315. Das Zauberbuch.

[217] Ein Geissbub fand einst ein Buch, es war der Geistliche Schild, und steckte es in einen Hosensack. Am Abend, während er zu Bette gehen wollte, kam ihm das Buch in den Sinn, und er fing an, darin zu lesen. Als er eine Zeit lang gelesen und dabei alle Worte, wie es bei des Lesens nicht geübten Leuten Brauch ist, deutlich ausgesprochen hatte, stand plötzlich eine schöne, grosse Strohflasche voll Wein vor ihm auf dem Tisch. Er glotzte sie einige Augenblicke verständnislos an, und dann kam die Furcht über ihn, und er liess Buch und Wein sein, wo sie waren, und machte sich flink in das Bett unter die Federdecke. Bald darauf teilte er sein eigenartiges Erlebnis einem Kapuziner mit, und der sagte zu ihm: »Hättest du den Wein nur getrunken, er war gut; er ist aus unserm Keller gekommen.«


Heinrich Baumann, 72 J. alt, Attinghausen.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 217.
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