B. Die Goldlampe, der Goldbock und der Goldpelz.

[34] Aus Süd-Småland.


Es war einmal eine arme Witwe, die hatte drei Söhne. Die beiden ältesten gingen auf Arbeit aus, um sich den Unterhalt zu verschaffen. Daheim nützten sie gleichwol wenig, weil sie selten der Mutter Willen erfüllten, was sie auch sagen mochte. Der jüngste Knabe aber hielt sich immer im Hause auf, und stand der alten Witwe in ihren Geschäften bei; deßwegen wurde er von seiner Mutter sehr geliebt, von seinen Brüdern aber verfolgt, die ihm Spottweise den Schimpfnamen Pinkel gaben. Eines Tags sagte die alte Witwe zu ihren Söhnen: »Nun müßt ihr euch in die Welt begeben und euer Glück versuchen, so gut ihr könnt. Ich vermag euch nicht länger daheim zu ernähren, seitdem ihr älter geworden.« Die Knaben antworteten, daß sie nichts besseres wünschten, da es der Mutter unangenehm wäre, daß sie zu Hause blieben. Sie machten sich hierauf bereit; begaben sich auf den Weg, und wanderten eine geraume Zeit umher, ohne daß sie irgend einen Dienst erhalten konnten.

Als sie lange gereiset waren, kamen sie spät an einem Abend zu einem großen See. Weit außen in dem See war eine Insel, von wo ein starker Schein, wie von einem Feuer zu sehen war. Die Knaben blieben am Strande, und betrachteten den wunderbaren Schein, und schloßen[35] daraus, daß daselbst Menschen sein mußten. Als es nun schon dunkel war, und die Brüder nicht wußten, wo sie über Nacht Herberge finden würden, beschlossen sie, ein Boot zu nehmen das im Wasser stand, und zur Insel hinüber zu fahren, und Herberge zu verlangen. In dieser Absicht setzten sie sich in das Boot, und ruderten über die Bucht. Als sie jetzt gegen die Insel kamen, wurden sie einer kleinen Hütte ansichtig, die am Seestrande lag. Die Knaben gingen dahin und bemerkten, daß dieser schöne Schein, der über die Gegend leuchtete, von einer goldenen Lampe kam, die an der Thür des Hauses stand. Vor dem Hause spazierte ein großer Bock mit goldenen Hörnern, an welchen kleine Glocken befestiget waren, die einen schönen Klang gaben, wenn das Thier sich bewegte. Die Brüder wunderten sich sehr über dieses alles, am allermeisten aber über die Alte, die mit ihrer Tochter im Hause wohnte. Das Weib war alt und häßlich, aber sie war prächtig in einen Pelz oder Mantel gekleidet, so künstlich mit goldenen Fäden gewirkt, daß er gleich klarem Golde in jeder Falte glänzte. Die Knaben begriffen nun wol, daß sie nicht zu einem gewöhnlichen Menschenkinde, sondern zu einer Troll oder zu einer Wassernymphe gekommen.

Nach einiger Ueberlegung gingen die Brüder hinein, und sahen, wie das Weib beim Herde stand, und mit einer Kelle in einem großen Topfe rührte, der über dem Feuer kochte. Sie brachten nun ihr Anliegen vor, und baten, ob sie dort über Nacht bleiben könnten. Das Weib aber antwortete hierauf: »Nein,« und wies sie zu einem Königshofe[36] hin, der auf der andern Seite des Sees lag. Als sie nun sprach, sah sie den jüngsten Knaben scharf an, der da stand und seine Augen überall in der Stube umherschweifen ließ. Das Weib fragte: »Wie heißt du mein Knabe?« Der Knabe antwortete schnell: »Ich heiße Pinkel.« Die Hexe sagte: »Deine Brüder können fortziehen, du aber sollst hier bleiben, denn du siehst mir sehr verschmitzt aus, und dein Aussehen sagt mir, daß ich von dir nichts Gutes erwarten kann, wenn du anders im Königshofe lange verweilst.« Der Knabe bat nun demüthig, mit seinen Geschwistern fortziehen zu dürfen, und versprach, dem Weibe nie irgend etwas Böses oder Unrechtes zuzufügen. Zuletzt erhielt auch er Erlaubniß, seinen Weg zu gehen, worauf die Brüder sich eilig zum Boote begaben, und über den See fuhren, sehr froh, daß alle Drei diesem Abenteuer gut entkommen waren.

Gegen Morgen kamen die Knaben zu einem Königshofe, der größer und herrlicher war, als sie je einen früher gesehen. Die Brüder gingen hinein und bewarben sich um einen Dienst. Die beiden ältesten wurden Stalldiener bei dem Könige, und der jüngere erhielt den Dienst eines Pagen bei dem jungen Königssohne. Als aber Pinkel eben so behende als geschickt war, gewann er schnell die Gunst von Allen, und stieg mit jedem Tag in der Gnade des Königs. Hierüber härmten sieh seine Brüder, und konnten es nicht leiden, daß er ihnen vorgezogen wurde. Zuletzt gingen sie miteinander zu Rathe, wie sie ihren jüngsten Bruder stürzen könnten, und meinten, daß dann ihr eigenes Glück besser befördert werden würde.[37]

Die beiden ältesten Brüder gingen eines Tages zum Könige, und erzählten weitläufig von der schönen Lampe, die über Wasser und Land schien. Sie sagten, daß es sich für einen König nicht zieme, ein so kostbares Kleinod zu entbehren. Als der König ihre Erzählung hörte, ward er aufmerksam und fragte: »Wo findet man die Lampe, und wer kann sie mir schaffen?« Die Brüder antworteten: »Es kann es Niemand anderer, als unser Bruder Pinkel, er weiß auch am besten, wo die Lampe zu finden ist.« Nun bekam der König große Lust, die goldene Lampe zu besitzen, von der er erzählen hörte, und ließ den Jüngling rufen. Als Pinkel kam, sagte der König: »Wenn du mir die schöne Goldlampe schaffen kannst, die über Wasser und Land scheint, will ich dich zum vornehmsten Mann meines ganzen Hofes machen.« Der Knabe versprach, auf das Beste den Befehl seines Herrn zu vollziehen. Da pries der König seine Bereitwilligkeit, die Brüder aber freuten sich im Stillen, denn sie wußten wol, daß es ein großes Wagstück wäre, das kaum gut ablaufen werde. Pinkel verschaffte sich nun ein kleines Boot, und ruderte heimlich über die Bucht zur Insel, wo die Hexe wohnte. Als er dahin kam, war es Abend, und die Alte beschäftigt, den Abendbrei zu kochen, wie sie es gewohnt war. Der Knabe kroch leise auf das Dach und warf nach und nach eine Handvoll Salz durch den Rauchfang, so daß es in den Topf hinabfiel, der am Herde stand und kochte. Als nun der Brei fertig war, und das Weib essen wollte, konnte sie nicht begreifen, woher dieser so salzig und bitter war. Das Weib ward nun sehr verdrießlich und schalt ihre Tochter,[38] in Gedanken, daß sie die Speise so stark gesalzen habe. Aber wie sie auch den Brei verdünnen mochte, konnte sie ihn doch nicht essen, so bitter war er. Da befahl das Weib ihrer Tochter, zum Brunnen zu gehen, der unten am Hügel lag, und Wasser zu holen, um neuen Brei zuzubereiten. Die Maid antwortete: »Wie kann ich zum Brunnen gehen? Es ist so dunkel draußen, daß ich den Weg über den Bach nicht finde.« »Nimm da meine Goldlampe,« entgegnete störrisch das Weib. Das Mädchen nahm die schöne Goldlampe, die in der Vorstube stand, und lief hastig fort, um Wasser zu holen. Als sie sich aber über den Brunnen neigte, um den Eimer zu heben, war Pinkel nicht müßig, erhaschte das Mädchen bei den Füßen, und warf sie über Hals und Kopf in das Wasser hinab. Hierauf nahm er die goldene Lampe, und begab sich in Eile zu seinem Boot.

Darob begann das Weib sich zu wundern, daß ihre Tochter so lange zaudere. In demselben Augenblicke sah sie durch das Windauge hinaus, und bemerkte, wie die Lampe weithin auf dem See leuchte. Da ward dem Trollweib schlimm zu Muthe, es lief hin zum Rande des Ufers und rief: »Bist du es, Pinkel?« Der Junge erwiederte: »Ja, ich bin es, Mütterchen.« Das Weib sagte: »Hast du meine Lampe genommen?« Pinkel antwortete: »Ja, ich habe sie, Mütterchen!« Das Weib entgegnete: »Bist du nicht ein großer Schelm?« Der Knabe gab zur Antwort: »Ja, ich bin es, Mütterchen!« Nun fing das Weib zu klagen und zu jammern an; sie sagte: »Ach, wie war ich dumm, als ich dich von mir ließ, ich konnte wol denken,[39] daß du mir irgend einen Streich spielen werdest. Aber komm' du nur wieder her, du sollst nimmer von hinnen kommen.« Dabei verblieb es.

Pinkel kehrte nun zum Hofe des Königs zurück, und ward der vornehmste Mann des ganzen Hofes, wie der König versprochen hatte. Als aber die Brüder vernahmen, welchen glücklichen Erfolg sein Unternehmen gehabt hatte, wurden sie noch neidischer und erbitterter als vorher, und pflegten sich fleißig miteinander zu berathen, wie sie ihren jüngsten Bruder stürzen, und sie selbst des Königs Gunst gewinnen sollten. Die beiden Brüder gingen daher wieder zum König, und begannen weitläufig von dem schönen Bock zu erzählen, der Hörner vom reinsten Gold habe, und dazu an den Hörnern kleine Goldglocken befestiget, so daß es jedesmal angenehm ertönte, wenn das Thier sich bewegte. Die Brüder sagten, es zieme sich nicht für einen reichen König, einen so kostbaren Schatz zu vermissen. Als der König diese Erzählung vernahm, ward er aufmerksam und fragte: »Wo findet man diesen Bock, und wer kann ihn mir schaffen.« Die Brüder antworteten: »Es kann es Keiner, außer unser Bruder Pinkel, er weiß auch am besten, wo der Bock zu finden ist.« Da fühlte der König ein großes Verlangen, den Bock mit den goldenen Hörnern zu besitzen, und ließ daher den Jungen zu sich rufen. Als Pinkel kam, sagte der König: »Deine Brüder haben mir von einem schönen Bock erzählt, der Hörner von dem reinsten Gold hat, und an den Hörnern kleine Glocken befestiget, so daß es jedesmal ertönt, wenn sich das Thier bewegt. Nun ist mein Wille, daß du fortgehst, und mir[40] den Bock verschaffst; wenn dein Vorhaben gelingt, will ich dich zum Herrn von dem dritten Theile meines Reiches machen.« Der Jüngling gehorchte diesen Worten, und versprach, die Befehle seines Herrn zu vollziehen, wenn ihm anders das Glück günstig sein wolle. Da pries der König seine Bereitwilligkeit; die Brüder aber freuten sich in ihrem Herzen, und meinten, daß Pinkel diesmal nicht entkommen werde, wie früher.

Pinkel machte sich nun bereit, und fuhr in seinem Boote über die Bucht zur Insel, wo die Hexe wohnte. Als er hinkam, war es Abend, und schon dunkel, so daß ihn Niemand bemerken konnte; denn die goldene Lampe fand sich nicht mehr vor, sondern leuchtete im Hofe des Königs. Der Knabe überlegte nun lange bei sich, wie er zu den goldenen Bock gelangen möge; aber dies war nicht leicht, denn der Bock lag jede Nacht in der eigenen Stube des Weibes. Zuletzt kam es ihm in den Sinn, daß er wol ein Mittel versuchen könne, das vielleicht zum Gelingen des Abenteuers führe, obschon es ihm unsicher erschien.

Am Abend, als das Weib und ihre Tochter zu Bette gehen wollten, ging das Mädchen, die Thür zu schließen, wie es ihre Gewohnheit war. Pinkel aber lag außen auf der Lauer, und schob unvermerkt eine Schindel hinter die Thür, so daß sie nicht schließen wollte. Das Mädchen stand nun lange, und versuchte, sie in's Schloß zu werfen, aber es wollte nicht gelingen. Als das Weib dies merkte, dachte sie, daß etwas in Unordnung gerathen, und sagte, daß die Thür über Nacht wol unverschlossen stehen bleiben[41] könne, bis es tage, dann könne man sehen, wo es fehle. Das Mädchen lehnte die Thür an, und legte sich schlafen. Als es aber Nacht ward, und alle im tiefen Schlummer lagen, schlich der Knabe leise in die Stube, und kroch zum Bock hin, wo dieser sich an der Feuerstätte hinstreckte. Pinkel nahm jetzt Wolle, und stopfte sie in alle Goldglocken, auf daß ihr Klang ihn nicht verrathe, ergriff hierauf den Goldbock, und trug ihn zu seinem Boot. Als er dann wieder zum See gekommen war, nahm er die Wolle hinweg, wobei der Bock sich bewegte, so daß es hell ertönte. Da erwachte die Hexe aus ihrem Schlummer, und vernahm die angenehmen Töne der Glocken. Sie lief zum Uferrand hin, und rief im Zorn: »Bist du es, Pinkel?« Der Knabe antwortete: »Ja, ich bin es, Mütterchen.« Das Weib sagte: »Hast du meinen Goldbock gestohlen?« Der Junge entgegnete: »Ja, ich habe es gethan, Mütterchen!« Die Hexe erwiederte: »Bist du nicht ein großer Schelm?« Pinkel gab zur Antwort: »Ja, ich bin es, Mütterchen!« Nun begann das Weib zu jammern und zu wehklagen. Sie sagte: »Ach! wie war ich einfältig, als ich dich von mir ließ, ich konnte wol denken, daß du mir irgend einen Streich spielen werdest. Kommst du aber noch einmal wieder her, sollst du nimmer von hinnen gehen.«

Pinkel kehrte nun wieder zum Königshof zurück und erhielt die Herrschaft über ein Dritttheil des Reiches, wie der König versprochen hatte. Als aber die Brüder erfuhren, wie Alles abgelaufen, und dazu die schöne Lampe und den Bock mit den goldenen Hörnern sahen, die von Allen als große Seltenheiten gepriesen wurden, wurden[42] sie noch mehr mit Haß erfüllt und erbittert gegen ihren jüngeren Bruder. Sie dachten nun an nichts so sehr, als auf welche Art sie sein Unglück, und seinen Untergang bewirken könnten.

Die beiden Brüder gingen eines Tages wieder zum König, und erzählten Langes und Breites von dem Pelz der Hexe, der gleich dem schönsten Golde funkelte, und der mit goldenen Fäden in jeder Falte genäht war. Die Brüder sagten, es zieme sich besser für eine Königin, als für eine Hexe, eine solche Kostbarkeit zu besitzen, und meinten, daß dieser allein noch zum Glück des Königs fehle. Als der König dies Alles hörte, ward er sehr nachdenkend, und sagte: »Wo findet man den Pelz, und wer kann ihn mir schaffen?« Die Brüder antworteten: »Es kann es Keiner, außer unser Bruder Pinkel; er weiß auch am Besten, wo der Goldpelz zu finden ist.«

Da bekam der König eine große Lust, den schönen Pelz zu besitzen, und ließ den Jungen zu sich rufen. Als Pinkel kam, sagte der König: »Ich habe lange vernommen, daß du meine Tochter liebst. Nun haben mir deine Brüder von einem schönen Goldpelz erzählt, der von reinstem Golde, in jeder einzelnen Falte glänzt. Daher ist mein Wille, daß du fortgehst und mir den Pelz schaffst, wenn aber dein Vorhaben gelingt, will ich dich zu meinem Eidam machen, und du sollst nach mir das Reich erben. Als der Junge dies hörte, war er sehr erfreut, und versprach die junge Maid zu gewinnen, oder das Leben zu verlieren. Da pries der König seine Bereitwilligkeit; die Brüder aber[43] freuten sich im falschen Gemüthe, und meinten, daß diese Fahrt wol der Tod ihres Bruders sein dürfte.«

Pinkel setzte sich hierauf in sein Boot, und fuhr über die Bucht zur Insel, wo die Hexe wohnte. Unterwegs überlegte er fleißig bei sich, wie er den Goldpelz des Weibes erhalten könne; aber es schien ihm nicht leicht, daß sein Unternehmen gut ablaufen werde, weil das Weib den Pelz immer auf sich trug. Als er nun manchen Vorschlag ausgedacht hatte, der eine abenteuerlicher als der andere, kam ihm zuletzt in den Sinn, daß er wol ein Mittel versuchen könnte, das gelingen dürfte, wie es auch gewagt und dreist wäre.

Der Knabe band einen Sack unter seine Kleider, und wanderte mit furchtsamen Schritt und demüthigen Geberden in die Stube des Weibes. Als nun das Weib seiner ansichtig wurde, warf sie ihm einen strengen Blick zu, und fragte: »Bist du es, Pinkel?« Der Junge antwortete: »Ja, ich bin es, Mütterchen!« Da freute sich das Weib, und sagte: »Nachdem du dich selbst in meine Macht gegeben, kannst du wol nicht denken, daß du von hier noch entkommst, nachdem du mir so manchen Streich gespielt.« Sie nahm nun ein großes Messer hervor, und machte sich bereit, Pinkel zu ermorden. Als dies der Junge sah, stellte er sich sehr erschrocken, und sagte: »Wenn ich schon sterben soll, so däucht mir doch, daß ich selbst wol die Todesart wählen könnte. Mich gelüstet's mehr, an dem weißen Brei mich zu Tod zu essen, als mit dem Messer geschlachtet zu werden.« Das Weib dachte bei sich, daß der Knabe eine schlechte Bedingung gewählt habe, und versprach[44] daher seinem Begehren nachzukommen. Sie stellte nun einen großen Topf über das Feuer und bereitete eine ansehnliche Menge Brei. Als das Gericht fertig war, setzte sie es Pinkel vor, damit er esse; aber jedesmal, als er einen Löffel Brei in den Mund steckte, goß er zwei Löffel Brei in den Sack, der unter den Kleidern befestiget war. Zuletzt fing das Weib sich zu wundern an, daß Pinkel so viel essen könne. Da stellte sich der Knabe krank, fiel vom Stuhle herab, als ob er gestorben wäre, und stach hierbei unbemerkt ein Loch in seinen Sack, so daß der Brei über den Fußboden rann.

Die Hexe glaubte nun, daß Pinkel von dem vielen Brei zerplatzt sey. Sie freute sich hierüber sehr, schlug die Hände zusammen, und sprang hinweg, um ihre Tochter zu suchen, die zum Brunnen hinausgegangen war. Da es aber regnete und wetterte, so zog die Hexe unterdessen ihren schönen Goldpelz aus, und legte ihn in der Stube ab. Das Weib war noch nicht weit gegangen, als der Knabe wieder zum Leben kam, wie der Blitz aufsprang, den Goldpelz umnahm, und seines Weges eilte.

Nach einer Stunde ward das Weib Pinkel's ansichtig, wie er in seinem kleinen Boote fuhr. Als sie ihn nun wieder am Leben sah, und nebstbei den Goldpelz bemerkte, der über dem See glänzte, war sie sehr erzürnt, und sprang hinaus zum Uferrand. Das Weib rief: »Bist du es, Pinkel?« Der Junge entgegnete: »Ja, ich bin es, Mütterchen?« Das Weib sagte: »Hast du meinen Goldpelz genommen?« Pinkel antwortete: »Ja, ich habe es gethan, Mütterchen!« Das Weib erwiederte: »Bist du nicht ein großer Schalk?«[45] Der Junge entgegnete: »Ja, ich bin es, Mütterchen!« Nun ward der Hexe schlimm zu Muthe, und sie begann zu wehklagen, und zu jammern. Sie nahm wieder das Wort: »Ach! wie war ich albern, daß ich dich entkommen ließ, ich konnte wol denken, du werdest mir manchen schlechten Streich spielen.« Hiermit schieden sie von einander.

Das Weib kehrte nun wieder zu ihrer Stube; Pinkel aber fuhr über die Bucht, und kam glücklich zum Königshof heim. Er überlieferte den goldenen Pelz, und es schien Allen, daß keiner desgleichen gesehen, oder von einem kostbareren Kleinod erzählen gehört. Der König aber hielt dem Jungen redlich sein Wort, und gab ihm seine einzige Tochter zur Ehe. Von nun an war Pinkel sein ganzes Leben glücklich und vergnügt. Seine Brüder aber waren und blieben Stallknechte, so lange sie lebten.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 34-46.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Leo Armenius

Leo Armenius

Am Heiligen Abend des Jahres 820 führt eine Verschwörung am Hofe zu Konstantinopel zur Ermordung Kaiser Leos des Armeniers. Gryphius schildert in seinem dramatischen Erstling wie Michael Balbus, einst Vertrauter Leos, sich auf den Kaiserthron erhebt.

98 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon