B. Wattuman und Wattusin.

[94] Aus Südmannland.


Es war einmal ein König, der herrschte über ein mächtiges Reich, und wurde dabei von seinen Unterthanen sehr geliebt. Er hatte eine schöne Gemahlin, die ebenfalls wegen ihrer guten Eigenschaften sehr gerühmt wurde. Als der König und seine Gemahlin einige Zeit verehelicht waren, ward die Königin schwanger, und gebar eine Tochter; sie selbst aber starb in Kindesnöthen. Da ward der König sehr traurig, und wollte keine Gemahlin mehr nehmen, nachdem seine erste auf die Bahre gelegt worden war. Statt dessen wendete er seine ganze Liebe dem Kinde zu, und liebte seine Tochter so sehr, daß er beschloß, nie von ihr sich zu trennen.

Inzwischen wuchs die Königstochter heran, und ward die schönste Jungfrau, die man irgendwo finden konnte. Da kamen manche Königssöhne und andere edelgeborne Männer, um die Prinzessin zu freien, obgleich ihr Vater sie Alle abwies. Der Freier aber wurden immer mehr, und sie wuchsen zuletzt zu einer zahlreichen Schaar an. Der König wußte sich nun keinen andern Rath, seine Tochter zu verwahren, als auf einer Insel mitten in der See einen hohen Thurm bauen zu lassen, und brachte die Prinzessin zugleich mit ihrer Dienerin dorthin.

Es ereignete sich einige Zeit hierauf, daß die Königstochter einen wunderlichen Traum hatte. Es dünkte[95] ihr, sie gehe in den Thurm, und finde eine geheime Stiege. Am Ende der geheimen Stiege war eine verborgene Thür, und als sie diese öffnete, kam sie zum Berge an einen Ort hin, wo sie nie früher gewesen. Aus dem Berge aber sprudelte ein klarer Wasserstrahl hervor, der so schön, wie die Sonne glänzte. Die Prinzessin trank davon, und es kam ihr im Traume vor, als habe sie nie früher einen so wunderbaren und köstlichen Trank gekostet. Als nun der Morgen kam, und die Prinzessin erwachte, konnte sie ihren Traum nicht vergessen, sondern erzählte ihn ihrer Dienerin. Darob wunderte das Mädchen sich sehr, denn sie hatte in der Nacht denselben Traum gehabt. Die beiden Jungfrauen konnten nun wol entnehmen, daß darin irgend Etwas Geheimnißvolles liege, und bekamen Lust, den kostbaren Springbrunnen zu suchen. Gesagt, gethan. Sie suchten und fanden eine geheime Stiege, ganz so, wie sie ihnen im Traume erschienen; am Ende der geheimen Stiege war eine verborgene Oeffnung, und als sie hindurch gegangen, kamen sie zu einer Stelle, wo eine Wasserader aus dem Berge hervorsprang. Das Wasser des Brunnens war so klar und durchsichtig, daß es an der Sonne, wie geläutertes Gold schimmerte. Die beiden Jungfrauen konnten es nun sich nicht versagen, von diesem klaren Wasser zu trinken, und es kam ihnen vor, daß sie nie einen angenehmeren und kühlenderen Trank gekostet. Das Quellwasser aber hatte eine wunderbare Kraft; die beiden Jungfrauen wurden auf einmal schwanger, und nach neun Monaten gebar jede einen kleinen Sprößling. Beide Kinder waren Knäblein; sie waren aus dem Wasser geschöpft, und erhielten[96] den Namen nach ihrer väterlichen Herkunft. Die Königstochter nannte ihren Sohn Wattuman, der Sohn des Mädchens wurde Wattusin1 genannt.

Bei der Nachricht hievon ward dem Könige, dem Vater der Prinzessin schlimm zu Muthe, und er bereute es, daß er seine Tochter nicht irgend einem Königssohne gegeben, so wäre dieses Unglück nicht geschehen. Aber wie das Sprichwort lautet: »Das Geschehene kann man nicht ungeschehen machen;« er mußte sich daher mit dem zufrieden stellen, was geschehen war. Unterdeß saß die Prinzessin mit ihrem Mädchen in dem einsamen Thurme in der See, und kein Mann kam jemals dahin. Die beiden Knaben aber wuchsen zusammen auf, und wurden groß und stark, kecken Muthes und von schönem Aussehen. Dazu waren sie sich gegenseitig so gleich, daß nur ihre Mütter den einen von dem andern unterscheiden konnten.

So verging eine geraume Zeit, und die beiden Pflegebrüder waren fünfzehn Winter alt. Da gingen sie eines Tags zur Königstochter, und baten um Erlaubniß, aus dem Thurme fortziehen, und ihr Glück auf eigene Hand versuchen zu dürfen. Die Prinzessin und ihre Dienerin willigten ungerne in dieses Begehren ein; die Jünglinge aber bestanden auf ihren Entschluß. Sie nahmen also Abschied von ihren Müttern, und die beiden Frauen weinten viele Thränen über ihre Abreise. Beim Abschied aber gab die Königstochter Jedem einen Hund zum Geschenke. Sie sagte: »Zwei Dinge sollt ihr mir für all' die Liebe geoben,[97] die wir euch bewiesen; das Eine ist, daß ihr nie Jemand eure Herkunft entdecket; das Andere, daß ihr euch nie von diesen Hunden trennt; sie werden euch auch stets treu sein.« Die Pflegebrüder willigten gerne in das Begehren der Prinzessin, und so schieden sie vom Thurme mit vielem Leid von beiden Seiten.

Die Knaben begaben sich nun auf den Weg, und kamen zum Königshof, wo der Vater der Prinzessin wohnte. Sie traten in den Saal, grüßten höflich, und alle Männer, die sie sahen, wunderten sich über das Aussehen und die Behendigkeit der Jünglinge. Als nun der König die beiden Fremdlinge sah, fragte er nach ihrem Namen und nach ihrer Herkunft. Die Jungen antworteten: »Herr und König! wir heißen Wattuman und Wattusin, es ist uns aber verboten, zu entdecken, aus welchem Geschlecht wir stammen.« Der König fragte ferner: »Was ist dann euer Gewerbe, und wohin geht euer Weg?« Die Brüder antworteten: »Wir ziehen in die Welt hinaus, um unser Glück zu versuchen.« Da sagte der König: »Eure Abkunft offenbart sich am Besten in eurem Aussehen, und ich will euch etwas zum Andenken geben. Wenn ihr aber künftig in Noth kommt, so wendet euch wieder an mich.« Mit diesen Worten reichte der König dem Wattuman einen Speer, und dem Wattusin einen Bogen und Pfeile. Die Pflegebrüder dankten sehr für diese Geschenke, nahmen hierauf Abschied, und setzten ihre Wanderung fort.

Als sie weit gereist waren, kamen sie eines Tages in einen wilden Wald. Als sie nun mit ihren Hunden jagten, um Lebensunterhalt zu finden, begegnete ihnen eine große[98] Bärin. Sogleich rief Wattuman seinem Bruder zu: »Schieß du, so werfe ich!« Die Bärin aber bat für ihr Leben, und sagte: »Schießt nicht, werfet nicht! Daheim habe ich zwei Junge. Ich will Jedem von euch eines geben, wenn ihr mich leben laßt.« Da thaten die Jungen dem Thiere nichts zu Leide, und wollten es nicht verletzen. Die Bärin aber holte ihre Jungen, gab jedem der Pflegebrüder eines und sagte, daß ihre Söhne sie für das Leben ihrer Mutter belohnen werden.

Den andern Tag jagten die Brüder wieder im Walde mit ihren Hunden. Da begegnete ihnen eine Wölfin. Sogleich rief Wattuman dem Wattusin zu, und sagte: »Schieß du, so werfe ich!« Aber die Wölfin bat für ihr Leben, und sagte: »Schießt nicht, werft nicht! Daheim habe ich zwei Junge; wenn ihr mich leben laßt, will ich Jedem von euch eines geben.« Dies gefiel den Brüdern, und sie wollten das Thier nicht verletzen. Die Wölfin aber holte ihre Jungen, und gab sie den beiden Knaben, indem sie sagte, daß ihre Jungen ihnen das Leben ihrer Mutter lohnen werden.

Den dritten Tag begegnete während der Jagd den Brüdern eine Füchsin. Sogleich rief Wattuman dem Wattusin zu: »Schieß du, so werfe ich.« Die Füchsin aber bat für ihr Leben, und sagte: »Schießt nicht, werft nicht! Daheim habe ich zwei Junge. Ich will Jedem von euch eines geben, wenn ihr mir das Leben schenkt.« Dies schien den Brüdern ein guter Vorschlag zu sein, und sie schonten das Thier. Die Füchsin aber lief fort, und holte ihre Jungen. Sie gab jedem Knaben eines, und sagte, daß ihre[99] Jungen ihnen wieder vergelten sollten, daß sie der Mutter das Leben geschenkt.

Die Thiere folgten nun ihren Herren, und waren ihnen folgsam und treu in Allem, was sie befahlen.

Als die Brüder lange zusammen gewandert waren, kamen sie zu einem Kreuzwege; an der Wegscheide stand ein hoher Baum. Da sagte Wattuman: »Bruder! hier scheiden sich unsere Wege, und mir ahnt, daß wir uns einander nicht sobald wieder finden dürften.« Wattusin antwortete: »Du magst Recht haben, wie immer; wie kann ich aber künftig erfahren, wie es dir in der Welt geht?« Wattuman erwiederte: »Ich stecke mein Messer hier in den Baum. Es soll dir ein Zeichen sein, daß wenn das Messer rostet, ich dann in großer Noth bin; wenn es aber blutig wird, so kündet es meinen Tod. Und ich erwarte, daß du meinen Tod rächen wirst.« So sprechend, schieden die Brüder von einander. Wattuman ging mit seinen Thieren seinen Weg, und es begegneten ihm manche wunderliche Abenteuer, von denen ich künftig erzählen will. Wattusin aber nahm einen anderen Weg, und war nicht lange gereist, als er vor sich einen alten, einsamen Königshof sah. Rund herum war dichter Wald, und nirgends eine Spur von Menschen zu sehen.

Gerade als Wattusin an dem öden Königshof vorbeiziehen sollte, brach ein heftiges Unwetter los, mit Sturm und Regenschauer, so daß es dem Jungen schwer wurde, Schutz für sich und seine Thiere zu finden. Er ging daher zum Thore der Burg, und pochte an; aber Niemand antwortete. Nach langem Harren erst wurde die Pforte geöffnet,[100] und ein Weib, alt und häßlich, fragte, wer klopfe. Wattusin sagte; daß er ein Wandersmann sei, der ausgegangen, um Dienst zu suchen, und Schutz begehre während des Unwetters. Das Weib sprach: »Sei mir willkommen, denn ich brauche eben einen tüchtigen Jungen; wenn du mir treu dienen willst, soll dein Lohn nicht gering sein.« Hierauf führte sie Wattusin in's Haus, und gab ihm Speise und Nachtherberge. Das alte Weib aber war eine böse Trollkönigin, und ihr Aussehen gefiel weder Wattusin, noch seinen Thieren.

Am Morgen, als es tagte, kam das alte Weib zu Wattusin, und sagte, daß sie ihm zeigen wolle, was sich Merkwürdiges im Hause fände. Der Junge folgte ihr, und sah manche seltsame Dinge, von denen hier weitläufig erzählt werden wird. Zuletzt kamen sie zu einer Wiese, und auf der Wiese lagen Enten, wie es schien, in einer Anzahl von vielen Tausenden, so daß die Erde ganz überdeckt war.

Die Trollkönigin sagte: »Diese Enten gehören zum Hofe, und du darfst nicht fürchten, sie zu zertreten.« Sie ging hierauf voraus, den Weg zu zeigen. Wattusin aber erbarmte sich der armen Enten, und hütete sich sehr, auf eine von ihnen zu treten; dazu verbot er seinen Thieren strenge, sie zu verletzen. Er kam sodann an's Ende der Wiese. Da trat der Entenkönig hervor, und sagte: »Du sollst meinen Dank haben, daß du meine Enten geschont. Denk' auf mich, wenn du in Noth kommst, und ich will dir wieder dienen.« Hierauf verschwand er, ohne daß die Trollkönigin ihn bemerkt hatte.

Wattusin und seine Hausfrau setzten nun ihren Weg[101] fort, und kamen zu einer anderen Wiese, wo Ameisen umher krochen, abermals viele Tausende, so daß der ganze Boden sich zu bewegen schien. Die Trollkönigin sagte: »Diese Ameisen gehören zum Hofe, du darfst dich nicht scheuen; sie todt zu treten;« sie ging hierauf wieder voraus, um den Weg zu zeigen. Wattusin aber erbarmte sich der kleinen arbeitsamen Thierchen, und hütete sich sehr, auf irgend eines von ihnen zu treten; dabei verbot er strenge seinen Thieren, den Ameisen irgend einen Schaden zuzufügen. Er kam so an's Ende der Wiese. Da trat der Ameisenkönig hervor, und sagte: »Du sollst meinen Dank haben, daß du so manches Leben erhalten. Denk' an mich, wenn du in Noth kommst, und ich will dir wieder dienen.« Hierauf verschwand er, ohne daß die Trollkönigin ihn bemerkt hatte.

Der Junge und seine Hausfrau setzten wieder ihren Weg fort, und kamen zu einer dritten Wiese, wo man eine unzählige Menge von Bienen fand, so daß davon der ganze Boden und die Luft wimmelten. Da wendete sich die Trollkönigin zu Wattusin, und sagte: »Alle diese Bienen gehören zum Hofe, du darfst nicht fürchten, sie todt zu treten.« Sie ging hierauf voraus, um den Weg zu zeigen. Es that aber dem Jungen um die kleinen Thierchen leid, so daß er sich sehr hütete, auf sie zu treten, und er befahl strenge seinen Thieren, ihnen keinen Schaden zuzufügen.

Wattusin kam so an das Ende der Wiese. Da trat die Bienenkönigin hervor, und sagte: »Du sollst meinen Dank haben, daß du meine Unterthanen geschont. Denk[102] auf mich, wenn du in Noth kommst, ich will dir wieder dienen.« Hierauf verschwand sie, ohne daß die Trollkönigin sie gesehen hatte.

Den andern Tag nahm das Weib das Wort: »Es ist hohe Zeit, daß du deinen Dienst beginnst, und folgende soll deine erste Arbeit werden. In alten Zeiten, vor vielen, vielen Jahren fand man hier im Königshofe einen goldenen Schlüssel, der das Thor des Schlosses gegen Westen öffnete. Es ist nun mein Wille und Befehl, daß du diesen Schlüssel herbeischaffst, ehe die Sonne morgen früh aufgeht, wenn du es nicht thust, kostet es dein Leben.« So sprechend, ging die Trollkönigin fort. Wattusin aber blieb in großer Angst zurück, und wußte sich keinen Rath, wie er sich aus dieser großen Gefahr herausfinden könne. Er wanderte so den ganzen Tag betrübt umher, und als der Abend kam, hatte er den goldenen Schlüssel noch nicht finden können.

Als der Knabe nun so betrübt da saß, und an seine große Noth dachte, kam es ihm in den Sinn, vielleicht könnten mir die Enten helfen. Er hatte diesen Gedanken kaum gefaßt, so stand der Entenkönig plötzlich vor ihm, und fragte, warum er so traurig sei. Wattusin erwiederte: »Die Trollkönigin hat mir befohlen, einen goldenen Schlüssel aufzusuchen, der seit vielen hundert Jahren verloren gegangen. Wenn ich ihn nicht finde, ehe es tagt, will sie mein junges Leben nehmen.« Der Entenkönig sagte: »Sei getrost, ich habe den Dienst nicht vergessen, den du mir gestern erwiesen. Nun will ich dich belohnen.« Er sammelte hierauf eine große Schar von seinen Unterthanen[103] und zog mit ihnen zu einem alten Graben, der den Königshof umgab. Als die Enten zum Graben gekommen, begaben sie sich in das Wasser, und tauchten in den Grund hinab. Sie setzten es so eine Weile fort, und es dauerte nicht lange, als der Entenkönig mit dem Schlüssel zurückkam, welchen die Trollkönigin verlangt hatte. Da ward der Junge frohen Sinnes, dankte dem Entenkönig für seinen guten Beistand, und kehrte hierauf vergnügt zum Königshof zurück.

Am Morgen, als die Sonne aufging, kam das Weib und fragte, ob Wattusin ihren Befehl vollzogen. Der Junge entgegnete, daß er ihren Auftrag vollzogen, und zog zugleich den goldenen Schlüssel hervor. Da entfärbte sich die Trollkönigin, und ward aschgrau im Angesicht. Sie ging hierauf fort, indem sie sagte: »Dieses hast Du nicht ohne Beihilfe gethan.«

Als ein Tag verstrichen, kam das Weib wieder, und führte Wattusin in ein Zimmer, wo eine Menge Getreide in großen, großen Haufen zusammengehäuft war.

Die Trollkönigin sagte: »Dein zweites Geschäft soll sein, daß du all' dieses Getreide nach seiner verschiedenen Gattung sonderst. Du sollst den Roggen vom Korn sondern, und das Korn vom Roggen, und jedes in einen eigenen Haufen bringen. Alles aber soll bis am Morgen fertig sein, ehe die Sonne aufgeht, sonst kostet es dein Leben.« So sprechend, ging die Trollkönigin hinweg, und der Junge setzte sich nieder, um die eine Getreideart von der andern zu sondern. Wie er aber auch klauben mochte, als der Abend kam, hatte er nur ein[104] kleines Häuflein zusammengebracht, und konnte nun wol merken, daß er nimmer das Geschäft seiner Hausfrau auszurichten vermochte.

Als Wattusin nun betrübt da saß, und an seine große Noth dachte, kam es ihm in den Sinn: »Vielleicht könnten mir die Ameisen helfen.« Er hatte kaum diesen Gedanken gefaßt, so stand der Ameisenkönig plötzlich vor ihm, und fragte, warum er so traurig wäre. Der Junge erwiederte: »Die Trollkönigin hat mir befohlen, all dies Getreide nach seinen verschiedenen Gattungen zu sondern, so daß der Roggen vom Korn, und das Korn vom Roggen geschieden werde, jedes in einen eigenen Haufen. Wenn ich es nicht gethan habe, ehe es tagt, will sie mein junges Leben nehmen.« Da sagte der Ameisenkönig: »Sei getröstet, ich habe den Dienst nicht vergessen, den du mir erwiesen. Nun will ich dich dafür belohnen.« Er ging hierauf fort, und kam schnell mit einer unzählbaren Schaar Ameisen zurück. Die kleinen Thierchen aber begaben sich auf den Getreidehaufen, jede Ameise nahm ein Korn, und es ward ein Gewimmel, wie man im Sommer an einem Ameisenhaufen sieht. Es dauerte nicht lange, so war all' das Getreide vertheilt, wie die Trollkönigin befohlen hatte. Da ward der Junge frohen Sinnes, dankte dem Ameisenkönig für seinen guten Beistand, und so schieden sie von einander.

Am Morgen, als die Sonne aufging, kam das alte Weib, und fragte, ob Wattusin nach ihrem Befehle gethan habe. Der Junge bejahte es, und zeigte zugleich, wie alles Getreide nach seinen verschiedenen Gattungen[105] vertheilt lag, jedes in einen eigenen Haufen. Da entfärbte sich die Trollkönigin, und ward schwarz, wie die schwärzeste Erde. Sie ging hierauf erzürnt ihren Weg, indem sie sagte. »Dies hast du nicht ohne Beihilfe gethan.«

Als ein Tag verstrichen, kam das Weib wieder. Sie führte nun Wattusin in einen großen Saal, wo sieben schöne Frauenbilder aufgestellt waren. Die Trollkönigin sagte: »Es soll deine dritte Probe sein, daß du mir sagst, welches von diesen sieben Bildern die verzauberte Prinzessin ist, die über den Königshof herrschte, ehe ich hieher kam. Wenn du mir dieses sagen kannst, so wird deine Macht hier größer, als meine. Kannst du es aber nicht, dann kostet es dein Leben, wie es früher das Leben so mancher tapferen Jünglinge gekostet. Am Morgen, ehe die Sonne aufgeht, entscheidet sich unser Beider Glück.« So sagend, schied sie wieder von ihm. Die Trollkönigin ging ihres Weges. Wattusin aber stellte sich nun an, die sieben Frauenbilder zu beschauen, und sie erschienen ihm so schön, daß das Herz ihm im Busen gerührt wurde, als er sie ansah. Die Bilder aber waren sich dem Antlitz, der Gestalt, und der Stellung nach gleich, so daß Niemand die geringste Ungleichheit zwischen ihnen bemerken konnte. Wie der Knabe auch spähen mochte, er vermochte das Bild nicht auszuforschen, welches der verzauberten Königstochter angehöre.

Als Wattusin merkte, daß er den Auftrag der Trollkönigin nicht vollführen könne, ward er sehr betrübt, und dachte bei sich, daß er wol kaum mit dem Leben davon kommen werde. Da kam ihm plötzlich in den Sinn,[106] vielleicht könnten mir die Bienen in meiner großen Noth helfen. Er hatte kaum diesen Gedanken erfaßt, so stand die Bienenkönigin vor ihm, und fragte, warum er so betrübt, und traurig sei. Der Junge entgegnete: »Die Trollkönigin befahl mir, auszuforschen, welches von den sieben Frauenbildern die schöne Prinzessin ist, die einst über den Königshof herrschte. Wenn ich es am Morgen nicht sagen kann, wenn die Sonne aufgeht, verliere ich hier mein junges Leben.« Da sagte die Bienenkönigin. »Sei getröstet, ich habe den Dienst nicht vergessen, den du mir erwiesen. Nun will ich dich dafür belohnen.« Hierauf flog sie fort, und kam schnell mit einem unzählbaren Bienenschwarm zurück, der ganze Bienenschwarm aber flog hin, und setzte sich auf das eine Frauenbild. Nun wußte Wattusin, daß dies die Prinzessin sei, und als er es genau beschaute, sieh', da entdeckte er auf ihrem Halse eine kleine, kleine Warze, und hierin war das Bild von den übrigen unterschieden. Hierauf entfloh der Bienenschwarm, der Junge aber ward frohen Sinnes, und dankte der Bienenkönigin mit vielen schönen Worten für ihren guten Beistand.

Am Morgen, als die Sonne in Osten schien, kam das alte Weib, und fragte, ob Wattusin ihren Auftrag vollzogen, oder zu sagen wisse, welches die verzauberte Prinzessin sei. Der Junge bejahte es, und wies auf das Bild, wie es ihn die Bienenkönigin gelehrt hatte. Als nun die Trollkönigin merkte, daß er ihre Räthsel errathen, that sie einen lauten Schrei, und entfärbte sich, so daß sie blau im Gesichte wurde. Bei dem Geschrei des Weibes[107] aber wurden alle Frauenbilder lebendig. Die Königstochter fiel an Wattusins Brust, und dankte ihm, daß er sie befreit hatte; die sechs falschen Bilder aber erhoben sich in die Luft, und verschwanden zugleich mit der Trollkönigin, so daß das ganze Dach vom Königshofe gehoben wurde. In demselben Augenblicke geschah eine große Veränderung im ganzen Schlosse. Der Zauber war gebrochen, Alles lebte, und bewegte sich, Mädchen, Hofleute und Pagen wimmelten in den Zimmern, wie in früherer Zeit, und die Jungfrau herrschte über alle diese Herrlichkeiten. Hierauf wurde eine stattliche Hochzeit veranstaltet, und Wattusin erhielt die schöne Prinzessin. Er wurde König über die Burg und das ganze Land, und lebte mit seiner Gemahlin lange im Frieden und im Glücke. Gleichwol konnte er seinen Pflegebruder nicht vergessen, sondern ging jeden Tag zum Baume am Kreuzwege, um zu schauen, ob Wattumann noch am Leben wäre.

Die Sage wendet sich nun zu Wattumann, und es muß erzählt werden, wie er weit umherwanderte, durch viele Länder und Königreiche, bis er zu einer großen Stadt kam. In der Stadt aber waren die Straßen schwarz überhangen, die Leute gingen schweigsam umher, und alles verrieth eine große, und allgemeine Betrübniß. Als nun Wattumann zu seiner Herberge gekommen, fragte er, was die Ursache von dieser großen Trauer sei.

Der Wirth antwortete: »Gewiß bist du ein weit hergereis'ter Gast, da du noch nicht vernommen, was nun in Jedermans Munde ist, daß die Burg des Königs auf einem verzauberten Platze steht, und daß dort jedes Jahr[108] ein großer Drache sich einfindet, und eine schöne Jungfrau zu seiner Ernährung fordert.« Nun hat aber das Loos die einzige Tochter des Königs getroffen, und es findet sich Niemand, der sie befreien kann, obgleich der König dem, der sie befreie, die Prinzessin, und mit ihr die Hälfte seines Reiches und Landes versprochen hat. Bei allen diesen Neuigkeiten war dem Jungen wunderlich zu Muthe, und es kam ihm in den Sinn, daß er gerne des Königs Eidam werden, und dabei Vermögen und Ruhm gewinnen möchte.

Als die Zeit herangekommen, daß die Jungfrau zum Drachen hinausgeführt werden sollte, ging Wattumann auf den Berg hinauf, der bei der Stadt lag, und baute dort ein festes Haus. Das Haus aber war mit Haken und großen Balken erbaut, solchergestalt, daß die Thür von innen, aber nicht von außen geöffnet werden konnte.

Als nun alles bereit war, kam die Königstochter in einem vergoldeten Wagen gefahren, und viel Volk begleitete sie aus der Stadt hinaus. Die Prinzessin aber blieb auf dem Berge, stützte die Hand auf die Wangen, und weinte bitterlich. Da rief Wattumann seine Thiere, ging zur Prinzessin hin, grüßte sie höflich, und fragte: »Jungfrau! warum sitzt ihr hier, und warum netzen Thränen eure Wangen?«

Die Königstochter antwortete: »Ich muß wol weinen, denn mein Vater hat mich einem furchtbaren Drachen verlobt. Geh' hinweg schöner Jüngling! hier wird heute ein trauriges Schauspiel sein.« Wattumann entgegnete: »Ich wage es dennoch, den Drachen zu erwarten, wäre er noch so fürchterlich. Wenn Ihr euch mir auf Treu und[109] Glauben versprechen wollt, so will ich gerne für Euch mein Leben wagen.« Die Jungfrau willigte ein, und sie sprachen lange miteinander. Während sie nun beisammen saßen, bat Wattumann, daß die Königstochter ihn lausen solle. Die Prinzessin that nach seinem Wunsche, und der Junge legte sein Haupt auf ihr Knie. Die Jungfrau aber nahm unbemerkt einen Goldring, und flocht ihn in die Haarlocken Wattumanns.

In demselben Augenblicke hörte man ein großes Getöse, und ein Unwetter unter dem Berge. Da sagte der Junge: »Ich höre den Drachen kommen, und es ist Zeit, daß ich mich zum Kampfe bereite. Lebt wol, edle Jungfrau! Ihr sollt nie aus meiner Erinnerung kommen.« Hierauf nahm er die Jungfrau bei der Hand, und führte sie zu dem kleinen Hause auf dem Berge. Die Königstochter saß dort mit großer Angst, und erwartete, wie der Kampf ablaufen werde.

Wattumann ging nun dem Drachen entgegen, und es begann ein sehr harter Kampf. Der Drache wehrte sich tapfer, sowol mit den Krallen, als auch mit den Zähnen, dazu spie er Feuer und Flammen, so daß sich ihm Keiner ohne Lebensgefahr nahen konnte. Wattumann aber trat ihm kühn unter die Augen, stieß den Speer in seinen Rachen, und wußte ihm manchen mächtigen Hieb beizubringen. Der Bär, Wolf und Fuchs thaten gleichfalls das ihrige dazu, und der Kampf endete nicht eher, als bis zuletzt der Drache in's Gras biß. Während des Kampfes aber war Wattumann übel zerfleischt worden, so daß sein Blut aus vielen und tiefen Wunden floß. Da nahmen[110] die Thiere ihren Herrn, und trugen ihn zu einer einsamen Hütte, die im Walde lag. Dort leckten sie seine Wunden, und wachten treu, bis daß Wattumann wieder frisch und gesund wurde.

Als einige Zeit nach dem Kampfe verstrichen, und alles wieder still war, ging die Königstochter aus dem kleinen Hause heraus, um zu schauen, wie der Kampf abgelaufen war.

Sie fand den Drachen todt liegend auf der Wahlstatt. Wattumann aber war nirgends zu erspähen. Gerade in demselben Augenblicke kam der Kutscher der Prinzessin den Berg hinangegangen. Als er nun sah, daß die Königstochter in seiner Macht war, zog er sein Schwert, und sagte: »Ich und kein Anderer habe den Drachen getödtet, und nie sollst du die grüne Erde berühren, wenn du mir nicht versprichst, dies vor deinem Vater, und deinen Verwandten zu bekennen.« Als die Königstochter diese Drohung vernahm, ward sie sehr betroffen, und versprach, in ihrer Noth zu sagen, wie es der Kutscher von ihr verlangte. Sie zogen hierauf zum Königshofe heim, und es verbreitete sich ein immer wachsendes Gerücht von dem tapferen Jungen, der die Prinzessin befreit hatte. Der König ließ nun sogleich ein prächtiges Gastmal zubereiten, und gab seine Tochter dem tapferen Kutscher, wie er versprochen hatte. Die Königstochter aber war wegen Wattumann traurigen Sinnes, und stellte sich daher krank, bis sie etwas von ihm erfahren könne.

Einige Zeit hierauf waren Wattumanns Wunden geheilt, so daß er wieder zu seiner alten Herberge zurückkehren[111] konnte. Als er nun zur Stadt kam, waren alle Straßen mit Scharlach bekleidet, und das Volk schwärmte mit Jubel und Freudengeschrei umher. Der Junge wunderte sich hierüber, und fragte, was die Ursache von dieser Freude sei. Da sagte der Wirth: »Gewiß bist du lange fort gewesen, daß du nicht vernommen hast, was nun in Jedermanns Munde ist, daß der König seine Tochter dem tapfern Kutscher geben wird, der sie von dem Drachen befreit hat.« Nun begriff Wattumann, wie alles zugegangen war, und konnte wol ahnen, daß sie ihrem Gelübde untreu geworden sei.

Er sann daher auf Rath, wie er ihr es zu wissen machen könne, daß er am Leben sei, und daß er selbst erführe, ob sie ihm noch treu wäre. Am Morgen, als der Wirth und alle seine Gäste in der Herberge versammelt waren, nahm Wattumann das Wort: »Ist wol Jemand hier, der mit mir eine Wette eingehen möchte? Ich setze hundert Mark gegen hundert Mark, daß ich mir zu Mittag von des Königs eigenem Tisch eine Speise schaffen will. Mich gelüstet sehr, zu erfahren, welche Art von Wildpret der König speis't!« Bei diesen Worten sahen sich die Gäste einander an, und es schien ihnen Allen, daß dies ein kühnes Wagstück sei. Der Wirth war nun sogleich bereit, die Wette anzunehmen, und setzte so hundert Mark gegen die hundert Wattumanns. Da schrieb der Junge eine Schrift, gab sie dem Fuchs, und befahl ihm, mit der Botschaft zur Königstochter zu gehen. Der Fuchs gehorchte dem Winke seines Herrn, ging zum Königshof hinauf, kam in den Saal, wo der König bei Tisch mit seinen Männern saß,[112] und legte den Brief auf das Knie der Prinzessin. Als nun die Königstochter das Thier erblickte, freute sie sich sehr, denn sie erkannte sogleich, daß der Bote von Wattumann kam. Sie stand sogleich auf, gab dem Fuchs, was er verlangt hatte, und sandte ihn wieder zu seinem Herrn. Der König aber wunderte sich sehr, und fragte, was dieses alles zu bedeuten habe. Die Prinzessin antwortete schnell: »Es ist ein Gelübde, mein Vater! fraget nicht darum.« Während dem kam der Fuchs mit dem Wildpret von des Königs eigenem Tische wieder zur Herberge, und der Wirth hatte auf diese Art seine Wette verloren.

Den andern Tag, als der Wirth und seine Gäste versammelt waren, sagte Wattumann: »Ist Jemand hier, der mit mir wetten möchte? Ich setze zweihundert Mark gegen zweihundert Mark, daß ich mir zu Mittag Wein von des Königs eigenem Tisch verschaffen will. Ich wünsche sehr, zu erfahren, welchen Wein der König zu trinken pflegt.« Bei diesen Worten sahen die Gäste einander an, und es schien ihnen, daß der Fremdling keck und dreist spreche. Der Wirth war nun sogleich bereit, die Wette anzunehmen, er setzte zweihundert Mark gegen die zweihundert Wattumann's. Da schrieb der Junge eine Schrift, gab sie dem Wolf, und befahl ihm, mit der Botschaft zur Königstochter zu gehen. Der Wolf gehorchte seinem Herrn, ging zum Königshof hinauf, kam in den Saal, wo der König mit seinen Männern zu Tische saß, und legte den Brief auf das Knie der Prinzessin. Als nun die schöne Jungfrau das Thier sah, ward sie wol zufrieden, denn sie wußte, daß der Bote von Wattumann kam. Sie stand hierauf sogleich[113] auf, gab dem Wolf einen Becher voll des besten Weines, und bat ihn, diesen seinem Herrn zu bringen. Der König aber wunderte sich sehr, und fragte, was dies alles bedeute. Die Prinzessin antwortete sogleich: »Es ist ein Gelübde, mein Vater! fragt nicht weiter darum.« Da wollte der König nicht weiter forschen, sondern schwieg; der Wolf aber kehrte zur Herberge zurück, und der Wirth hatte nun seine Wette verloren, wie früher.

Den dritten Tag, als der Wirth und seine Gäste versammelt waren, sagte Wattumann: »Ist Jemand hier, der noch eine Wette mit mir wagen möchte? Ich habe von des Königs Essen gespeis't, und aus seinem Becher getrunken, nun wünsche ich seine Königskrone zu tragen. Ich setze tausend Mark, wer will andere tausend Mark dagegen setzen?« Bei diesen Worten sahen sich die Gäste verwundert an, und es schien ihnen, daß dieses ein kühnes Wagestück sei, das für den Fremdling nicht gut ausfallen könnte. Der Wirth setzte nun tausend Mark gegen die tausend Wattumann's. Da schrieb der Junge eine Schrift, legte sie in das Maul des Bären, und befahl ihm, mit der Botschaft zur Königstochter zu gehen. Der Bär that, wie ihm sein Herr gesagt hatte, ging zum Königshof hinauf, kam in den Saal, wo der König mit seinen Männern zu Tische saß, und legte den Brief auf das Knie der Prinzessin. Als nun die Königstochter vernahm, daß die Botschaft von Wattumann kam, freute sie sich, denn sie liebte den kühnen Jüngling. Sie stand hierauf sogleich auf, nahm die Krone des Königs, und gab sie dem Bären, wie er verlangt hatte. Der König aber ward[114] über eine solche That entrüstet, und meinte daß einer Königstochter dies nicht zieme. Da wurde die Prinzessin betrübt, und weinte bitterlich. Sie sagte: »Vater, gib mir nicht harte Worte, daß ich mein Gelübde halte, wie ich es zugesagt. Eure Krone soll sogleich wieder zurückgebracht werden.« Als nun der König den Schmerz seiner Tochter sah, wurde er versöhnt, und ließ die Prinzessin gewähren, wie es ihr am besten dünke. Der Bär nahm die Krone, und kehrte mit großen Schritten zur Herberge zurück. Alle aber, die dieses sahen, wunderten sich über den Fremdling, und der Wirth hatte wieder seine Wette verloren.

Als nun Wattumann merkte, daß die Prinzessin ihm gewogen war, redete er zu den Gästen, und sagte: »Ihr verwundert euch über das, was ihr gesehen und gehört. Gleichwol bin ich zu einer noch größeren Wette bereit. Ich habe von des Königs Speise gegessen, aus seinem Becher getrunken, und hier habe ich seine königliche Krone. Nun gelüstet es mich, die schöne Königstochter zu besitzen. Ich setze zehntausend Mark, wenn einer von euch andere zehntausend dagegen setzt.« Bei diesen Worten sahen sich alle Gäste einander an, und meinten, daß diese Grille noch dreister, als jede der vorhergehenden sei. Der Wirth wollte nun wieder auf die Wette eingehen, und setzte so zehntausend Mark gegen die zehntausend des Fremdlings. Da kleidete sich Wattumann in kostbare Kleider, warf einen Mantel von Scharlach um die Schultern, setzte die goldene Krone auf das Haupt, und wanderte mit seinen Thieren zum Königshof hinauf. Er trat so in den Saal,[115] wo der König mit seinen Männern zu Tische saß, und alle, die ihn sahen, freuten sich über die Schönheit und Gewandtheit des Jünglings. Die Königstochter aber sprang schnell auf, lief Wattumann entgegen, und sagte: »Dieser und kein Anderer war es, der mich vom Drachen befreit.« Der König wollte anfänglich dieses nicht glauben, die Prinzessin aber erzählte Alles, wie es sich zugetragen hatte, und suchte zuletzt ihren Goldring auf, den sie mit eigener Hand in das Haar des Jungen befestiget hatte. Nun konnte der König nicht weiter an der Wahrheit ihrer Worte zweifeln, sondern ließ den Kutscher bestrafen, wie dieser es wol verdient hatte, und empfing Wattumann mit großen Ehren und Auszeichnungen. Hierauf wurde die Hochzeit mit Gesang und Spiel mehrere Tage hindurch gefeiert, und das ganze Volk freute sich über das Glück und die Tapferkeit des jungen Königs. Wattumann aber verschenkte wieder alles Geld, das er bei seinen Wetten gewonnen, und gab dem Wirthe dazu noch große Geschenke. Seit diesem Tage wurde sehr viel unter den Gästen in der Herberge von dem wunderbaren Fremdling und seinen drei Thieren gesprochen.

Eines Abends, als Wattumann und seine Gemahlin in ihr Schlafgemach gingen, bemerkte er ein sonderbares Feuer, das auf und nieder hüpfte, gleichsam, als stehe der ganze Wald in hellen Flammen. Der junge König fragte, was dies für ein sonderbarer Schein wäre, und wollte sogleich fortgehen, und darnach sehen. Die Königin aber war sehr erschrocken, und sagte: »Geh nicht! Um Alles in der Welt, wenn ich dir noch irgend theuer[116] bin, gehe nicht, denn es gilt dein Leben. Dieses Feuer brennt jede Nacht, seitdem du den Drachen todtschlugst, und ich fürchte, es ist Zauberei seiner Freunde, um dich zu locken.« Wattumann antwortete hierauf nichts, denn er wollte seine Gemahlin nicht betrüben. Nachts aber konnte er nicht schlafen, blos aus Sehnsucht, in den Wald hinaus zu ziehen, um zu sehen, welche seltsamen Dinge dort zu finden wären. Am Morgen, ehe es tagte, stand Wattumann auf, rief seine Thiere, und ging auf die Jagd. Er wanderte so im verzauberten Walde lange umher, aber nichts stieß ihm auf, und den ganzen Tag hindurch konnte er kein Wildpret finden. Als es nun gegen Abend kam, fiel eine große Finsterniß mit Frost und Nebel ein, so daß Wattumann den Weg aus der Wildniß nicht finden konnte. Er ging daher auf einen hohen Berg, sammelte dürres Reis, und machte ein Feuer, um sich und seine müden Thiere zu erwärmen. Als er so beim Feuer saß, hörte er einen Klagelaut: »Hu, hu, ich friere.« Wattumann sah sich um, konnte aber in der Finsterniß Niemand entdecken, obschon seine Thiere viel Unruhe zeigten.

Nach einer Weile vernahm er die Stimme von Neuem: »Hu! hu! ich friere.« Als der junge König nun wieder umherspähte, gewahrte er ein altes Weib, das ober ihm auf einem Baum saß, und vor Kälte zitterte. Wattumann dauerte das alte Weib, obschon ihm seine Gestalt nicht gefiel, denn es war häßlich anzusehen, und glich mehr einem grimmigen Troll, als einem Menschen. Er bat es, vom Baume herabzusteigen, und sich am Feuer zu wärmen. Das Weib aber stellte sich sehr furchtsam, und sagte: »Ich wage[117] es nicht wegen deiner bösen Hunde.« Wattumann entgegnete, daß die Thiere nicht gefährlich wären, das Weib aber setzte in seine Worte keinen Glauben. Als sie lange hin und her gesprochen, sagte das Weib: »Lege diese Strohhalme über deine Thiere, damit ich sehe und erkenne, ob sie dir gehorchen.« Der König that nach ihrem Wunsche, da stieg das Weib schnell vom Baume herab, veränderte seine Gestalt, und wuchs zu einem großen und häßlichen Troll. Es sagte: »Du hast meinen Bruder ermordet, und ich will seinen Tod rächen.« Bei diesen Worten wurde Wattumann von Furcht befallen, sprang auf, und rief seine Thiere; aber sie lagen regungslos auf dem Boden, als wenn sie todt wären. Da wußte der König, daß er überlistet worden, es war aber zu spät, denn der Troll ging ihm entgegen, ermordete ihn durch seinen Zauber, und vergrub seine Leiche im Schnee unter dem Strauch. Hierauf zertheilte sich die Finsterniß, und Alles war wie früher im öden Walde.

Die Sage wendet sich nun zu Wattusin. Er ging am Morgen zum Baume am Kreuzwege, um Etwas von seinem Pflegebruder zu erfahren. Das Messer aber war rostig und blutig, und der König konnte daraus wol schließen, daß Wattumann todt sei. Dieses große Unglück ging Wattusin sehr zu Gemüthe, und er wollte weder essen, noch trinken, bevor er ausgezogen, um seinen Pflegebruder zu rächen.

Der junge König rief nun seine Hunde, und wanderte denselben Weg, welchen Wattumann gegangen, bis er zur Stadt kam, von der ich früher erzählte. Hier war viel[118] Redens von dem tapferen Jüngling, der des Königs Eidam wurde, und Wattusin konnte sich wol denken, daß von seinem Pflegebruder die Rede sei. Er ging hierauf den Weg weiter, bis er zum Königshof kam, wo Wattumann mit seiner jungen Braut wohnte. Als nun Wattusin durch das Thor der Burg trat, glaubten Alle, daß es der König selbst wäre, welcher von der Jagd heimkomme, und grüßten ihn mit großer Ehrfurcht. Die schöne Königin aber lief aus dem Frauengemach, wo sie mit ihren Mädchen saß, umarmte Wattusin liebevoll, und freute sich, daß er wohlbehalten wieder gekommen. Der Jüngling ließ es sich wol gefallen, denn er wußte, daß er mit seinem Pflegebruder Aehnlichkeit habe, und glaubte zugleich, daß er auf diese Art leichter von Wattumann etwas erfahren werde.

Am Abend, als Wattusin und die junge Königin zum Schlafgemach gingen, gewahrte er das wunderliche Licht, das im Walde auf und nieder hüpfte. Da verwunderte sich Wattusin, und fragte, was dies für ein seltsames Feuer sei, welches dort leuchte. Die Königin erwiederte: »Herr und König! denke nicht mehr daran, ich habe dir schon früher gesagt, daß das Feuer von den Freunden des Drachen angezündet worden ist, um dich in's Unglück zu locken.« Wattusin und die Königin gingen hierauf zu Bette. Der Jüngling aber legte ein blankes Schwert in das Bett zwischen sich und ihr. Während der ganzen Nacht konnte er nicht schlafen, sondern dachte nur daran, wie er seinen Pflegebruder wieder finden und befreien könne.

Am Morgen, ehe es tagte, stand Wattusin auf, rief[119] seine Hunde, und sagte, daß er auf die Jagd gehen wolle. Er zog so fort zu dem verzauberten Wald, und streifte den ganzen Tag umher, ohne irgend ein Wildpret zu finden. Als es nun gegen Abend kam, brach plötzlich eine dichte Finsterniß mit Frost und Nebel ein, so daß Wattusin den Weg aus der Wildniß nicht finden konnte. Er ging hierauf auf einen hohen Berg, sammelte dürres Reis, und machte ein großes Feuer, um sich und seine Thiere zu wärmen. Als er nun so am Feuer saß, und an seinen Pflegebruder dachte, vernahm er im Walde einen Klagelaut: »Hu! Hu! ich friere.« Wattusin blickte umher, um zu erfahren, woher der grauenvolle Schrei komme, er konnte aber in der Finsterniß Niemand bemerken, obschon seine Thiere schnauften und brummten, als wenn sie irgend eine große Gefahr witterten. Nach einer Weile vernahm man die Stimme von Neuem. »Hu! hu! ich friere.« Als Wattusin jetzt umherspähte, gewahrte er ein altes Weib, das vor Kälte zitterte, und ober ihm auf einem Baume saß. Das alte Weib hatte ein wildes Aussehen und glich mehr einem Troll als einem Menschen, so daß auch Wattusin beschloß, wol auf seiner Hut gegen dasselbe zu sein.

Der junge König bat nun das Weib, vom Baume herabzukommen, dann könne es sich am Feuer wärmen. Die Hexe aber stellte sich sehr furchtsam, und sagte: »Ich wage es nicht wegen deiner bösen Hunde.« Wattusin erwiederte, daß die Thiere ihr keinen Schaden thun werden. Das Weib aber wollte seinen Worten nicht glauben. Nachdem es lange hin und her gesprochen, sagte das Weib:[120] »Lege diese drei Strohhalme über deine Thiere, damit ich sehe und erfahre, ob sie dir gehorsam sind.« Wattusin sagte, daß er nach ihrem Wunsche handeln wolle, warf aber die Strohhalme in's Feuer, wobei man viel Geräusch und Knistern vernahm. »Was knistert so?« fragte das Weib auf dem Baume. »Ich legte blos mehr Reiser auf das Feuer,« entgegnete Wattusin. Da stieg das Weib schnell herab, verwandelte seine Gestalt, und wuchs zu einem großen und häßlichen Troll. Es sagte: »Dein Pflegebruder ermordete meinen Bruder. Ich habe meinen Verwandten gerächt, und nun will ich auch dich ermorden.« Wattusin aber erschrack nicht, sondern zog sein Schwert, rief seine Thiere, und diese stürzten auf den Troll, und setzten ihm auf allen Seiten hart zu. Als nun der Troll merkte, daß seine List mißlungen, und daß der Kampf sich zu seinem Nachtheil wende, ergriff ihn die Furcht, und er begann um sein Leben zu bitten. Da sagte Wattusin: »Vor Allem mußt du sogleich die Thiere meines Bruders frei machen.« Der Troll wollte ungern darauf eingehen, er wagte aber nicht, es zu verweigern. Als nun die Thiere des Wattumann frei waren, sagte Wattusin: »Zweitens fordere ich, daß du meinem Bruder sogleich wieder das Leben gibst, um das du ihn betrogen.« Der Troll willigte noch unlieber in dieses Verlangen, aber er konnte es nicht versagen. Als Wattumann durch die Zauberei des Trolls wieder zum Leben zurückgerufen worden, rief Wattusin mit mächtiger Stimme: »Darauf los, ihr Thiere! alle darauf los!« Da stürzten alle Hunde auf einmal auf das Zauberweib, und rißen es in viele Stücke, wie in der[121] Herbstzeit das Lindenlaub, so lagen sie auf der Erde. Sogleich zertheilte sich der Nebel, die Sonne brach am Himmel hervor, und die beiden Pflegebrüder umarmten einander mit großer Freude und Herzinnigkeit.

Wattumann und Wattusin kehrten nun zum Königshof zurück, und erzählten sich unterwegs, welche merkwürdigen Abenteuer sie Beide bestanden. Wattusin erzählte auch, wie ihn Alle für den König selbst gehalten, und scherzte zugleich darüber, daß er Nachts bei der jungen Königin gewesen. Bei diesen Worten wurde Wattumann sehr schweigsam und wortkarg; als aber Wattusin erzählte, daß er bei der Königin geschlafen, ging es dem Könige zu Gemüthe, so daß er im Zorne sein Schwert zog, und es dem Pflegebruder in den Leib stieß. Wattumann kehrte nun betrübt zum Königshof zurück, und meinte, daß er von diesem Tage an, nie mehr fröhlich sein werde. Wattusin's Thiere aber wollten ihren Herrn nicht verlassen, sondern legten sich um seinen Körper, und leckten seine Wunden.

Am Abend, als der junge König und seine Gemahlin zu Bette gehen wollten, fragte die schöne Königin, warum ihr Mann so wortkarg und traurig wäre. Wattumann antwortete hierauf wenig. Die Königin begann wieder: »Ich habe mich die letzten Tage über dich sehr gewundert, am meisten aber wunderte ich mich, daß du in der Nacht ein blankes Schwert zwischen uns gelegt.« Bei diesen Worten konnte Wattumann wol einsehen, daß sein Pflegebruder unschuldig war. Er bereute daher seine That, stand schnell auf, und ging zum Walde, wo Wattusin in seinem[122] Blute lag. Die treuen Thiere aber hatten den Körper ihres Herrn erwärmt, so daß er noch am Leben war. Da holte Wattumann Wasser aus der Quelle, wusch und verband die Wunde seines Pflegebruders, und kehrte nicht eher zurück, bis Wattusin sich erholt, und ihm zum Königshof folgen konnte.

Als nun Wattumann und Wattusin heimgekommen, herrschte große Verwunderung unter dem ganzen Hofvolk, denn Keiner konnte sagen, welcher der rechte Hausherr wäre. Die Pflegebrüder traten so zum alten König hin, aber er wußte nicht, welcher von ihnen sein Schwiegersohn wäre. Sie gingen hierauf zur jungen Königin, aber auch sie blieb im Zweifel.

Da trat Wattumann hervor, und erzählte vor dem ganzen Hof, welche wunderbare Schicksale er und sein Pflegebruder durchgemacht hatten, und wie Wattusin für ihn sein Leben gewagt. Nun herrschte allgemeine Freude am Königshofe, und Alle priesen die Tapferkeit und das Glück der Pflegebrüder. Der König ließ ein prächtiges Gastmahl zubereiten, und empfing Wattusin mit großen Ehren und Auszeichnungen. Nachdem aber die Pflegebrüder einige Zeit beisammen verweilt hatten, nahm Wattusin herzlichen Abschied von dem jungen König, und kehrte wieder zu den Seinen heim.

Hierauf lebten sie glücklich und fröhlich, jeder in seinem Reiche, und standen einander mit Rath und That bei, sowol im Frieden als im Kriege. Und hier endet die Sage von den beiden Pflegebrüdern Wattumann und Wattusin.

1

D.i. Wassermann und Wasserjunge.

Quelle:
Hyltén-Cavallius, Gunnar/Stephens, George: Schwedische Volkssagen und Märchen. Wien: Haas, 1848, S. 94-123.
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