C. Das Goldpferd, die Mondlampe, und die Jungfrau im Zauberkäfich.

[46] Aus Upland.


Es waren einmal zwei arme Knaben, die weder Vater, noch Mutter hatten, sondern in angebaute Gegenden gehen, und ihren Unterhalt erbetteln mußten. Während sie so umherwanderten, kamen sie eines Tages zu einem Ackerfeld, wo das Getreide mehr als mannshoch stand. Da sagte der Aelteste. »Laß uns einige Aehren lesen, wir haben noch kein Mittagmahl bekommen.« Der jüngere Bruder[46] stimmte bei, und die Knaben gingen. Während dem kam ihnen ein Mann entgegen, er war nicht klein, und hatte dazu ein sehr unfreundliches Aussehen: Der Riese fragte: »Wer hat euch Erlaubniß gegeben, Aehren auf meinem Acker zu lesen?« Die Knaben antworteten: »Wir dachten, du werdest darob nicht zürnen; wir waren so hungrig, und du hast gleichwol noch viele übrig.« Nun stellte sich der Riese ganz freundlich und sagte: »Ich bin auch nicht zornig; wenn ihr mir aber heim folgen wollt, sollt ihr euch satt essen, und nicht mehr umher gehen dürfen, um Aehren zu suchen.« Dieser Vorschlag gefiel dem ältesten Knaben über die Maßen; sein Bruder aber dachte, daß der Riese wohl irgend eine List im Sinne haben könne, und wollte sich daher nicht in seine Macht geben. Die Knaben berathschlagten miteinander. Der Aelteste sagte: »Ich glaube wir gehen mit ihm.« »Nein,« entgegnete der Jüngere, »ich halte es für das Beste, wir lassen es bleiben.« Der Aelteste wendete ein: »Wir könnten ja mitfolgen; wenn es dort nicht gut ist, gehen wir wol von hinnen.« – Der Riese fragte nun, ob die Knaben mit ihm kommen wollten, oder nicht. »Ja, gewiß wir kommen,« antwortete der Aeltere, und so folgten die Brüder dem Riesen zu seiner Hütte.

Als sie dorthin gekommen, führte sie der Riese in eine kleine Kammer hinein, und gab ihnen so gute Verpflegung, daß sie es nie besser hatten. Er ging hierauf hinaus und versperrte wieder die Thür. Da sagte der ältere Knabe: »War ich nicht klug, daß ich dem Riesen folgen wollte? Nun haben wir es gut, und brauchen nicht mehr in den[47] bebauten Gegenden umherzugehen, um Nahrung zu suchen.« Der Jüngere antwortete: »Wir haben noch nicht gesehen, wie alles enden wird; das gefällt mir nicht, daß wir eingesperrt sind, und nicht gehen und kommen können, wie wir es gewohnt sind.« Der ältere Knabe wollte nicht auf diese Worte hören, sondern legte sich nieder, um zu schlafen; der jüngere aber stellte sich bei der Thür auf die Lauer, um zu spähen, was sich außen in der Stube zutrug. Dies währte so einige Tage, die Brüder hatten keinen Mangel an Speise, aber noch immer wurden sie eingesperrt gehalten.

Eines Abends, als der Knabe nach seiner Gewohnheit auf der Lauer stand, und durch einen Riß der Wand guckte, bemerkte er, wie der Riese in die Stube kam, und zu essen begehrte. Während dem fragte der Riese sein Weib, ob nicht die beiden Knaben hinlänglich gemästet wären. Das Riesenweib antwortete: »Der eine ist fett genug, aber der andere ist so, wie er kam.« Der Riese sagte: »Ich sollte glauben, daß beide fett geworden sein müssen, wenn du ihnen stets das hinlängliche Essen gegeben hast. Ich gehe nun fort und lade unsere Verwandten zum Schmause ein, du kannst während der Zeit die Knaben schlachten, so daß wir sie Morgens aufessen können.« Als der Knabe dies Gespräch vernahm, ging er zu seinem Bruder hin, weckte ihn, und erzählte ihm, was er gehört und gesehen hatte. »Es kann nicht wahr sein, wie du sagst,« sagte der älteste, und schlich sich erschreckt zur Wand. Als er nun durch die Oeffnung guckte, hatte der Riese gerade seine Mahlzeit beendiget und rief der Dienstmagd,[48] daß sie ihm Wasser geben solle. »Hast du vergessen,« sagte der Riese, »daß ich jedesmal trinken will, wenn ich gegessen habe?« Die Dienerin entschuldigte sich, daß es so dunkel wäre, sie könnte den Weg nicht zum Brunnen finden. »Nimm dann meine Goldlampe,« entgegnete der Riese mit rauher Stimme. Die Dienerin nahm nun von der Wand eine Lampe, die gleich dem Vollmonde schien, und ging, um Wasser zu holen. Als der Riese getrunken hatte, sprach er wieder zu seinem Weibe: »Ich sattle nun mein Goldpferd, und reite fort, die Gäste zu laden. Führe unterdessen die Knaben heraus, damit du sie nicht vergessest.« Hierauf ging er fort. Als aber der älteste Knabe dieses Gespräch vernommen, fürchtete er sich sehr, und bat seinen jüngeren Bruder, auf Rath zu sinnen, um ihr Leben zu retten. Der Knabe antwortete: »Sei getrost, ich dürfte wol irgend einen Ausweg finden.« Als die Abendstunde herangekommen, kam das Riesenweib zu den beiden Knaben herein. Sie stellte sich sehr freundlich, und sprach manches schöne Wort. »Kommt her, meine Kleinen,« sagte sie, »seht euch in der Stube um, dort werdet ihr die Nacht zubringen.« Die Brüder thaten, wie sie bat, obgleich der älteste sich sehr fürchtete. Das Weib ließ sie nun zu Bette gehen, legte sich selbst daneben, und schlief ein. Als die Mitternacht herangenaht, stand der jüngste Knabe auf, und legte einen Feuerstahl über das Haupt des Riesenweibes; denn er wußte wol, daß der Stahl über Riesen und andere Gespenster Macht habe, so daß sie fortschlafen, wenn er über ihnen liegt, und nicht erwachen können, bis es tagt. Das Weib fiel nun in einen tiefen[49] Schlaf, und schlief bis zum andern Tage; der Knabe aber weckte seinen Bruder, und schlich sich mit ihm aus der Stube, worauf die Brüder eilig davon liefen.

In der Morgendämmerung kamen die Knaben zu einem großen Gehöfte, wo sie anklopften, und um Herberge baten. Der Bauer, der den Hof besaß, fragte, woher sie wären, weil sie so spät zur Herberge kamen. Die Brüder erzählten nun ihr Abenteuer, wie sie mit großer Noth dem Riesen entflohen waren. Da nahm sie der Mann gut auf, und gab ihnen Speise, Trank, und was sie noch bedurften. Er sagte: »Es gibt nicht Viele, die mit dem Leben der Gewalt des Riesen entkommen. Hütet euch nur, daß er euch nicht wieder verlockt. Er hat aber keine Macht, so lange ihr nicht über den breiten Graben geht, der zwischen unsere Aecker lauft.« Die Knaben dankten dem Bauer für seinen guten Rath, und versprachen, in Allem zu handeln, wie er gesagt hatte.

Gegen die Mittagszeit kam der Riese reitend auf seinem Goldpferd, und blieb an dem breiten Graben stehen. Sein Zelter aber hatte goldenes Haar, das war so schön, daß es glänzte und schimmerte, wo er immer hin ging. Als jetzt der Riese die beiden Knaben sah, rief und fragte er, warum sie ihm davongelaufen. Er begann zugleich, sehr freundlich zu sprechen, und sagte: »Folgt mir zurück, meine Kleinen, ich will dem einen von euch mein Goldpferd geben, der andere soll eine schöne Königstochter erhalten, die ich in meiner Gewalt habe.« Die Knaben aber hörten nicht auf seine Verlockungen, sondern entliefen, und[50] fingen wieder an, in den bewohnten Gegenden umherzugehen und zu betteln.

Als sie lange umhergewandert waren, kamen sie endlich zu einem großen Königshof, wo sie hineingingen, und einen Dienst begehrten. Der König, der über den Königshof herrschte, fand an dem Jüngsten, ob seiner Behendigkeit, Gefallen, und nahm ihn unter seine Diener auf; der ältere Bruder aber ging umher, und bettelte wie früher. Es währte so eine geraume Zeit, und der Junge war von Allen wol gelitten. Als aber der ältere Bruder erfuhr, welches Glück sein Bruder bei Hofe machte, ward er sehr schelsüchtig, und wollte sich nicht zufrieden geben, bis auch er in den Dienst des Königs gekommen wäre. Der Höfling bat nun für seinen Bruder, und dieser wurde als Stalljunge aufgenommen. Wenn aber auch Alle dem jüngeren Knaben wohlwollten, so konnten sie doch den Stalljungen wegen seiner Falschheit und Bosheit nicht leiden. Hierüber trug er großen Schmerz in seinem Herzen, und er dachte an nichts so sehr, als wie er seinen Bruder verderben, und selbst die Gunst des Königs gewinnen könne.

Der König ging eines Tages zum Stall, um seine Füllen zu beschauen. Als er sie alle rund umher beschaut, blieb er bei dem Zelter stehen, auf dem er selbst zu reiten pflegte, streichelte ihm die Lenden, und sagte zu seinen Hofleuten: »Sagt mir, wo sah man in der Welt ein Pferd, so gut wie dieses?« Der Stalljunge nahm sogleich das Wort: »Herr und König! fürwahr euer Zelter ist schön, ich weiß aber einen andern, der ihn weit übertrifft.« Der König ward nun aufmerksam, und fragte: »Wo findet[51] man dieses Pferd, und wer kann es mir verschaffen?« Der Stalljunge sagte: »Ich glaube, daß Keiner das Füllen schaffen kann, außer mein Bruder. Er weiß auch am Besten, wo es zu finden ist.« Der König bekam eine große Lust, das Pferd zu besitzen, wovon er so viel reden gehört, und befahl dem Höfling, fortzugehen, und es zu bringen. Der Höfling war wol nicht sehr furchtsam; gleichwol wäre er lieber daheim geblieben. Der Stalljunge aber freute sich in seinem Herzen, und meinte, daß sein Bruder wol kaum von der Reise wiederkommen werde. Der Höfling rüstete sich nun, und begann seine Fahrt. Als er zum Hof des Bauern kam, ging er hinein, grüßte ihn höflich, und bat um einen guten Rath, wie er des Königs Auftrag vollziehen könne. Als aber der Bauer den Knaben wieder erkannte, der dem Riesen entlaufen war, empfing er ihn freundlich, und versprach seinen Beistand in Allem, was er vermochte. Sie überlegten so miteinander, und es wurde beschlossen, was ich nun erzählen will.

Am Abend, als die Sonne in den Wald ging, schlich sich der Höfling zur Wohnung des Riesen hin. Er hatte einen Stock an das Ende eines Seiles gebunden, und warf den Stock durch das Stallloch. So kletterte er die Wand hinauf; als er zum Loche hinauf gekommen war, zog er das Seil nach sich, und ließ sich hinab in den Stall des Riesen. Hierauf sattelte er das Goldpferd des Riesen, öffnete die Thür, und ritt eiligst hinweg. Als er zum Hofe des Bauern kam, herrschte eine große Freude, daß sein Unternehmen so gut abgelaufen. Der Höfling aber wollte nicht lange dort verweilen, sondern machte sich sogleich[52] wieder auf, und ritt zum Königshof heim. Da wunderten sich Alle sehr über das schöne Goldpferd, und am allermeisten verwunderte sich der König selbst. Von dem Tage an stieg der Höfling immer mehr in der Gunst seines Herrn; der Stalljunge härmte sich über sein Glück, und gönnte seinem Bruder nichts Gutes.

Eines Tages ging der König zum Stalle, um seine Füllen zu beschauen, wie es seine Gewohnheit war. Als er sie alle rund umher beschaut, blieb er bei dem Goldpferd des Riesen stehen, streichelte es an den Lenden, und sagte zu seinen Leuten: »Sagt mir, wo sah man wol in der Welt eine solche Kostbarkeit, wie diese?« Die Männer stimmten bei, daß dergleichen kaum zu finden wäre. Der betrügerische Stalljunge aber war sogleich bereit, und sagte: »Herr und König! fürwahr euer Goldpferd ist ein seltenes Kleinod, ich weiß aber einen andern theuern Schatz, der es weit an Kostbarkeit übertrifft.« Als der König auf diese Worte aufmerksam wurde, fragte er, wovon die Rede war. Da begann der Stalljunge weit und breit von der schönen Lampe zu erzählen, die schöner als der Vollmond scheine. Der König nahm hierauf das Wort: »Wo findet man die Lampe, und wer kann sie mir schaffen?« Der Stalljunge sagte: »Ich glaube, daß Keiner die Lampe euch schaffen kann, außer mein Bruder, er weiß auch am Besten, wo man sie findet.« Der König bekam nun eine große Lust, die Mondlampe zu besitzen, wovon er so viel sprechen gehört, und befahl dem Höfling, fortzuziehen, und sie zu holen. Der Höfling war nicht sehr furchtsam, gleichwol wäre er gerne geblieben, wo er war. Der Stalljunge[53] aber freute sich in seinem falschen Herzen, und meinte, daß sein Bruder von der Reise kaum wieder kommen werde, wie früher.

Der Höfling rüstete sich nun, und begab sich auf den Weg. Als er zum Hofe des Bauers kam, ging er hinein, dankte für den letzten Dienst, und bat ihn um guten Rath, wie er des Riesen Mondlampe erhalten könne. Der Bauer empfing ihn sehr freundlich, und versprach seinen Beistand in Allem, was er konnte. Als sie sich besprochen hatten, nahm der Höfling Abschied, und begab sich allein auf den Weg zu dem fürchterlichen Riesen.

Gegen Abend, als es dämmerig wurde, kam der Riese aus dem Walde heim. Er war den ganzen Tag außer Hause, und sehr hungrig. Als er nun sein Abendmahl beendigt, hatte die Dienerin vergessen, Wasser zu holen. Da ward der Riese übellaunig, und sagte: »Hast du vergessen, daß ich trinken will, jedesmal wenn ich gegessen habe?« Die Dienerin entschuldigte sich, daß es so dunkel wäre, sie könnte den Weg nicht zum Brunnen finden. »Nimm dann meine Mondlampe,« rief der Riese mit zorniger Stimme. Das Weib ließ sich dies nicht zweimal sagen, sondern nahm die schöne Lampe von der Wand, und eilte zum Brunnen fort. Doch ihr Gang sollte anders enden, als sie dachte, denn als sie sich herniederneigte, war der Höfling bereit, faßte sie bei den Füßen, und warf sie über Hals und Kopf in den Brunnen. Hierauf nahm er die schöne Lampe, die gleich dem Vollmond schien, und lief eilig davon. Als er nun zum Hofe des Bauers kam, hatten sie eine große Freude über das Gelingen seines Unternehmens.[54] Der Höfling aber wollte dort nicht länger verweilen, sondern machte sich sogleich bereit, und fuhr zum Hofe des Königs. Hier wunderte man sich sehr über die kostbare Mondlampe, und am meisten verwunderte sich der König selbst. Seit dem Tage wurde der Höfling von seinem Herrn noch mehr geliebt, und als der Vornehmste unter seinen Dienern geachtet. Der Stalljunge aber trug Haß gegen ihn in seinem Herzen, und sann immer auf Rath, wie er seinen Bruder verderben könne.

Einige Tage darauf ging der König wieder zum Stalle, um seine Füllen zu besehen. Als er alle beschaut hatte, wendete er sich an seine Leute, und sagte: »Findet sich irgendwo ein König, der sich rühmen kann, daß er größere Kostbarkeiten besitze, als ich; ich kenne nichts, was mir fehlt.« Alle bejahten es; der böswillige Stalljunge aber war sogleich bereit, und erwiederte: »Herr und König! fürwahr du besitzest manche kostbare Schätze, ich weiß aber ein Kleinod, das alle weit übertrifft.« Als der König dies hörte, war er sehr verwundert, und fragte: »Wovon sprichst du, und wer kann mir das Kleinod schaffen?« Da begann der Stalljunge Langes und Breites von der schönen Königstochter zu erzählen, die im Hof des Riesen war, und schloß so seine Rede: »Ich kann dir die junge Maid nicht verschaffen, ich kenne auch Niemand andern, der es thun kann, außer meinem Bruder. Er weiß auch am Besten, wo sie zu finden ist.« Der König bekam nun eine große Lust, die Prinzessin zu besitzen, deren Schönheit so hoch gepriesen wurde, und befahl dem Höfling, fortzuziehen, und sie zu holen. Der Höfling war nicht sehr[55] furchtsam, gleichwol wäre er lieber geblieben, wo er war. Der Stalljunge aber freute sich, und meinte, daß dies wol die letzte Reise seines Bruders sein dürfte.

Der Höfling rüstete sich, und ritt zum Hof des Bauers, wie früher. Er ging hinein, dankte für den letzten Dienst, und bat um guten Rath, wie er die Königstochter aus dem Hof des Riesen entführen könne. Als sie miteinander berathschlagten, sagte der Bauer: »Dein Vorhaben ist schwer, und ich weiß wol nicht, wie es ablaufen wird, denn die Königstochter sitzt auf dem hohen Boden in einem Zauberkäfich. Gleichwol ist mein Rath, daß du in die Wand Eisenkeile befestigest, und so zu ihr hinaufsteigst. Dann steht zu erwarten, ob das Glück dir günstig sein will.« Der Höfling dankte dem Greise für seinen Rath, und versprach, diesen zu befolgen. Er nahm hierauf Abschied, und wanderte zur Stube des Riesen; der Bauer aber wollte ihm wol, und wartete mit Unruhe seine Rückkunft ab.

Am Abend, als es dunkel wurde, befestigte der Höfling Keile in die Wand, und kam so auf den hohen Boden. Der Käfich der Prinzessin, in dem sie gefangen saß, war aber verzaubert, so daß nur der das Schloß öffnen konnte, der vom Schicksal dazu bestimmt war, der Bräutigam der Jungfrau zu werden. Als nun die Königstochter den beherzten Jüngling sah, freute sie sich herzlich, das Schloß aber sprang von sich selbst auf, so daß der Höfling in den Käfich kam. Er erzählte hierauf sein Unternehmen, und fragte, ob die Prinzessin ihm folgen wolle. Sie willigte ein, und machte sich sogleich bereit. Als sie[56] nun die Wand hinabgingen, hielt der Jüngling sie fest, damit sie nicht falle, was das Mädchen sich wol gefallen ließ. Hierauf zogen sie schnell weiter, und kamen zum Hofe des Bauers. Der Höfling aber wollte nicht verweilen, sondern nahm von dem klugen Greise Abschied, und machte sich bereit, heimzureiten. Sie reis'ten zum Königshof; unter Wegs aber faßte der Junge eine heftige Liebe zu der schönen Maid, so daß er glaubte, es würde sein Tod sein, wenn sie irgend ein Anderer besäße.

Als sie nun hingekommen waren, herrschte große Freude über den ganzen Hof des Königs, daß der Höfling zurückgekommen; denn Alle liebten ihn, nur nicht sein Bruder, der boshafte Stalljunge. Der König ging hierauf, seine junge Braut zu schauen, und es schien ihm, daß er nie ein schöneres Weib gesehen. Als er aber zu ihr sprechen wollte, sieh'! – da kam der Zauberkäfich zurück, und Keiner konnte das Schloß öffnen, außer dem, der die Prinzessin aus der Gewalt des Riesen befreit hatte. Nun begriff der König, daß die Maid nicht bestimmt war, ihm zuzugehören. Er ließ daher eine prächtige Hochzeit veranstalten, und gab dem tapfern Höfling die Königstochter zur Braut, der für sie so viel Gefahren bestanden. Als die Hochzeit lange Zeit mit Lustbarkeit und Spiel gewährt hatte, nahm der König von den Beiden Abschied, und sandte sie mit großem Gefolge zum Vater der Prinzessin heim. Hier herrschte keine geringe Freude über das ganze Reich, daß der König seine einzige Tochter wieder erhalten. Der Höfling aber und seine[57] Gemahlin lebten glücklich zusammen noch viele, viele Jahre. Und als der König, der Vater der Prinzessin, starb, ward der Höfling zum König über das ganze Reich erwählt. Dort lebt, und wie ich sagen gehört, beherrscht er glücklich das Land noch heut zu Tage.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 46-58.
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