327. Das Zauberbuch der drei armen Büblein.

[222] »Ufem Bärg« – Seelisberg – lebten drei arme Brüder, junge, g'hungrige Büebli. Die erwischten eines Tages auf der Ruossdiele, oder weiss der Kuckuck wo, ein altes Zauberbuch. Mit dessen Hilfe machten sie sich unsichtbar und zauberten sich in den Viehstall des Ortspfarrers, wo sie in aller Bescheidenheit den Schaum ab der frischgemolkenen Milch sich schmecken liessen: »Und hennt dert g'schümet.« Damals wirkte nämlich auf Seelisberg der Pfarrer Peter Anton Furrer († 1883), und der besass ein Landgut und einen ansehnlichen Viehstand. Während sich aber die drei Schlingel am Milchschaum gütlich taten, waren sie auch zu Hause, aber ebenfalls unsichtbar, und plauderten oder lasen halblaut in ihrem köstlichen Buch. Eines Abends nun fragte die Mutter: »Wo sind äu iähr, dass man ych g'heert pläudärä und-ich doch niänä z'gseh 'kunt?« »I ds Pfahrs Gadä sim-mer und tiänt da schümä,« gestanden die Bürschchen. »Jä, wiä mached iähr de das! mä g'heert-ich doch hiä i der Stubä?« erkundigt[222] sich die Mutter weiter und erhält zur Antwort: »Miär läset imm-änä Büech.« »So legget's äwägg!« befiehlt sie. Da legten sie es auf den Tisch und kamen wieder zum Vorschein.

Die christliche Frau packte das unheimliche Buch und brachte es dem Pfarrer, der es verbrannte. Aber noch oft sagten die Buben, wenn sie der Hunger plagte: »Hättet miär nur das Büech nit g'gä, sä chenntet mer nu meh ga schümä-n- und der Hunger ga wehrä!«

Dem Erzähler sagte ich: »Wen-ich Müetter gsy wär, hätt-nä-n-ich das Büech g'lah, wägä-mä Bitzli Schüm, – das wär etz doch kei Diäbstahl g'sy; das hätt-nä der Pfahr g'wiss erläubt.« Er aber meinte: »D'Müetter wurd 'tänkt ha, äs chennt halt doch nu fyler's drüß etstah. I yserem Schüel-biächli het's g'heißä: ›Mit Kleinem fängt man an, mit Grossem hört man auf.‹«


Jos. Maria Aschwanden, 60 J. alt.

Quelle:
Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945, S. 222-223.
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