306. Heidenkehle oder Heidkehle

[213] heisst eine Runse, die sich am Eingang in das Isental beim Fruttchäppäli in den See hinunter zieht. Wie sie zu diesem Namen gekommen, erzählt die Sage.

1. Vor Zeiten zog hier wanderndes Heidenvolk (Zigeuner) vorbei. Ein altes Mütterchen, das ebenfalls zu dieser Gesellschaft gehörte, humpelte müde und abgemattet hintendrein. Es war den Heiden schon lange überlästig geworden. Jetzt packten sie es, und, obwohl es flehte und bitterlich anhielt, es leben zu lassen, da es ja noch laufen möge, stürzten sie es ohne Erbarmen in die Kehle hinunter.


Fr. Wipfli-Herger, 80 J. alt, Seedorf.


2. Nach anderer Darstellung war es nicht ein Mütterchen, sondern ein Heidenkind, dem dieses Schicksal hier widerfuhr.


Michael Imhof, 80 J. alt, Isental.[213]


3. Da kam einst eine Bande fahrendes Heidenvolk von Seedorf her durch den steilen Abhang, Schild genannt, herauf. Ein altes, blindes Männlein keuchte mühsam hintendrein, geführt von einem Heidenweib, und fragte gar fleissig: »Ruckts, ruckts?« Das Weiblein antwortete: »Es ruckt, es ruckt; es besseret alsbald!« Als sie die Höhe bei der St. Niklausenkapelle auf der Frutt erreichten, gab das Weibervolk dem blinden Manne einen Stoss und stürzte ihn über die Fluh in die Kehle hinunter.


Frau Gisler-Zwyssig, 68 J. alt, Isental.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 213-214.
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