werth wäre. Er nahm einigen Schmuck des Trolls und einen herzlichen Abschied von der schönen Königstochter, und zog seines Weges.

Als der Knabe fort war, kletterte der Schneider schnell vom Baume herab, zog seinen Degen, und drohte der Prinzessin mit dem Tode, wenn sie ihm nicht den Eid leisten wolle, daß er, und kein Anderer es gewesen, der sie vom Meer-Troll befreite. Dies schien der Königstochter ein schlechter Antrag zu sein, denn ihre Neigung besaß der junge Kämpfer, der beherzt für sie sein Leben gewagt. In ihrer Noth wagte sie es gleichwol nicht, es zu verweigern, sondern versprach, des Schneiders Willen zu erfüllen. Sie wanderten nun zusammen zum Hofe des Königs. Die Prinzessin war muthlos und sprach wenig; der Schneider aber ging an ihrer Seite mit stolzem Schritt, und großen Geberden, als wäre er der tapferste Held gewesen. Der König, der lange auf ihre Ankunft geharrt hatte, war sehr erfreut, denn er glaubte nicht mehr, seine Tochter wieder am Leben zu sehen. Er zog ihr mit seinem ganzen Hofstaat entgegen, unter den größten Ehrenbezeugungen. Und es herrschte große Freude am Hofe des Königs, daß die drei Prinzessinnen gerettet worden waren; und ein großes Gerücht von dem tapferen Schneider verbreitete sich im ganzen Reiche.

Es war nun die Stunde gekommen, wo das Gastmahl beginnen sollte; keine Speise aber wurde auf den Tisch gesetzt. Da wurde der König unwillig, und sandte[75] seine jüngste Tochter, um zu sehen, warum die Mahlzeit noch nicht zubereitet wäre. Der Koch entschuldigte sich, es sei sein Diener fort gewesen, so daß er allein die Speisen zubereiten mußte. Die Prinzessin begab sich mit diesem Bescheid zurück. Als sie nun an dem Küchenjungen vorbeiging, kam es ihr wunderlich vor, daß er sich abwandte, und als sie ihn näher beschaute, da erkannte sie den tapferen Kämpen wieder, der für sie jüngst gestritten. Nun freute sich die Königstochter, und lief schnell zu ihren Schwestern, um zu erzählen, was sie gehört und gesehen.

Während die Prinzessinnen hierüber miteinander sprachen, kam der König, ihr Vater, und hörte, was sie sagten. Da verwunderte er sich, und befahl strenge seinen Töchtern, ohne Umschweif zu bekennen, wie sich Alles zugetragen. Die jüngste Tochter erzählte nun Alles, wie es war, vom Anfang bis zu Ende, und die älteren Prinzessinnen bestätigten ihre Erzählung. Der König aber wurde über die Falschheit des Schneiders sehr erzürnt, und freute sich zugleich, daß er es dem rechten Kämpen vergelten könne. Er sandte einen Boten ab, daß der Küchenjunge sogleich zu ihm kommen solle. Als die Nachricht sich verbreitete, herrschte eine große Verwunderung unter allen Dienern und Pagen des Königs. Der Küchenjunge aber wollte nicht gehen, sondern sagte: »Wie sollte ich vor den König treten, ich bin ein geringer Knabe, und in schlechte Gewänder gekleidet.« Der Bote antwortete, daß er am besten thäte, dem Willen des Königs Folge zu leisten. Da ging der Knabe dreist in den Saal hinauf, wo der König mit seinen Gästen zu[76] Tische saß, und der Schneider seinen Platz an der Seite des Königs hatte. Als jetzt der Schneiderjunge den tapferen Helden sah, der die Prinzessinnen befreit hatte, erbleichte er; der König aber wandte sich zum Küchenjungen, und fragte mit heller Stimme: »Bist du es, der meine drei Töchter befreit hat?« Der Knabe antwortete freimüthig: »Alle wissen es zu erzählen, daß ich es nicht bin, sondern der Schneider hat es gethan.« »Nein,« riefen die Königstöchter auf einmal, »du warst es, der uns befreite; und hier sind die drei Seidenfäden, die wir in dein Haar geflochten, an dem Tage, als du auf unseren Knien lagst.« Die Prinzessinnen sprangen auf, umarmten den Küchenjungen, und es suchte jede ihren Seidenfaden unter seinen langen Locken. Nun erkannten Alle, daß es so war, wie die Königstöchter erzählt hatten. Der König aber sagte: »Wenn du es warst; der die Prinzessinnen befreite, so sollst du auch den Lohn dafür haben. Ich gebe dir meine jüngste Tochter, und dazu die Hälfte meines Landes und Reiches.« Nun herrschte große Lust und Freude am ganzen Königshof, und die Hochzeit wurde mit Pomp gefeiert. Der herzhafte Schneider aber schlich sich beschämt vom Gastmahl hinweg, und die Sage erzählt nichts von seinen weiteren Heldenthaten.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 58-77.
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